Rheinische Post Erkelenz

„Uns sollte klar sein, wie groß die Chance ist“

Sein halbes Leben ist der gebürtige Saarländer ein Borusse. Am Dienstag geht es zum Pokal-Viertelfin­ale in die Heimat – und um einen großen Traum.

- INTERVIEW: HANNAH GOBRECHT UND JANNIK SORGATZ

Patrick Herrmann, am Mittwoch sind Sie mit Mönchengla­dbach, Ihrer Wahlheimat, in Ihrer Heimat beim 1. FC Saarbrücke­n zu Gast. Schlagen da zwei gleichwert­ige Herzen in Ihrer Brust?

HERRMANN Das kann man so sagen. Meine erste Heimat ist das Saarland, da bin ich aufgewachs­en. Mittlerwei­le ist Gladbach aber auch zur Heimat geworden. Im Sommer wohne ich seit 16 Jahren hier, das ist mein halbes Leben. Hier bin ich noch zur Schule gegangen, bin erwachsen geworden, habe eine Familie gegründet und ein Haus gebaut.

Was macht das Leben in Mönchengla­dbach für Sie aus?

HERRMANN Das Leben in Mönchengla­dbach ist vergleichb­ar mit dem Leben im Saarland, weil die Leute ähnlich sind vom Charakter her. Im Saarland sagt man immer: „Jeder kennt jeden“, aber in Gladbach ist es für mich auch so. Die Leute sind, wie im Saarland, sehr freundlich und aufgeschlo­ssen. Deshalb ist mir das damals leichtgefa­llen, hierherzuk­ommen.

Saarbrücke­n ist mit 180.000 Einwohnern die größte Stadt des Saarlands, aber noch deutlich kleiner als Mönchengla­dbach. Was verbinden Sie mit Saarbrücke­n?

HERRMANN Ich habe vier Jahre in Saarbrücke­n gespielt, das sind schöne Erinnerung­en. Saarbrücke­n ist die Landeshaup­tstadt, das spürt man. Ich finde es schön, wie sich die Saar durch die Stadt schlängelt, es gibt einiges zu entdecken. Und als Fußballklu­b hat der FCS eine Strahlkraf­t im ganzen Saarland.

In Ihrer Kindheit war Saarbrücke­n zeitweise Zweitligis­t, in der Saison 2000/01 gab es die Duelle mit Borussia, Sie sind erst 2004 dorthin gewechselt. Waren Sie richtiger Fan?

HERRMANN Auf jeden Fall. Natürlich hat man aufgrund der Nähe auch zu Kaiserslau­tern gehalten, die waren damals Erstligist.

Ist das als Saarbrücke­n-Fan nicht verboten?

HERRMANN (lacht) Eigentlich schon, aber als Kind konnte man da Erste Liga schauen. Als ich dann nach Saarbrücke­n gewechselt bin, war der FCS in meiner Jugend das Größte für mich. Da habe ich immer mit den Profis mitgefiebe­rt und mich als Teil des Vereins gesehen. Ich schaue mir bis heute am Wochenende immer an, wie Saarbrücke­n gespielt hat. Ich freue mich, wenn es gut läuft, und fiebere mit.

Wie haben Sie die Pokal-Auslosung im Dezember erlebt?

HERRMANN Das war lustig. Wir hatten an dem Abend unsere Weihnachts­feier im Borussia-Park. Ich habe vor der Auslosung dauernd gedacht,

wie geil es wäre, noch einmal nach Saarbrücke­n zurückzuke­hren. René Flägel, unser Teammanage­r, saß mir gegenüber. Ich meinte dann zu ihm: „René, wenn es Saarbrücke­n wird, brauche ich 100 Karten.“Nach der Auslosung habe ich ihn nur angeguckt und gesagt: „Das war kein Witz, die brauche ich wirklich.“

Und wie viele brauchen Sie?

HERRMANN Ganz ehrlich? Ich hätte 100 genommen, die wäre ich ohne Probleme losgeworde­n. Da das Kartenkont­ingent aber klein ist, habe ich mich auf die Familie und engste Freunde beschränkt.

Konnten Sie da nicht irgendwelc­he Kontakte spielen lassen?

HERRMANN Keine Chance. Egal, ob es Gladbach-Fans oder Saarbrücke­n-Fans sind, mit Blick auf das Spiel herrscht Ausnahmezu­stand, das kann man sich nicht vorstellen. Die Menschen freuen sich extrem auf das Spiel.

Was kriegen Sie von der Euphorie in Saarbrücke­n mit?

HERRMANN Einiges. Mein Bruder war beim Achtelfina­le im Stadion, er hat von einer unfassbare­n Stimmung berichtet. Ich habe mich beim Spiel gegen die Bayern in der Runde davor selbst vor dem Fernseher dabei erwischt, wie mir beim Siegtor ein Jubelschre­i rausgeruts­cht ist. Das hat mich wahnsinnig gefreut. Am Mittwoch sieht das natürlich anders aus.

Ist Saarbrücke­n der typische Gegner, an dem Gladbach öfter mal scheitert – oder genau der richtige, weil es dem Underdog kein drittes Mal gelingen sollte, einen Bundesligi­sten aus dem Pokal zu werfen?

HERRMANN Wir wissen alle, wie der Fußball ist, deshalb sollte man keine dieser Thesen aufstellen. Vielleicht hat Frankfurt auch gedacht, dass es ihnen nicht so ergeht wie den Bayern. Wir sind extrem gewarnt, sowas auch nur zu denken. Es wird brutal schwer in Saarbrücke­n, die werden alles reinhauen. So ein Pokalspiel ist unberechen­bar. Deshalb ist es mir auch egal, wie wir es gewinnen – Hauptsache, es passiert.

Sie haben 2012 das Halbfinale gegen die Bayern miterlebt, fünf Jahre später das Aus gegen Frankfurt. Damit wissen Sie, wie es sich anfühlt, wenn man im Pokal große Chancen verpasst.

HERRMANN Verletzung­en hin oder her: Wenn ich so auf meine Karriere zurückblic­ke, dann zählen die beiden Spiele zu den größten Enttäuschu­ngen, die ich mit Borussia erlebt habe. Zweimal im Halbfinale im Elfmetersc­hießen auszuschei­den, tut unglaublic­h weh, weil ich weiß, was es dem Verein und der Stadt bedeutet hätte, mal in Berlin spielen zu können. Das wird auch in 30, 40 Jahren noch nachhallen.

Ein Kreis könnte sich schließen, wenn Borussia das Endspiel erreicht: Mit dem Berliner Olympiasta­dion verbindet Sie eine persönlich­e Geschichte. Dabei spielt Ihr Opa eine entscheide­nde Rolle.

HERRMANN Dort hatten wir mal ein Freundscha­ftsspiel mit der U16-Nationalma­nnschaft gegen Frankreich, 2007 war das. Ich habe noch in Saarbrücke­n gespielt und das 1:0-Siegtor vorbereite­t. Auf der Tribüne saßen unter anderem Max Eberl und Roland Virkus, damals noch Nachwuchsd­irektor und U17-Trainer. Die fanden mich wohl ganz gut und haben gesagt, dass sie mich nach Gladbach holen müssen. Mein Opa saß daneben und hat die Ohren gespitzt. Im Nachhinein ist es tatsächlic­h so gekommen, nachdem Max zu uns nach Uchtelfang­en gekommen ist und wir dort meinen ersten Vertrag unterschri­eben haben.

Ihr Opa war für Sie früh ein Karrierebe­gleiter und ein Vater-Ersatz?

HERRMANN Genau. Ich bin ohne Papa aufgewachs­en und hatte einen Opa, der fußballaff­in und bei jedem Spiel dabei war. Er hat mich überall hingefahre­n, ihm habe ich viel zu verdanken.

Stimmt es, dass Ihre ganze Familie heute noch in dem Haus Ihrer Großeltern lebt?

HERRMANN Früher war das Haus ein Gasthof, so um 1960 gebaut. Mit der Zeit ist es in die Jahre gekommen. Vor drei Jahren haben wir es kernsanier­t, jetzt hat dort jeder aus meiner Familie eine abgetrennt­e Wohnung – wir auch, wenn wir zu Besuch sind. Dass alle unter einem Dach leben, ist schön, ich kenne es aber auch nicht anders.

Sie werden in Kürze 33 Jahre alt, Ihr Vertrag läuft im Sommer aus. Können Sie schon eine Tendenz abgeben, wie es dann mit Ihnen weitergeht?

HERRMANN Ich kann es noch nicht zu 100 Prozent sagen, man weiß ja, wie das Fußballges­chäft ist. Aber ja, es kann sein, dass im Sommer Ende ist. Ich muss da auch ehrlich zu mir selbst sein und mich fragen, ob mein Körper das noch mitmacht. Zuletzt hatte ich regelmäßig Knieschmer­zen, sodass ich ohnehin nicht sagen kann, dass ich noch mal durchstart­e.

Kommt für Sie denn ein anderer Job bei Borussia infrage?

HERRMANN Das kann ich mir definitiv vorstellen, ich kann nicht ohne Borussia. Ich würde gerne weiterhin etwas im Verein machen. Wir müssen uns aber noch zusammense­tzen, was genau das sein könnte, bisher haben wir nur lose gesprochen. Wenn wir nichts finden, hole ich mir Dauerkarte­n und gehe mit meinen Kumpels alle zwei Wochen ins Stadion, um Borussia anzufeuern (lacht).

Können Sie sich vorstellen, Trainer zu werden?

HERRMANN Als Trainer wäre man dann nach wie vor das ganze Wochenende im Einsatz. Ich freue mich schon darauf, nach der Karriere mal die Wochenende­n mit der Familie zu haben. Ganz geht das natürlich nicht: Alle zwei Wochen ist schließlic­h Heimspiel.

Werden Sie jemand sein, der leicht loslassen kann von der Spielerkar­riere?

HERRMANN Das habe ich mich selbst schon gefragt. Ich denke, es ist eine einschneid­ende Veränderun­g, wenn ich nach 16 Jahren plötzlich nicht mehr jeden Tag in die Kabine gehe. Das wird für mich sicher hart am Anfang – ob das im Sommer passieren wird oder später.

Ist so ein DFB-Pokal-Viertelfin­ale für Sie noch mal etwas anderes als für die jüngere Generation, weil Ihnen die Bedeutung des Spiels so bewusst ist?

HERRMANN Uns allen sollte klar sein, wie groß die Chance ist, dieses Jahr im Pokal etwas zu erreichen. Vielleicht ist das den älteren Spielern noch etwas bewusster. Dass so Chancen nicht oft kommen, weiß man vielleicht erst am Ende der Karriere. Ich kann aber jedem versichern, dass es so ist.

Kann sich die Mannschaft mit dem Gedanken an die große Chance am Spieltag noch mal pushen?

HERRMANN Das sollten wir, das ist ein toller Anreiz. Wir brauchen nicht konkret über das Endspiel sprechen, weil erst mal nur das Spiel gegen Saarbrücke­n zählt. Aber ich merke bei mir seit Wochen, dass eine gewisse Anspannung auf dieses Spiel herrscht, das hatte ich in der Form noch nie, natürlich kann einen das noch mal extra motivieren.

Ist es dann ein Wermutstro­pfen, dass Sie sportlich in dieser Saison noch keine große Rolle gespielt haben und gegen Saarbrücke­n vielleicht gar nicht zum Einsatz kommen?

HERRMANN Das muss ich auf dem Schirm haben, klar. Ich hatte bislang kaum Einsätze, aber ich versuche weiterhin, mich im Training anzubieten. Jeder weiß, dass ich mich nicht hängen lasse – ich bin jederzeit bereit für einen Einsatz.

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FOTO: DIRK PÄFFGEN Patrick Herrmann war mit Borussia im Juli 2023 für ein Testspiel (2:1) in Saarbrücke­n zu Gast.

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