Abstiegsangst und Zukunftsvision
Mit großen Plänen war der Rheydter SV den Neustart in der A-Liga angegangen. Zwei Jahre später steht der Verein an der Schwelle zur Kreisliga B. Nun findet ein Umdenken statt, der Verein forciert einen neuen Ansatz mit Jugendspielern. Kann das funktionier
FUSSBALL-KREISLIGA A Welche Bedeutung der Rheydter SV besitzt, das hat Arian Gerguri schnell bemerkt. Nach seinem Einstand im Oktober, einem 2:1-Sieg gegen Venn, kamen drei Rentner auf ihn zu, beteuerten, sie kämen seit 30 Jahren zum RSV, hätten die großen Jahre miterlebt – und seien froh, dass wieder „Leben drin“sei. Quasi eine Einführung von Fans für den neuen Trainer. Wobei man das Gerguri gar nicht erzählen muss. Er selbst wuchs in Rheydt auf und kennt die Geschichte des Vereins. „Der RSV ist eine Marke, das motiviert noch mehr“, sagt Gerguri.
Das Vermächtnis ist groß: In den 1980er- und 1990er-Jahren war der Rheydter SV jahrelang Mitglied der drittklassigen Oberliga, in Sichtweite zur 2. Bundesliga, dazu mit großem Stadion und Zuschaueraufkommen. Diese Zeiten sind gewiss nicht zurückzuholen zum „Spö“. Ganz so trist wie die Gegenwart sollte es aber auch nicht zugehen: Der RSV überwintert als Drittletzter der A-Liga, der Absturz in die B-Liga ist bedrohlich nahe. Was ein Abstieg bedeuten würde? Gerguri muss durchpusten: „Katastrophe.“
Hinter dem Rheydter SV liegen zwei ereignisreiche Jahre: Der Rückzug aus der Bezirksliga, ein Neustart mit üppigem Kader und – letztendlich unerfüllten – Aufstiegsambitionen in der A-Liga, ein riesiger Umbruch im Sommer und eine schwierige Hinrunde in der aktuellen Spielzeit. „14 Tage vor Saisonstart haben uns acht Spieler verlassen, darunter fünf wichtige Spieler“, sagt Markus Horsch, Sportlicher Leiter. Interne Vorfälle seien dafür verantwortlich gewesen, näher will Horsch darauf nicht eingehen. Zu den Abgängen zählten mit Murat und Yavuz Ok, Swen Wilms und Salih Keskin jedoch wichtige Leistungsträger der Vorsaison. Dass man nicht wieder oben mitspielt, das war allen Beteiligten klar, doch mit dem sportlichen Existenzkampf hatte auch niemand gerechnet. „Die Mannschaft ist gar nicht so viel schlechter als in der Vorsaison, wir haben nur keine Ausnahmespieler mehr. Die Mannschaft ist talentiert, aber nicht stabil genug“, so Horsch.
Diese Beobachtungen mussten die Verantwortlichen in dieser Spielzeit immer wieder machen: Nirgendwo war der RSV wirklich chancenlos oder ließ sich abschießen, aber in den entscheidenden Momenten fehlten Reife, Cleverness und Ruhe. Horsch nennt exemplarisch die Partie gegen Rheindahlen, als man eine 3:0-Führung in der zweiten Halbzeit verspielte und 3:4 verlor. Eine Woche später lag Rheydt bereits nach 14 Minuten 0:3 gegen Wickrathhahn zurück, ehe man befreit aufspielte und auf 3:3 herankam. Doch dann begann die Mannschaft wieder zu wackeln. „Mit dem 3:3 hatten wir plötzlich wieder etwas zu verlieren. Das hat man gemerkt“, sagt Horsch. Im Oktober gab dann Michael von Amelen sein Traineramt freiwillig ab.
„Du merkst einfach, es fehlt Erfahrung. Unser Kapitän Fabian Bohlen ist den Großteil der Hinrunde mit einem Rippen- und Zehenbruch ausgefallen. Die Spieler sind es zudem nicht gewohnt, gegen den Abstieg zu spielen. Das ist eine neue Situation. Dann ist auch noch der Trainer weg, ein neuer Trainer kommt, dazu neue Abläufe“, sagt Horsch.
Was Gerguri als Erstes an der Mannschaft auffiel: „Es herrschte
viel Nervosität unter den Spielern. Das hatte viel mit fehlendem Selbstvertrauen zu tun. Mir ging es erst einmal darum, den Druck von der Mannschaft zu nehmen.“Aus den sechs Spielen bis zur Winterpause holte er zwei Siege. Die Mannschaft wirkt inzwischen etwas stabiler, aber noch lange nicht gefestigt.
Gerguri will mit Akribie weiter daran arbeiten. Insbesondere die Arbeit mit Videomaterial nimmt künftig eine zentrale Rolle beim RSV ein, sowohl in der Gegnervorbereitung als auch in der Entwicklung der eigenen Spieler. Spieltage, der Trainingsbetrieb, alles wird gefilmt und soll anschließend in der Gruppe oder in Einzelgesprächen mit Spielern analysiert werden. „Gerade jungen Spielern kann man auf dem Video besser als an der Taktiktafel zeigen, wo sie sich verbessern können“, sagt Horsch. Gerguri ergänzt: „Es ist ein Investment in die Zukunft und ein Plus für die Spieler. Die Jungs waren zwar erst einmal baff, aber es kommt gut an.“Trotzdem werde
man dadurch nicht sofort besser, so der Trainer.
Das Schulen per Video steht im Einklang mit der neuen ausgegebenen Ausrichtung des Vereins. Denn künftig will der RSV schwerpunktmäßig jungen Spielern eine Perspektive bieten – eine Kehrtwende zum Ansatz der Vorsaison. Damals vereinte man vor allem namhafte Spieler aus der Region, um daraus ein schlagfertiges Team zu formen. Damit spielte man zwar bis zuletzt um den Aufstieg mit, besonders nachhaltig war dieser Weg jedoch nicht – und ist zum Teil mitverantwortlich für den gegenwärtigen Absturz. Vom Kader der Vorsaison sind nur wenige Spieler geblieben, drumherum musste die Mannschaft neu aufgebaut werden.
„Wir wollen nun einen anderen Weg gehen und Anreize für junge Spieler schaffen. Sie sollen von der Pike auf hier trainieren – und bestenfalls profitieren wir irgendwann davon, dass sie dann bei unseren Senioren spielen. Oder wir haben sie für größere Teams vorbereitet“,
sagt Horsch. Deswegen habe man auch Gerguri geholt, der zuvor ausschließlich im Jugendbereich tätig war, unter anderem beim 1. FC Viersen, dem SV Straelen und dem TSV Meerbusch.
Nur: Der Weg mit der Jugend klingt nach außen immer gut, diesen jedoch ernsthaft zu bestreiten und sich damit tatsächlich zu etablieren, das gelingt nur wenigen Vereinen. Das wird die Aufgabe für Horsch und Gerguri, dafür müssen sie optimale Voraussetzungen schaffen. „Wir müssen Wege finden, dass sich die jungen Spieler für uns entscheiden. Unsere Anlage ist bereits top. Das Drumherum ist noch verbesserungswürdig“, so Horsch. Zwar seien alle Jugendjahrgänge derzeit im Verein besetzt, doch personell müsse man sich noch breiter aufstellen. „Das hängt derzeit noch an zu wenigen Leuten. Aber das ist auch immer eine Geldfrage“, so Horsch. Mit Devran und Baran Özekinci, Erti Mucolli, Ahmed El Aboussi und Kouassi Elisee Kouadio kommen bereits fünf A-Jugendliche regelmäßig
zum Einsatz. Ein erster Schritt. „Wir müssen den Kader so gestalten, dass die jungen Spieler auch ihre Spiele bekommen. Das ist auch ein Zeichen nach außen“, sagt Gerguri.
Von Zielsetzungen, gekoppelt an Jahreszahlen, hat sich der Verein mittlerweile verabschiedet. Noch 2021 hatte man ausgerufen, 2025 „wieder oben in der Bezirksliga“mitspielen zu wollen. Dieser Plan ist krachend gescheitert – tabellarisch ist derzeit die B-Liga näher. „Mittelfristig wollen wir wieder Bezirksliga spielen. Aber ohne Jahresvorgabe. Wir wollen uns erst einmal mit der jungen Mannschaft entwickeln“, sagt Horsch. Nicht unwichtig ist dafür der Klassenverbleib in der A-Liga. Für mehr Erfahrung holte man unter anderem Mittelfeldspieler Hans Geiser von den Sportfreunden Neuwerk, von dem sich der Verein viel erhofft. „Ich bin überzeugt von der Mannschaft. Es fehlen nur die Ergebnisse. Vielleicht kann Geiser ein Unterschiedsspieler sind, für mehr Ruhe auf dem Platz“, so Horsch.