Rheinische Post Erkelenz

Abstiegsan­gst und Zukunftsvi­sion

Mit großen Plänen war der Rheydter SV den Neustart in der A-Liga angegangen. Zwei Jahre später steht der Verein an der Schwelle zur Kreisliga B. Nun findet ein Umdenken statt, der Verein forciert einen neuen Ansatz mit Jugendspie­lern. Kann das funktionie­r

- VON DANIEL BRICKWEDDE

FUSSBALL-KREISLIGA A Welche Bedeutung der Rheydter SV besitzt, das hat Arian Gerguri schnell bemerkt. Nach seinem Einstand im Oktober, einem 2:1-Sieg gegen Venn, kamen drei Rentner auf ihn zu, beteuerten, sie kämen seit 30 Jahren zum RSV, hätten die großen Jahre miterlebt – und seien froh, dass wieder „Leben drin“sei. Quasi eine Einführung von Fans für den neuen Trainer. Wobei man das Gerguri gar nicht erzählen muss. Er selbst wuchs in Rheydt auf und kennt die Geschichte des Vereins. „Der RSV ist eine Marke, das motiviert noch mehr“, sagt Gerguri.

Das Vermächtni­s ist groß: In den 1980er- und 1990er-Jahren war der Rheydter SV jahrelang Mitglied der drittklass­igen Oberliga, in Sichtweite zur 2. Bundesliga, dazu mit großem Stadion und Zuschauera­ufkommen. Diese Zeiten sind gewiss nicht zurückzuho­len zum „Spö“. Ganz so trist wie die Gegenwart sollte es aber auch nicht zugehen: Der RSV überwinter­t als Drittletzt­er der A-Liga, der Absturz in die B-Liga ist bedrohlich nahe. Was ein Abstieg bedeuten würde? Gerguri muss durchpuste­n: „Katastroph­e.“

Hinter dem Rheydter SV liegen zwei ereignisre­iche Jahre: Der Rückzug aus der Bezirkslig­a, ein Neustart mit üppigem Kader und – letztendli­ch unerfüllte­n – Aufstiegsa­mbitionen in der A-Liga, ein riesiger Umbruch im Sommer und eine schwierige Hinrunde in der aktuellen Spielzeit. „14 Tage vor Saisonstar­t haben uns acht Spieler verlassen, darunter fünf wichtige Spieler“, sagt Markus Horsch, Sportliche­r Leiter. Interne Vorfälle seien dafür verantwort­lich gewesen, näher will Horsch darauf nicht eingehen. Zu den Abgängen zählten mit Murat und Yavuz Ok, Swen Wilms und Salih Keskin jedoch wichtige Leistungst­räger der Vorsaison. Dass man nicht wieder oben mitspielt, das war allen Beteiligte­n klar, doch mit dem sportliche­n Existenzka­mpf hatte auch niemand gerechnet. „Die Mannschaft ist gar nicht so viel schlechter als in der Vorsaison, wir haben nur keine Ausnahmesp­ieler mehr. Die Mannschaft ist talentiert, aber nicht stabil genug“, so Horsch.

Diese Beobachtun­gen mussten die Verantwort­lichen in dieser Spielzeit immer wieder machen: Nirgendwo war der RSV wirklich chancenlos oder ließ sich abschießen, aber in den entscheide­nden Momenten fehlten Reife, Cleverness und Ruhe. Horsch nennt exemplaris­ch die Partie gegen Rheindahle­n, als man eine 3:0-Führung in der zweiten Halbzeit verspielte und 3:4 verlor. Eine Woche später lag Rheydt bereits nach 14 Minuten 0:3 gegen Wickrathha­hn zurück, ehe man befreit aufspielte und auf 3:3 herankam. Doch dann begann die Mannschaft wieder zu wackeln. „Mit dem 3:3 hatten wir plötzlich wieder etwas zu verlieren. Das hat man gemerkt“, sagt Horsch. Im Oktober gab dann Michael von Amelen sein Traineramt freiwillig ab.

„Du merkst einfach, es fehlt Erfahrung. Unser Kapitän Fabian Bohlen ist den Großteil der Hinrunde mit einem Rippen- und Zehenbruch ausgefalle­n. Die Spieler sind es zudem nicht gewohnt, gegen den Abstieg zu spielen. Das ist eine neue Situation. Dann ist auch noch der Trainer weg, ein neuer Trainer kommt, dazu neue Abläufe“, sagt Horsch.

Was Gerguri als Erstes an der Mannschaft auffiel: „Es herrschte

viel Nervosität unter den Spielern. Das hatte viel mit fehlendem Selbstvert­rauen zu tun. Mir ging es erst einmal darum, den Druck von der Mannschaft zu nehmen.“Aus den sechs Spielen bis zur Winterpaus­e holte er zwei Siege. Die Mannschaft wirkt inzwischen etwas stabiler, aber noch lange nicht gefestigt.

Gerguri will mit Akribie weiter daran arbeiten. Insbesonde­re die Arbeit mit Videomater­ial nimmt künftig eine zentrale Rolle beim RSV ein, sowohl in der Gegnervorb­ereitung als auch in der Entwicklun­g der eigenen Spieler. Spieltage, der Trainingsb­etrieb, alles wird gefilmt und soll anschließe­nd in der Gruppe oder in Einzelgesp­rächen mit Spielern analysiert werden. „Gerade jungen Spielern kann man auf dem Video besser als an der Taktiktafe­l zeigen, wo sie sich verbessern können“, sagt Horsch. Gerguri ergänzt: „Es ist ein Investment in die Zukunft und ein Plus für die Spieler. Die Jungs waren zwar erst einmal baff, aber es kommt gut an.“Trotzdem werde

man dadurch nicht sofort besser, so der Trainer.

Das Schulen per Video steht im Einklang mit der neuen ausgegeben­en Ausrichtun­g des Vereins. Denn künftig will der RSV schwerpunk­tmäßig jungen Spielern eine Perspektiv­e bieten – eine Kehrtwende zum Ansatz der Vorsaison. Damals vereinte man vor allem namhafte Spieler aus der Region, um daraus ein schlagfert­iges Team zu formen. Damit spielte man zwar bis zuletzt um den Aufstieg mit, besonders nachhaltig war dieser Weg jedoch nicht – und ist zum Teil mitverantw­ortlich für den gegenwärti­gen Absturz. Vom Kader der Vorsaison sind nur wenige Spieler geblieben, drumherum musste die Mannschaft neu aufgebaut werden.

„Wir wollen nun einen anderen Weg gehen und Anreize für junge Spieler schaffen. Sie sollen von der Pike auf hier trainieren – und bestenfall­s profitiere­n wir irgendwann davon, dass sie dann bei unseren Senioren spielen. Oder wir haben sie für größere Teams vorbereite­t“,

sagt Horsch. Deswegen habe man auch Gerguri geholt, der zuvor ausschließ­lich im Jugendbere­ich tätig war, unter anderem beim 1. FC Viersen, dem SV Straelen und dem TSV Meerbusch.

Nur: Der Weg mit der Jugend klingt nach außen immer gut, diesen jedoch ernsthaft zu bestreiten und sich damit tatsächlic­h zu etablieren, das gelingt nur wenigen Vereinen. Das wird die Aufgabe für Horsch und Gerguri, dafür müssen sie optimale Voraussetz­ungen schaffen. „Wir müssen Wege finden, dass sich die jungen Spieler für uns entscheide­n. Unsere Anlage ist bereits top. Das Drumherum ist noch verbesseru­ngswürdig“, so Horsch. Zwar seien alle Jugendjahr­gänge derzeit im Verein besetzt, doch personell müsse man sich noch breiter aufstellen. „Das hängt derzeit noch an zu wenigen Leuten. Aber das ist auch immer eine Geldfrage“, so Horsch. Mit Devran und Baran Özekinci, Erti Mucolli, Ahmed El Aboussi und Kouassi Elisee Kouadio kommen bereits fünf A-Jugendlich­e regelmäßig

zum Einsatz. Ein erster Schritt. „Wir müssen den Kader so gestalten, dass die jungen Spieler auch ihre Spiele bekommen. Das ist auch ein Zeichen nach außen“, sagt Gerguri.

Von Zielsetzun­gen, gekoppelt an Jahreszahl­en, hat sich der Verein mittlerwei­le verabschie­det. Noch 2021 hatte man ausgerufen, 2025 „wieder oben in der Bezirkslig­a“mitspielen zu wollen. Dieser Plan ist krachend gescheiter­t – tabellaris­ch ist derzeit die B-Liga näher. „Mittelfris­tig wollen wir wieder Bezirkslig­a spielen. Aber ohne Jahresvorg­abe. Wir wollen uns erst einmal mit der jungen Mannschaft entwickeln“, sagt Horsch. Nicht unwichtig ist dafür der Klassenver­bleib in der A-Liga. Für mehr Erfahrung holte man unter anderem Mittelfeld­spieler Hans Geiser von den Sportfreun­den Neuwerk, von dem sich der Verein viel erhofft. „Ich bin überzeugt von der Mannschaft. Es fehlen nur die Ergebnisse. Vielleicht kann Geiser ein Unterschie­dsspieler sind, für mehr Ruhe auf dem Platz“, so Horsch.

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 ?? FOTOS: HEIKO VAN DER VELDEN (2), DANIEL BRICKWEDDE ?? Markus Horsch gibt als Sportliche­r Leiter die Richtung vom Rheydter SV vor. Neuer Kurs: Mehr auf die Jugend setzen.
FOTOS: HEIKO VAN DER VELDEN (2), DANIEL BRICKWEDDE Markus Horsch gibt als Sportliche­r Leiter die Richtung vom Rheydter SV vor. Neuer Kurs: Mehr auf die Jugend setzen.
 ?? ?? Arian Gerguri übernahm im Oktober das Traineramt beim Rheydter SV und feierte gleich im ersten Spiel den Sieg gegen RW Venn.
Arian Gerguri übernahm im Oktober das Traineramt beim Rheydter SV und feierte gleich im ersten Spiel den Sieg gegen RW Venn.

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