Hat die Seestadt ein Lärm-Problem?
Das Urteil des OVG, das den Bebauungsplan für die Seestadt für unwirksam erklärt hat, zeigt durchgreifende Mängel auf, was Lärmschutz und Geschossigkeit angeht. Es geht um Schlafzimmerfenster und Ausnahmen, die zur Regel werden sollten.
Das größte Wohnungsbauprojekt in Mönchengladbach, die Seestadt, ruht. Gebaut wird nicht, nachdem das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster den gesamten Bebauungsplan im November in einem Normenkontrollverfahren auf Antrag einer benachbarten Kfz-Werkstatt für unwirksam erklärt hat. Nun versuchen sowohl die Stadt als auch Investor Catella, mit dem Urteil umzugehen und das Großprojekt zu retten. Catella-Chef Klaus Franken besucht etwa derzeit die Ratsfraktionen um aufzuzeigen, wie die Mängel zu lösen seien. Franken spricht von „handwerklichen Fehlern, die zu heilen sind“und von „formellen Problemen“. Und die Stadt will nun ein „rechtssicheres Verfahren finden, um so zügig wie möglich die planungsrechtlichen Grundlagen für die weitere Seestadt-Entwicklung wiederherzustellen“. Man habe die Kritikpunkte des Gerichts geprüft und juristisch bewertet, teilte ein Stadtsprecher mit. Auf die Politik wolle man zeitnah wieder mit konkreten Vorschlägen zum weiteren Vorgehen zukommen.
Aber was genau hat das Gericht eigentlich gerügt? Teile des 56 Seiten langen Urteils, das unserer Redaktion vorliegt, sind eindeutig
und führen „durchgreifende Mängel“an. Es geht um Festsetzungen zu Geschossigkeiten und zum Lärmschutz. Einerseits missfiel den Richtern, wie die Stadt versucht hat, mit dem auftretenden Lärm von den Schienen nördlich der Seestadt umzugehen. Und andererseits weise die Behandlung der Eigentumsbelange der Kläger, Betreiber einer KfzWerkstatt, „beachtliche Fehler“auf, heißt es in dem Urteil.
Die Stadt nämlich hat in einem bestimmten Bereich der Seestadt den Einbau von Fenstern in solchen Räumen ausgeschlossen, die zum Schlafen genutzt werden können – eben wegen des Schienenlärms. Das Gericht kommt aber zu dem Schluss, dass damit zugleich regelhaft ausgeschlossen sei, „dass sich in diesen Bereichen Wohnnutzung etabliert“. Die Regelung laufe auf ein Verbot von Schlafräumen hinaus, die nun einmal ohne Fenster nicht vorstellbar seien: „Ohne Schlafraum ist eine Wohnnutzung indes unzulässig.“Das Gericht geht davon aus, dass vor allem im Norden des Gebiets der Schienenlärm (in der Fachsprache sind das die festgestellten Isophone) so groß sei, „dass nicht davon auszugehen ist, dass sich hier durch angepasste Grundrissgestaltung Wohnnutzung in nennenswertem Umfang etablieren könnte“. Wenn
dort aber eine andere Nutzung etabliert werden solle, dann würde das in Widerspruch zum festgesetzten Gebietscharakter stehen. „Die Regel über den Ausschluss von Fenstern zu möglichen Schlafräumen konterkariert also die planerische Zielsetzung“, so der Senat.
Dem wollte die Stadt mit Ausnahmen bei den zu erteilenden Baugenehmigungen begegnen. In gewissem Rahmen ist das nicht unüblich. Dem erteilte der Senat aber eine Absage. Die Richter rügen: „Wenn die Ordnungsfunktion des Bebauungsplans nicht aufgegeben werden soll, muss das Regel-Ausnahme-Verhältnis gewahrt bleiben.“Sprich: Die Ausnahme wäre zur Regel geworden. „Die Ausnahmemöglichkeit kann deshalb nicht so weit reichen, dass sie die eigentliche planerische Festsetzung – den regelhaften Ausschluss von Fenstern zu möglichen Schlafräumen – in ihr Gegenteil verkehrt.“Catella-Chef Franken betont, es gebe kein Lärmproblem, da auf den Schienen zugewandten Seiten keine Wohnräume, sondern Küchen, Bäder, Treppenräume geplant seien – und zudem auch „keine ICE mit 225 km/h vorbeisausen. Es gibt kein faktisches, sondern ein rechtliches Problem, das aufgearbeitet werden muss“, sagt Franken.
Auch kritisiert das Gericht, dass das Schutzniveau der Wohnbevölkerung falsch gewählt sei: 60 Dezibel (A) seien als Grenze gesetzt worden, jenseits derer die Planung den Grenzbereich zur Gesundheitsgefährdung zieht. „Diese liegt weit oberhalb derjenigen Werte, die nach den für die Beurteilung von Verkehrslärm einschlägigen Regelwerken auch aus Gründen des vorsorgenden Gesundheitsschutzes als regelhaft (noch) wohngebietsverträglich oder wohnverträglich angesehen werden“, so der Senat.
Die Folge: „Danach sind im Zusammenspiel mit der zugehörigen Isophone (Anm.: also dem Schienenlärm) in weiten Teilen des Plangebiets insbesondere öffenbare Fenster oder sonstige Öffnungen zu Aufenthaltsräumen von Wohnungen und sonstigen schutzbedürftigen Räumen unzulässig. Auch insoweit lässt sich festhalten, dass hier eine Wohn- und Büronutzung ausgehend vom Wortlaut regelhaft ausgeschlossen und regelungstechnisch nur über eine Ausnahme zugelassen werden soll.“
Zweiter Kritikpunkt sind die Vorgaben des Bebauungsplans zur Mindestgeschosszahl. Je nach Bereich liegt diese zwischen vier und sechs Geschossen. Das aber ist deutlich mehr, als die vorhandene Bebauung der Kfz-Werkstatt hat. Diese Bauten haben Bestandsschutz, das sei nicht ausreichend berücksichtigt worden: Damit sei eine Neuerrichtung oder wesentliche Änderung auf dem Grundstück der Kläger nicht mehr möglich, sondern nur im Rahmen einer mindestens viergeschossigen und damit deutlich teureren Bebauung. Diese Mindestfestsetzung ist eine Einschränkung der Baufreiheit, das hätte deutlich abgewogen werden müssen: „Dem genügt die Abwägung der Antragsgegnerin nicht.“Das Gericht kommt zu dem Schluss: „Die aufgezeigten Mängel sind beachtlich“– und führten demnach zur Gesamtunwirksamkeit des Bebauungsplans.
Catella-Chef Franken sagt dazu: „Es soll jetzt einen aktiven Bestandsschutz geben, dass der Eigentümer auch wieder zweigeschossig bauen darf. Das war bisher nicht so. Wir wollen eine gute Nachbarschaft, der Betrieb stört uns nicht.“Bis zum Sommer, so Frankens Vorstellung, seit das Ziel, mit den Veränderungen im Bebauungsplan fertig zu sein – samt Offenlage und Beschluss.
Der erste Bauabschnitt zur Seestadt steht nun bereits, dafür liegt auch eine Baugenehmigung vor. Aber auch dagegen geht der Kläger beim Verwaltungsgericht Düsseldorf vor. Über diese Klage ist aber noch nicht entschieden.