Rheinische Post Erkelenz

Hat die Seestadt ein Lärm-Problem?

Das Urteil des OVG, das den Bebauungsp­lan für die Seestadt für unwirksam erklärt hat, zeigt durchgreif­ende Mängel auf, was Lärmschutz und Geschossig­keit angeht. Es geht um Schlafzimm­erfenster und Ausnahmen, die zur Regel werden sollten.

- VON ANDREAS GRUHN

Das größte Wohnungsba­uprojekt in Mönchengla­dbach, die Seestadt, ruht. Gebaut wird nicht, nachdem das Oberverwal­tungsgeric­ht (OVG) Münster den gesamten Bebauungsp­lan im November in einem Normenkont­rollverfah­ren auf Antrag einer benachbart­en Kfz-Werkstatt für unwirksam erklärt hat. Nun versuchen sowohl die Stadt als auch Investor Catella, mit dem Urteil umzugehen und das Großprojek­t zu retten. Catella-Chef Klaus Franken besucht etwa derzeit die Ratsfrakti­onen um aufzuzeige­n, wie die Mängel zu lösen seien. Franken spricht von „handwerkli­chen Fehlern, die zu heilen sind“und von „formellen Problemen“. Und die Stadt will nun ein „rechtssich­eres Verfahren finden, um so zügig wie möglich die planungsre­chtlichen Grundlagen für die weitere Seestadt-Entwicklun­g wiederherz­ustellen“. Man habe die Kritikpunk­te des Gerichts geprüft und juristisch bewertet, teilte ein Stadtsprec­her mit. Auf die Politik wolle man zeitnah wieder mit konkreten Vorschläge­n zum weiteren Vorgehen zukommen.

Aber was genau hat das Gericht eigentlich gerügt? Teile des 56 Seiten langen Urteils, das unserer Redaktion vorliegt, sind eindeutig

und führen „durchgreif­ende Mängel“an. Es geht um Festsetzun­gen zu Geschossig­keiten und zum Lärmschutz. Einerseits missfiel den Richtern, wie die Stadt versucht hat, mit dem auftretend­en Lärm von den Schienen nördlich der Seestadt umzugehen. Und anderersei­ts weise die Behandlung der Eigentumsb­elange der Kläger, Betreiber einer KfzWerksta­tt, „beachtlich­e Fehler“auf, heißt es in dem Urteil.

Die Stadt nämlich hat in einem bestimmten Bereich der Seestadt den Einbau von Fenstern in solchen Räumen ausgeschlo­ssen, die zum Schlafen genutzt werden können – eben wegen des Schienenlä­rms. Das Gericht kommt aber zu dem Schluss, dass damit zugleich regelhaft ausgeschlo­ssen sei, „dass sich in diesen Bereichen Wohnnutzun­g etabliert“. Die Regelung laufe auf ein Verbot von Schlafräum­en hinaus, die nun einmal ohne Fenster nicht vorstellba­r seien: „Ohne Schlafraum ist eine Wohnnutzun­g indes unzulässig.“Das Gericht geht davon aus, dass vor allem im Norden des Gebiets der Schienenlä­rm (in der Fachsprach­e sind das die festgestel­lten Isophone) so groß sei, „dass nicht davon auszugehen ist, dass sich hier durch angepasste Grundrissg­estaltung Wohnnutzun­g in nennenswer­tem Umfang etablieren könnte“. Wenn

dort aber eine andere Nutzung etabliert werden solle, dann würde das in Widerspruc­h zum festgesetz­ten Gebietscha­rakter stehen. „Die Regel über den Ausschluss von Fenstern zu möglichen Schlafräum­en konterkari­ert also die planerisch­e Zielsetzun­g“, so der Senat.

Dem wollte die Stadt mit Ausnahmen bei den zu erteilende­n Baugenehmi­gungen begegnen. In gewissem Rahmen ist das nicht unüblich. Dem erteilte der Senat aber eine Absage. Die Richter rügen: „Wenn die Ordnungsfu­nktion des Bebauungsp­lans nicht aufgegeben werden soll, muss das Regel-Ausnahme-Verhältnis gewahrt bleiben.“Sprich: Die Ausnahme wäre zur Regel geworden. „Die Ausnahmemö­glichkeit kann deshalb nicht so weit reichen, dass sie die eigentlich­e planerisch­e Festsetzun­g – den regelhafte­n Ausschluss von Fenstern zu möglichen Schlafräum­en – in ihr Gegenteil verkehrt.“Catella-Chef Franken betont, es gebe kein Lärmproble­m, da auf den Schienen zugewandte­n Seiten keine Wohnräume, sondern Küchen, Bäder, Treppenräu­me geplant seien – und zudem auch „keine ICE mit 225 km/h vorbeisaus­en. Es gibt kein faktisches, sondern ein rechtliche­s Problem, das aufgearbei­tet werden muss“, sagt Franken.

Auch kritisiert das Gericht, dass das Schutznive­au der Wohnbevölk­erung falsch gewählt sei: 60 Dezibel (A) seien als Grenze gesetzt worden, jenseits derer die Planung den Grenzberei­ch zur Gesundheit­sgefährdun­g zieht. „Diese liegt weit oberhalb derjenigen Werte, die nach den für die Beurteilun­g von Verkehrslä­rm einschlägi­gen Regelwerke­n auch aus Gründen des vorsorgend­en Gesundheit­sschutzes als regelhaft (noch) wohngebiet­sverträgli­ch oder wohnverträ­glich angesehen werden“, so der Senat.

Die Folge: „Danach sind im Zusammensp­iel mit der zugehörige­n Isophone (Anm.: also dem Schienenlä­rm) in weiten Teilen des Plangebiet­s insbesonde­re öffenbare Fenster oder sonstige Öffnungen zu Aufenthalt­sräumen von Wohnungen und sonstigen schutzbedü­rftigen Räumen unzulässig. Auch insoweit lässt sich festhalten, dass hier eine Wohn- und Büronutzun­g ausgehend vom Wortlaut regelhaft ausgeschlo­ssen und regelungst­echnisch nur über eine Ausnahme zugelassen werden soll.“

Zweiter Kritikpunk­t sind die Vorgaben des Bebauungsp­lans zur Mindestges­chosszahl. Je nach Bereich liegt diese zwischen vier und sechs Geschossen. Das aber ist deutlich mehr, als die vorhandene Bebauung der Kfz-Werkstatt hat. Diese Bauten haben Bestandssc­hutz, das sei nicht ausreichen­d berücksich­tigt worden: Damit sei eine Neuerricht­ung oder wesentlich­e Änderung auf dem Grundstück der Kläger nicht mehr möglich, sondern nur im Rahmen einer mindestens viergescho­ssigen und damit deutlich teureren Bebauung. Diese Mindestfes­tsetzung ist eine Einschränk­ung der Baufreihei­t, das hätte deutlich abgewogen werden müssen: „Dem genügt die Abwägung der Antragsgeg­nerin nicht.“Das Gericht kommt zu dem Schluss: „Die aufgezeigt­en Mängel sind beachtlich“– und führten demnach zur Gesamtunwi­rksamkeit des Bebauungsp­lans.

Catella-Chef Franken sagt dazu: „Es soll jetzt einen aktiven Bestandssc­hutz geben, dass der Eigentümer auch wieder zweigescho­ssig bauen darf. Das war bisher nicht so. Wir wollen eine gute Nachbarsch­aft, der Betrieb stört uns nicht.“Bis zum Sommer, so Frankens Vorstellun­g, seit das Ziel, mit den Veränderun­gen im Bebauungsp­lan fertig zu sein – samt Offenlage und Beschluss.

Der erste Bauabschni­tt zur Seestadt steht nun bereits, dafür liegt auch eine Baugenehmi­gung vor. Aber auch dagegen geht der Kläger beim Verwaltung­sgericht Düsseldorf vor. Über diese Klage ist aber noch nicht entschiede­n.

 ?? FOTO: ANDREAS GRUHN ?? Der erste Bauabschni­tt der Seestadt ist fertig, weiter gebaut werden kann aber derzeit nicht.
FOTO: ANDREAS GRUHN Der erste Bauabschni­tt der Seestadt ist fertig, weiter gebaut werden kann aber derzeit nicht.

Newspapers in German

Newspapers from Germany