Kaesbach-Stiftung ist wichtig für die Stadt
Beim Vortrag im Museum Abteiberg hob Hans Schürings die gesellschaftspolitischen Aspekte der Sammlung hervor. Er sprach über den Willen zum Aufbruch in politisch schwieriger Zeit.
Der Wikipedia-Eintrag zur Kaesbach-Stiftung ist falsch. „Anders als dort dargestellt, wurde die Sammlung nicht an die Stadt übergeben, sondern an einen neu gegründeten Kunstverein“, sagte Hans Schürings zu Beginn seines gut besuchten Vortrags im Museum Abteiberg. Das langjährige Mitglied im Museumsverein referierte zum Thema „Aufbruch ins moderne Mönchengladbach. Über den Willen zur Modernität während der Inflationszeit – am Beispiel der Kaesbach-Stiftung“. Dafür wählte der Mitbegründer der Geschichtswerkstatt Mönchengladbach einen gesellschaftspolitischen und kulturhistorischen Zugang. Uwe Hillekamp vom Museumsverein hatte zuvor den Historiker als guten Freund begrüßt. Die Aufmerksamkeit zum 100-jährigen Bestehen der Kaesbach-Sammlung habe nochmals bewusst gemacht, dass der Kunsthistoriker für seine Heimatstadt eine große Avantgarde-Geschichte geplant hatte, sagte Museumschefin Susanne Titz.
Schürings konzentrierte seinen Vortrag auf den ersten Teil der Stiftung mit 97 Werken der Künstler Erich Heckel, Emil Nolde, Lyonel Feininger, Heinrich Nauen und Christian
Rohlfs. Zunächst entwarf er ein Bild der politischen Verhältnisse der Zeit. Zum Thema „100 Jahre Inflation“sei ihm aufgefallen, dass nach dem ersten Weltkrieg in Deutschland ein künstlerischer Aufbruch herrschte, obwohl die Verhältnisse mit Hyperinflation, großer Wohnungsnot und hoher Arbeitslosigkeit erdrückend waren.
Mit der Sammlung habe 1922 für die damals noch junge Großstadt eine neue Zeitrechnung begonnen. Doch schon vor der Stiftung habe es die Auseinandersetzung mit dem Expressionismus gegeben. Allerdings hätten dafür Mäzene gefehlt. Es habe zwar Anstrengungen gegeben, die heimatliche Identität zu bewahren. Musik- und Konzertleben sowie Chöre seien gefördert worden, nicht aber das Städtische Museum. Im Februar
1922 aber meldete die Westdeutsche Landeszeitung Mönchengladbachs „Auf dem Wege zur Kunststadt“. Zehn Monate später wurde ausdrücklich die Kaesbach-Sammlung genannt. Voraussetzungen für die Entwicklung seien Aktivitäten der Gilde werktätiger Künstler und der Arbeitsgemeinschaft der „Kunstfreunde im München Gladbacher Industriebezirk“gewesen sowie der Einsatz von Akteuren für ein modernes Mönchengladbach.
Schürings sprach über den Berliner Arbeitsrat für Kunst als Denkfabrik für den kulturellen Aufbruch in Deutschland. Kaesbach habe zu den Unterzeichnern des Programms für die Abschaffung einer institutionalisierten und elitären Kunst gehört. Unter dem Einfluss aus Berlin bildeten sich in verschiedenen Städten
Künstlergruppen – in Mönchengladbach die Gilde werktätiger Künstler mit dem Vorsitzenden Heinrich Sturm. Der rief 1921 die Arbeitsgemeinschaft der Kunstfreunde ins Leben. Die habe größere Ausstrahlung, ein breiteres Spektrum als die Gilde gehabt und Kulturarbeit im eigentlichen Sinne betrieben.
Schürings stellte Persönlichkeiten der Stadt und auswärtige Unterstützer vor, wie Ernst Aschaffenburg und den Kunstmäzen Karl Ernst Osthaus, die Anteil am Aufbruch in die Moderne hatten. Der Architekt und Berufsschullehrer Heinrich Sturm sei einer der wichtigsten Männer im Mönchengladbach der Weimarer Zeit gewesen. Paul Zimmer, Mitglied der Gilde und Vorsitzender des für die Stiftung neu gegründeten Kunstvereins, habe zu den Fürsprechern für den Bau einer Gemäldegalerie gehört.
Der Referent äußerte die Vermutung, dass Kaesbach als Direktor des Museums in Erfurt seine Sammelleidenschaft nicht habe weiterbetreiben können oder dürfen. Daher habe er womöglich die expressionistische Sammlung abgeben und der Heimatstadt zukommen lassen wollen. Zur Ausstellungseröffnung im Haus Erholung am 9. Dezember 1922 sei viel Prominenz gekommen. Die Unterbringung der Sammlung aber war bei der Übergabe an den Kunstverein nicht gesichert. Die Idee von der Brandt’schen Villa als Ort für die Sammlung wurde verworfen. Pläne für den Neubau einer Gemäldegalerie scheiterten. Die Unterbringung im früheren Städtischen Museum am Fliescherberg war eine Notlösung. Der Anspruch, die Sammlung einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen, erfüllte sich zunächst nicht.