Rheinische Post Erkelenz

Weißes Grab

Vor 25 Jahren herrschte in den Alpen sechs Wochen eine außergewöh­nliche Wetterlage: Galtür versank im Schnee, es kam zur Katastroph­e. Viele Urlauber starben in einer gewaltigen Lawine. Doch es gab auch Lichtblick­e.

- VON MATTHIAS RÖDER

(dpa) Walter Strolz hatte im Februar 1999 gerade seinen Hubschraub­er aufgetankt, als er einen Funkspruch mithörte. Einen Tag nach dem katastroph­alen Lawinenung­lück von Galtür war eine riesige Staublawin­e auch auf den benachbart­en Weiler Valzur niedergega­ngen. „Kannst du noch fliegen?“, wurde der damals 36-jährige Bezirksins­pektor der Polizei gefragt.

Strolz, der die Region im Westen von Tirol als Bergsteige­r und Bergführer bestens kennt, traute sich. Er tastete sich im fahlen Mondlicht nur 50 Meter über dem Boden fliegend in das Unglücksta­l. „Es war nur noch eines der acht Häuser übrig. Davor standen verzweifel­te Eltern und vermissten ihre beiden Söhne in dem Gebäude“, erinnert sich Strolz 25 Jahre später. Kurz entschloss­en flog Strolz 60 Retter ein, die sich mit Schaufeln zu den im Haus Vermissten durchgrube­n. Beide Kinder, darunter ein Vierjährig­er, wurden lebend geborgen.

Es war die einzige gute Nachricht aus Valzur. Sieben andere Bewohner des Weilers starben. Ihre Häuser waren durch die Wucht der Schneemass­en zerstört und rund 100 Meter weit den Hang herunterge­spült worden. Durch das neuerliche Unglück stieg die Zahl der Menschen, die in Galtür und Valzur umkamen, auf 38.

Am 23. Februar 1999 waren in Galtür 31 Menschen, darunter 21 deutsche Urlauber, gestorben. Insgesamt kamen zwölf Kinder unter den Schneemass­en ums Leben. Die Opfer erstickten im Schnee oder erlitten tödliche Verletzung­en.

„Damals war es extrem, in der Form, dass es nicht mehr aufgehört hat zu schneien“, erinnert sich der damalige Kommunikat­ionsexpert­e des österreich­ischen Bundesheer­s, Thomas Schönherr, in einem Podcast der „Wiener Zeitung“. Was er beschreibt, ist eine außergewöh­nliche Wetterlage.

Bis Mitte Januar 1999 herrschte eher Schneemang­el in den Alpen. Dann setzte – mit nur kurzzeitig­en Unterbrech­ungen – mehrwöchig­er Dauerschne­efall ein, der die Schneedeck­e rund fünf Meter hoch auftürmte. Ein Meteorolog­e warnte wenige Tage vor dem Unglück im Fernsehen, dass erneut viel Neuschnee drohe, „und zwar genau dort, wo es in den letzten Tagen schon am meisten geschneit hat“.

Tausende von Touristen im Paznauntal saßen in der weißen Falle. Die einzige Zufahrtsst­raße war seit Ende Januar immer wieder gesperrt worden, eine Woche vor der Lawinenkat­astrophe war sie endgültig nicht mehr passierbar. Die Gäste in Galtür konnten wegen der gesperrten Pisten nicht mehr Skifahren. Sie wurden durch Belustigun­gen bei Laune gehalten: Am Unglücksta­g gab es ein Fassdauben­rennen am Dorfplatz.

Nur Minuten, nachdem die Teilnehmer und Zuschauer wieder in ihre Quartiere gegangen waren, donnerte eine gewaltige Lawine vom 2700 Meter hohen Grieskogel 1100 Höhenmeter hinab in den Ort. 120.000 bis 160.000 Tonnen Schnee machten alles nieder, was im Weg stand. Häuser wurden zu Bruchstein­en zermalmt, andere Gebäude schwer beschädigt, Straßen und Wege begraben. Eltern verloren ihre Kinder, Kinder wurden zu Waisen und Halbwaisen. „Galtür war deswegen so besonders belastend für

alle, weil extrem tragische Schicksale dabei herausgeko­mmen sind“, sagt die Psychologi­n Barbara Juen, die damals die Opfer betreut hat.

Da aufgrund des Wetters und der Dunkelheit nicht wie sonst üblich sofort Bergungsma­nnschaften eingefloge­n werden konnten, waren Einheimisc­he und Gäste eine ganze

Nacht lang auf sich allein gestellt. Alle versuchten, noch Überlebend­e unter dem bis zu acht Meter hohen Lawinenkeg­el zu finden. Ein Notlazaret­t wurde eingericht­et, in dem die Ärzte unter den Touristen die Verletzten betreuten. Insgesamt 22 Verschütte­te wurden lebend geborgen. Erst 15 Stunden nach der

Katastroph­e trafen die ersten Retter ein, denen sich ein Bild bot, das an ein Kriegsgebi­et erinnerte.

Es folgt die größte Luftbrücke in der Geschichte Österreich­s. 42 Hubschraub­er aus Österreich, Deutschlan­d, den USA und Frankreich transporti­erten laut späterer Bundesheer-Bilanz 18.000 Menschen – aus Galtür und dem ebenfalls eingeschne­iten Ischgl. Vielen ist die Erleichter­ung ins Gesicht geschriebe­n, als sie von den großen Helikopter­n bei inzwischen bestem Wetter in Sicherheit gebracht werden.

Strolz ist immer noch im Rettungsei­nsatz, kümmert sich als Hubschraub­erpilot bei der Polizei in Tirol um Wanderer und Bergsteige­r in Not, hilft bei der Suche nach Vermissten und muss manchmal auch Tote aus den Alpen bergen. An die Katastroph­e von damals wird er hin und wieder in schöner Weise erinnert: Dann trinkt er einen Kaffee mit dem heute 29-Jährigen aus Valzur, dem er damals mit seinem wagemutige­n Flug das Leben gerettet hat.

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FOTO: DPA 24. Februar 1999: Rettungsma­nnschaften suchen nach der Lawinenkat­astrophe in der österreich­ischen Urlauberho­chburg Galtür nach Verschütte­ten.
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FOTO: MATTHIAS BLIEM-SAUERMANN/DPA Anton Mattle, damals Bürgermeis­ter von Galtür, steht vor dem Unglücksha­ng.

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