Wie es kam, dass Ahmad wieder kauen kann
Oft werden verletzte oder kranke Kinder aus Kriegs- und Krisengebieten in Gladbach behandelt.
Ahmad stammt aus Afghanistan. Der Elfjährige ist gesund, hat aber ein Problem: Er kann nicht richtig essen, denn dazu bekommt er seinen Mund nicht weit genug auf. Der Grund: Als kleines Kind ist er von einem Dach gestürzt, auf sein Kinn gefallen und hat sich dabei das Kiefergelenk gebrochen. Die Verletzung konnte in seinem Heimatland nicht behandelt werden, dort fehlt die Versorgung. Ohne medizinische Behandlung wuchsen Ahmads Unterkiefer und seine Schädelbasis zusammen. Kiefergelenksankylose nennen Mediziner das. Kiefergelenksankylosen werden in der Literatur meist als posttraumatisch, seltener als entzündlich verursachte Erkrankung beschrieben.
Ahmad hat Glück im Unglück: Von der Oberhausener Hilfsorganisation Friedensdorf International wird er im November 2023 zur Therapie nach Deutschland geholt. „Wir sind seit den 1990er Jahren in Afghanistan aktiv und dort bekannt“, sagt Saskia Cosi vom Friedensdorf Oberhausen.
Die Organisation kooperiert vor Ort mit dem Roten Afghanischen Halbmond in Kabul, ein Verein vergleichbar mit dem Deutschen Roten Kreuz. Familien stellen ihre kranken Kinder den Mitarbeitern des Halbmondes vor, die entscheiden dann gemeinsam mit ihren Kollegen des Friedensdorfes, ob die kleinen Patienten in ihrer Heimat behandelt werden können oder zur Therapie in eine europäische Klinik fliegen müssen. Vor und nach ihrem Krankenhausaufenthalt werden die jungen Patienten im Friedensdorf betreut, bevor sie genesen in ihre Heimatländer zurückkehren. „Das Friedensdorf kann man sich wie eine Jugendherberge vorstellen“, sagt Cosi.
Am 2. Januar dieses Jahres fährt Cosi mit Ahmad zur Erstvorstellung in die Ambulanz der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie des Evangelischen Krankenhauses Bethesda. Das Haus kooperiert mit dem Friedensdorf. „Die Patienten werden nach Schweregrad, sozialen Aspekten und freien Kapazitäten in den kooperierenden Kliniken ausgewählt“, erklärt Professor Daniel Rothamel. Er ist Chefarzt der Mund, Kiefer- und Gesichtschirurgie im Bethesda.
Eine Woche nach Ahmads Erstvorstellung operieren er und sein Team den jungen Afghanen. In einer zweistündigen OP lösen sie Ahmads Unterkiefer wieder von der
Schädelbasis und formen ein neues Kiefergelenksköpfchen. Außerdem entnehmen sie ein wenig Faszie von einem großen Kaumuskel und legen diese in den Gelenkspalt ein, um das Gelenk geschmeidig zu machen.
Der Eingriff sei reibungslos verlaufen, resümiert Rothamel später: „Selbst die postoperativen Schmerzen waren in seinem Fall sehr gut beherrschbar.“Die „optimale, altersgerechte Mundöffnung von etwa drei Zentimetern“sei erreicht worden. Diese müsse nun mit Übungen weiter erhalten bleiben, sagt Rothamel. Nach der OP stehe im Friedensdorf für Ahmad daher ein intensives Training an, das dort bekannt sei. Rothamel geht davon aus, dass der Junge Ende Februar wieder nach Hause fliegen kann.
Die Behandlung kostet ansonsten 8000 Euro. Das Bethesda bietet diese Art Eingriff für FriedensdorfKinder einmal im Jahr kostenlos an. „Manche Eingriffe machen es nötig, dass die Patienten hierhin kommen. Bei weniger aufwendigen Eingriffen werden diese auch durch CharityEinsätze vor Ort erledigt“, so der Arzt.
Bei einer Kiefergelenksankylose gehe man in Deutschland direkt zum Kieferorthopäden, der versorge die Patienten mit einer Art Schiene, erklärt Rothamel: „Um die aus dem Mund nehmen zu können, etwa um zu essen, müssen die Kinder den Mund sehr weit aufmachen.“In der Folge bilde sich eine Art neues Kiefergelenk aus, so der Kieferchirurg. Um wieder normal essen zu können, musste Ahmad den Umweg über die Operation im Evangelischen Krankenhaus Bethesda der Johanniter machen. Die Erleichterung darüber, den Eingriff gut überstanden zu haben, steht dem Jungen deutlich ins Gesicht geschrieben.