Künstlerbedarf Ficht schließt seine Türen
Nach 74 Jahren schließt das Geschäft an der Lüpertzender Straße. 1950 wurde es als Schreibwarenladen am Berliner Platz gegründet.
Helmut Grosch hat sich einen Einkaufszettel gemacht: Kugelschreiber, Minen, Büroklammern, bunte Gummiringe in verschiedenen Größen. „55 Jahre kaufe ich hier schon ein“, sagt der 85-Jährige. Damals hat er sein Architekturbüro gegründet, das er inzwischen an seinen Sohn übergeben hat. „Hier haben wir immer unser ganzes Büromaterial und Zeichengeräte gekauft“, sagt der Senior. Jetzt ist der 85-Jährige zum letzten Mal Kunde in dem Geschäft unter den Arkaden an der Lüpertzender Straße. Künstlerbedarf und Schreibwaren Ficht schließt zum Ende des Monats. Am 29. Februar ist der letzte Verkaufstag.
Seit einiger Zeit sieht man am Schaufenster, dass die Tage des Fachgeschäfts gezählt sind: „Wir schliessen“steht auf einer großen Pappe mit einem traurigen Smiley. Statt ganzer Kassetten mit leuchtend bunten Stiften liegen nun ein paar Schnellhefter dort, das Modell einer alten Kasse steht darin und daneben ein Bild aus der Anfangszeit an der Lüpertzender Straße. „1963 sind wir hierhin gezogen“, sagt Edith Ficht-Quasten. „Davor war unser Geschäft um die Ecke am Berliner Platz im Geburtshaus meiner Mutter. Da, wo heute das Restaurant ist.“
1950 hatten die Eltern das Geschäft gegründet. Damals gab es dort noch ausschließlich Schreibwaren. Edith Ficht-Quasten und ihre drei Geschwister sind quasi in dem Laden aufgewachsen. „In dem Jahr, in dem mein Vater starb, habe ich meinen Schulabschluss gemacht“, berichtet die 72-Jährige. Ihre Ausbildung machte sie dann in dem Geschäft, das ihre Mutter weiterführte. 1967 war das.
Ihre fünf Jahre jüngere Schwester Angela wollte zuerst gar nicht mit ins Geschäft einsteigen. Sie machte eine Schreinerlehre. „Sie hat ein Händchen für das Handwerkliche“, sagt Edith Ficht-Quasten. Aber dann war das Schreinern doch nicht das Richtige und sie stieg ebenfalls in das Familienunternehmen ein.
Das handwerkliche Talent von Angela Ficht kam ihr im Geschäft
besonders zugute, als der Bereich des Künstlerbedarfs immer größer wurde. „Wir haben die Leinwände selbst auf Keilrahmen aufgespannt und Passepartouts zugeschnitten“, erinnert sich Ficht-Quasten. Damit waren auch Sondergrößen für die Kunden möglich.
Einige Moden und Trends beobachtete Ficht-Quasten in den vielen Jahren. „Früher kamen die Studentinnen der Fachhochschule für Bekleidung und Design mit ihren Entwürfen und kauften bei uns Fotokarton für die Präsentation“, berichtet die 72-Jährige. „In allen Farben haben sie die gekauft. Mit den Jahren wollten sie aber immer öfter Grautöne. Da kamen wohl ihre Entwürfe besser zur Geltung.“Nun kommen sie gar nicht mehr. Entwürfe werden am Computer
gemacht.
Der Lauf der Zeit hat auch das Fachgeschäft eingeholt. Schon vor Corona wandten sich einige Kunden vom lokalen Handel ab und kauften im Internet. Mit Corona kam dann endgültig das Aus. „Das hat uns den Garaus gemacht“, sagt Ficht-Quasten. „Die Nachfrage ging immer mehr zurück und irgendwann fragt man sich, warum man hier eigentlich noch steht.“Ficht-Quasten stieg nach der Pandemie aus dem Geschäft aus, ihre Schwester Angela Ficht machte weiter. Aber dann bekam die 67-Jährige gesundheitliche Probleme und beschloss, Mitte 2023 den Laden zu schließen.
Der Ausverkauf findet ohne Angela Ficht statt. Die Gesundheit lässt es nicht zu. Es gibt Kunden, deren Eltern und Großeltern schon bei Ficht eingekauft haben. Auch mit ihren eigenen Kindern sind sie gekommen, um Radiergummis, Schulhefte, Geodreieck, Malblock, Farben und Pinsel zu kaufen. An der Kasse werden Erinnerungen und Anekdoten erzählt. Die Regale und Schubladen leeren sich zusehends.
Wenn Edith Ficht-Quasten am 29. Februar die Tür hinter ihrem letzten Kunden für immer schließt, werden die Räume ausgeräumt. „Das muss alles entsorgt werden“, sagt sie. „Solche Möbel will ja keiner mehr haben.“Die Regale wurden extra für das Geschäft gefertigt. Nun ist auch ihre Zeit vorbei.