Überführen Faserspuren die Angeklagte?
Im Mordprozess um einen getöteten 83-jährigen Erkelenzer bleibt die Faktenlage dünn. Jetzt könnte ein Gutachten zum Schuldspruch oder zum Freispruch der angeklagten Frau führen.
Der zweite Verhandlungstag im Prozess um einen ermordeten Rentner aus Erkelenz entpuppte sich am Donnerstag zunächst als Lehrstunde über die Gewinnung und Auswertung von Faserspuren an Tatorten. Denn so soll die Polizei bei ihren Ermittlungen auf die Frau gekommen sein, die sich seit dem 19. Februar vor der Schwurgerichtskammer verantworten muss.
Die 42-Jährige aus Erkelenz soll im Februar 2023 einen Bekannten aus Habgier in seiner Wohnung erschlagen haben. Die Staatsanwaltschaft wirft der Frau vor, die Wohnung des 83-Jährigen nach der Tat mit mindestens 1200 Euro aus einer Geldschatulle und seinem Portemonnaie verlassen zu haben. Ein Diplom-Biologe und Sachverständiger des Landeskriminalamtes (LKA) Düsseldorf informierte am Donnerstag eingehend über ein Verfahren, das seit 2017 in aktuellen Ermittlungen sowie bei sogenannten Cold Cases (also bei neuen Untersuchungen in ungeklärten Kriminalfällen) angewendet wird: Die selektive HautschuppenAnalyse. Im Rahmen von Todesermittlungsverfahren werden neben Fasern auch Hautschüppchen gesammelt und untersucht.
Diese Spuren ermöglichen im weiteren Verlauf polizeilicher Ermittlungen gezielte Überprüfungen von etwa Bekleidungsstücken möglicher Täter. So gelangen Ermittler von „offenen Tatortspuren“zu tatrelevant übertragenen Faser- oder Mikrospuren. Tatsächlich führten im hier verhandelten Mordprozess Faserspuren an der Hose des Getöteten zu der Angeklagten.
Doch der Reihe nach: Nach dem Auffinden des Rentners wurden auf der Leiche Textilspuren gesichert. Die Untersuchung ergab im Beinbereich ein „Kollektiv pinker Baumwollfasern“. Durch einen internen Irrtum wurden Folienstreifen, die an den Textilien am Oberkörper abgeklebt wurden, ausschließlich für eine Hautschuppenanalyse eingesetzt, danach war keine Untersuchung auf Fasern mehr möglich. Da sich kein Kleidungsstück bei dem Getöteten fand, zu dem die Fasen passten, wurde eine Hautschuppenanalyse durchgeführt.
Diese führte die Ermittler zu vier Haushalten, in denen nach Spurenquellen gesucht wurde, darunter die Wohnung der Angeklagten. Dort wurde ein pinker Pullover sichergestellt. Bei der Untersuchung des Materials fanden sich Komponenten aus einer Polyesterfaser, die sich bei einer Nachuntersuchung auch auf den Folienstreifen wiederfanden, die von den Textilien des Getöteten genommen wurden.
Bedeutet dieser Fund bereits die Überführung der Angeklagten? Die Messlatte wurde seitens der Kammer direkt zu Beginn des Prozesstages hochgelegt: „Ihr Gutachten wird dazu führen, die Angeklagte zu überführen oder freizusprechen, da es keine unmittelbaren Tatzeugen gibt“, so der Vorsitzende Richter Martin Alberring.
Doch so einfach gestaltete sich
das dann doch nicht. Dabei war mit den Fasern auch eine Hautschuppe gefunden worden, die einen DNATreffer mit der Angeklagten ergab. Doch wann die Fasern vom Pulli auf die Hose übertragen wurden, dazu konnten die Sachverständigen keine Angaben machen. Ebenso wie zu der Frage der Wahrscheinlichkeit eines zweiten Pullovers, der gleiche
Gebrauchs- und Tragespuren aufweist wie der bei der Angeklagten aufgefundene. Eine Antwort darauf sei spekulativ, ebenso wie auf die Frage, wie die Spuren im Beinbereich sonst entstanden sein könnten. Sicher sei, dass es auf Grund der Anzahl und Verteilung der Fasern einen direkten Kontakt gegeben habe. Jedoch: „Kontakt mit einem Pulli hat man selten am Knie“, so der Sachverständige.
Laut Kammer war die Angeklagte häufig in der Wohnung des Geschädigten, zuletzt gemäß ihrer polizeilichen Aussage zwei Tage vor der Tat. Doch den Pulli will sie zwischen einer und drei Wochen davor das letzte Mal getragen haben. An dem Pullover, der ca. sechs Monate nach der Tat bei der Angeklagten sichergestellt wurde, wurden jedoch keine Spuren des Getöteten gefunden. Das Kleidungsstück habe sich jedoch in einem schlechten Zustand befunden, sei verschmutzt und urin-getränkt in der MessieWohnung der Angeklagten gefunden worden.
Schlüsse aus dem Gehörten zu ziehen, obliegt nun der Kammer. Der Prozess wird am 29. Februar fortgesetzt.