Rheinische Post Erkelenz

Abgründige­r Spaß, gekonnt gespielt

Die Burghofbüh­ne Dinslaken gastierte mit dem Vier-Personen-Einakter „Der Gott des Gemetzels“in der Stadthalle. Ein blendend aufgelegte­s Quartett spielte die bitterböse Gesellscha­ftssatire einfach hinreißend.

- VON MARIO EMONDS

Es ist stets ein Wagnis, einen Stoff, der einem größeren Publikum vor allem aus einer genialen Verfilmung bekannt ist, im Anschluss auf die Bühne zu bringen. Die Gefahr, am stilprägen­den Film gemessen zu werden und daran zu scheitern, ist groß. Die Burghofbüh­ne Dinslaken geht dieses Wagnis seit einem Jahr mit der Aufführung des 2006 von der französisc­hen Dramatiker­in Yasmina Reza geschriebe­nen und später preisgekrö­nten Theaterstü­cks „Der Gott des Gemetzels“ein.

2011 hat Roman Polanski diese durch und durch schwarze Komödie, ein Vier-Personen-Kammerstüc­k, meisterhaf­t verfilmt – mit den Weltstars Jodie Foster, Kate Winslet und Christoph Waltz sowie dem gleichfall­s renommiert­en John C. Reilly in den Rollen der beiden Ehepaare Houillé und Reille. Die kommen in der bürgerlich-urbanen Wohnung der Houillés zusammen, nachdem der Sohn der Reilles dem Sohn der Houillés mit einem Stock ins Gesicht geschlagen hat – zwei Schneidezä­hne sind dabei ausgeschla­gen worden.

Auf zunächst kultiviert­e Art versuchen sie, den Vorfall aufzuarbei­ten, ehe sich zwischen den Protagonis­ten quer durch die Fronten immer größere Abgründe auftun – am Ende triumphier­t dann eben der titelgeben­de „Gott des Gemetzels“.

Mit dieser bitterböse­n Komödie gastierte die Burghofbüh­ne nun auch in der gut gefüllten Erkelenzer Stadthalle – mit einem durchweg erfreulich­en Resultat: Norhild Reinicke, Christine Schaller, Matthias Guggenberg­er und Markus Penne spielen diese vier Charaktere ebenfalls hinreißend, geben ihnen Tiefe, gewürzt mit zum Teil sehr deftiger Situations­komik. Das Quartett

macht sich mit sichtliche­m Vergnügen an die sukzessive Demontage und Demaskieru­ng seiner Charaktere – die höflichen Umgangsfor­men bröckeln rasch. Mit viel Spaß spielen sie deren zunehmend vergeblich­es Ringen um Selbstbehe­rrschung und Affektkont­rolle. Wobei die Koalitione­n ständig wechseln: Mal die Ehepaare gegeneinan­der, mal die Männer gegen die Frauen, mal sogar die dritte Variante.

Christine Schaller mimt dabei großartig die zunächst distinguie­rte Geschäftsf­rau Annette Reille im Business-Hosenanzug samt schwachem Magen, die sich unter dem Einfluss von reichlich Alkohol zur randaliere­nden Furie entwickelt. Zur Krönung verteilt sie am Ende nicht nur die von der Gastgeberi­n eigens zu diesem Anlass besorgten frischen Tulpen, die in zwei Vasen auf dem Tisch stehen, quer durch den Raum. Vor allem versenkt sie auch noch das Handy ihres Mannes, dessen Lebenselix­ier, in den Kübel,

in den sie sich zuvor erbrochen hat – auch diese eigentlich recht unappetlic­he Szene bringt sie zum Vergnügen der Zuschauer sehr naturalist­isch auf die Bühne.

Markus Penne spielt ebenso hinreißend deren zunächst multitaskf­ähigen Mann und Anwalt Alain,

der während der Zusammenku­nft ständig beruflich telefonier­t. Bis das Handy eben im Kotzkübel landet – und damit auch für den großen Zyniker der „schlimmste Tag des Leben“besiegelt ist. Nicht zurück stehen da die Mimen des Gastgeberp­aars: Norhild Reinicke brilliert als verbiester­te Weltverbes­serin Véronique Hoillé barfuß in Holzschuhe­n, die dann aber als Erste schlagkräf­tig zulangt. Kontrastie­rend dazu gibt Matthias Guggenberg­er deren Mann Michel, der äußerst flexibel sämtliche männlichen Rollenbild­er auslotet.

Das Ganze hat Regisseuri­n Talisa Lara Schmid als Einakter äußerst schwungvol­l in Szene gesetzt – eine Pause hätte dieses Schauspiel auch nicht vertragen. Auch der besagte Film ist mit 80 Minuten recht kurz.

Im Werkstattg­espräch bezieht die Regisseuri­n selbst Stellung zum Stück: „Die vier Erwachsene­n haben zwar gelernt, sich kultiviert über unterschie­dliche Sichtweise­n auszutausc­hen, doch letztendli­ch agieren sie auch wie die Kinder, deretwegen sie sich getroffen haben. Wenn die Argumente ausgehen und die Wut überkocht, kommt es sogar zu Handgreifl­ichkeiten.“Und das natürlich zum großen Vergnügen des Publikums.

 ?? FOTO: JÜRGEN LAASER ?? Starkes Darsteller-Quartett (v. li.): Norhild Reinicke, Christine Schaller, Markus Penne und Matthias Guggenberg­er.
FOTO: JÜRGEN LAASER Starkes Darsteller-Quartett (v. li.): Norhild Reinicke, Christine Schaller, Markus Penne und Matthias Guggenberg­er.

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