Froh werden mit Lily Brett
Die New Yorker Schriftstellerin begegnet dem Holocaust in ihren Büchern mit Humor. Ein besonderes Treffen am Rande der Berlinale.
Der erste Grund, warum ich mich auf das Treffen mit Lily Brett freue, ist die Sache mit den Haferflocken. Sie nehme auf Reisen immer „Quaker Oats“mit, schrieb sie in einer ihrer New-York-Kolumnen, andere Flocken seien einfach nicht so gut. Seitdem habe ich mir gewünscht, ich könnte ihr „Kölln-Flocken“empfehlen, die blauen natürlich, und als ich das nun tue, hängt ein imaginäres Fragezeichen über dem Gesicht der 77-Jährigen. Dann geht ihr ein Licht auf, sie lacht und sagt: „Mein Haferflocken-Wahnsinn ist längst vorbei. Wie übrigens auch mein Gedünsteter-Broccoli-Wahnsinn. Aber danke.“
Der zweite Grund, warum ich mich freue, in diesem Berliner Hotel mit Lily Brett an einem Tisch zu sitzen ist: Ich lese sie so gerne. Sie ist eine jüdische Schriftstellerin, sie lebt in New York, und wenn sie über diese Stadt schreibt, entstehen heitere, elegante und neurotische Texte in der Nachfolge von Dorothy Parker und Woody Allen. Besonders beim deutschen Publikum erfolgreich sind ihre warmherzigen Romane „Einfach so“, „Chuzpe“und „Alles halb so schlimm“, in die Brett autobiografische Elemente flicht. Bei ihr kann man lernen, wie eine Erzählstimme klingen muss, der man sich anvertrauen möchte. Sie erzählt von Kindern von Holocaust-Überlebenden; davon, wie sie eine Gegenwart ausbalancieren, die als feine Platte über dem Abgrund einer traumatischen Vergangenheit schwebt.
Verzeihung, aber: Lily Brett sieht aus, als wiege sie nichts. Eine mollige Tochter sei für ihre Mutter nicht akzeptabel gewesen, hat sie mal gesagt. Warum? „Im Lager waren nur die Aufseher gut genährt.“Sie trägt einen Pepita-Mantel, den sie am Hals geschlossen hält, einen Hut und am zerbrechlich aussehenden Handgelenk eine flache Swatch in Silber. Sie ist müde. Am Vorabend war die Berlinale-Party für „Treasure“, in der Lena Dunham das Alter Ego von Brett spielt, Ruth Rowax. Brett lieferte Romanvorlage („Zu viele Männer“) und Drehbuch, und sie habe die Film-Fete erst um 2 Uhr morgens verlassen.
1947 kam sie in einem Lager für „Displaced Persons“in Feldafing als Lilijahne Breitstein zur Welt. Ihre Eltern hatten im Ghetto Lodz geheiratet und wurden in Auschwitz getrennt. In Bayern trafen sie sich wieder. 1948 emigrierte die Familie nach Australien, passte ihren Namen an. In den 1960er-Jahren wurde Lily Brett Musikjournalistin, interviewte Jagger, Joplin, Hendrix. Ihr Roman „Lola Bensky“handelt von jener Zeit. 1989 zog sie nach New York, wo sie seither mit dem Künstler David Rankin lebt.
„Wie fühlt es sich an, zurück in Deutschland zu sein?“, frage ich. „Ich liebe es“, sagt sie. Warum? „Was Deutschland mich gelehrt hat, ist, dass ich nicht nur jüdisch bin, sondern europäisch. Das Deutschland, in das ich zurückkehre, ist nicht das der Nazizeit. Und Kinder der Täter und der Opfer verbinden parallele
Linien. Beide wissen nicht genau, was ihre Eltern getan haben. Denn sie haben nie miteinander darüber gesprochen.“
Sie flüstert; wenn sie lacht, bebt ihr Körper. Wie schreibt man humorvoll über den Holocaust? „Es ist nicht so, dass ich den Holocaust für lustig halte“, antwortet sie: „Nichts ist lustig daran. Aber die Charaktere können lustig sein. Ich las die Dokumente der Nazi-Ärzte, das ist grausam. Ich muss darauf reagieren, indem ich Heiteres schreibe.“
Ob sie sich selbst in der Tradition der großen New Yorker Literaten sieht? Sie stehe in keiner schriftstellerischen Tradition, sagt sie. Ihr gehe es auch weniger um die Stadt als vielmehr um deren Bewohner.
In New York genüge es, im Café den Menschen am Nebentisch zuzuhören, das sei wirklich lustig. Das sei eine gute Stadt zum Altwerden, findet Brett. Egal, wie lange man in einem Viertel lebe, man könne jeden Tag ein neues Café entdecken. Neulich hatte sie ein Problem mit ihrem Tablet: „Ich ging in den Apple Store, und obwohl die Schlange lang war, haben sich sofort zwei Angestellte um mich gekümmert. Ich liebe das.“
Legendär ist die Geschichte, wie sie einst Cher ihre künstlichen Wimpern lieh, als die sie dringender brauchte als Brett. Hören Sie noch Rockmusik? „Nein“, sagt sie. Jedenfalls keine aktuelle. Und dann erzählt sie eine Lily-Brett-Geschichte. „Neulich waren wir in unserem Lieblingscafé. Da lief ‚Can’t Help Falling In Love’ von Elvis Presley. Wir sangen es mit, und auf dem Heimweg sangen wir es laut auf der Straße.“Sie wisse nicht, warum, bestimmt aber, weil sie irgendwann mal ihr Handy mit ihrem Heimtrainer verbunden hatte, jedenfalls: „Seitdem beginnt mein Heimtrainer jeden Morgen um 7 Uhr dieses Lied zu spielen. Keine Ahnung, wie man das abstellt. Niemand möchte zum Aufstehen jeden Tag dieses Lied hören.“
Der dritte Grund, warum ich mich über diese Begegnung freue, ist übrigens: Lily Brett macht froh.