Ein Kandidat für Florenz
Der Kunsthistoriker Eike Schmidt hat sich als Direktor der Uffizien einen Namen gemacht. Nun möchte der Deutsche Bürgermeister der italienischen Metropole werden – für Melonis Rechtskoalition.
Eike Schmidt stand da, umringt von Journalisten. Aus ihm sprach schon nicht mehr der Museumsdirektor, sondern ganz der italienische Politiker. Auf die Frage, ob er sich als Bürgermeister von Florenz zur Wahl stellen werde, entgegnete der frühere Direktor der weltberühmten Gemäldegalerie Uffizien, er werde heute gar nichts verkündigen. Aber: „Ich bin ein Mann der Mitte“, sagte der gebürtige Freiburger vergangene Woche auf bestens intoniertem Italienisch und mit einem mehr als selbstbewussten Lächeln: „Ich bin Mittelfeldspieler, kann selbst rennen, aber den Ball auch weitergeben.“
Die notwendigen Fußball-Metaphern für Italiens Politik beherrscht der 55-Jährige, der inzwischen das Museum Capodimonte in Neapel leitet, schon bestens. Und wenn nicht alles täuscht, will er den Job schon gerne selbst übernehmen. Im Juni wird in Florenz der Bürgermeister gewählt. Dieser Tage einigen sich die Rechtsparteien der Regierung von Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni auf einen Kandidaten, spätestens in der kommenden Woche soll die Entscheidung fallen. Eike Schmidts Name steht ganz oben auf einer Liste von sechs Kandidaten. Im Juni könnte dann jene eigentlich undenkbare Kombination Wirklichkeit werden: Ein deutscher, international anerkannter Museumsdirektor aus dem linken Freiburg wird Bürgermeister einer der berühmtesten Städte der Welt, und das für eine von Postfaschisten angeführte Rechtskoalition.
Auch die Töne, die Meloni von ihm hören will, trifft Eike Schmidt schon recht sicher. „Una vergogna“, eine Schande, nannte der Deutsche mit italienischer Staatsbürgerschaft die Tatsache, dass die Stadtverwaltung auf der zentralen Piazza della Repubblica ein riesiges Werbetransparent mit Werbung einer Fluggesellschaft für Flüge nach Spanien autorisiert hatte. „Nichts gegen Spanien“, sagte Schmidt, „aber viel gegen eine Stadtverwaltung, die so etwas erlaubt.“In der vielleicht bedeutendsten Kunststadt Italiens sei Werbung für das Ausland fehl am Platze, so die Botschaft. Der Wahlkampf hat längst begonnen. Der amtierende, linksdemokratische Bürgermeister Dario Nardella hatte Schmidt zuvor wegen seiner angeblichen Unkenntnis der Stadtproblematik attackiert: „Schmidt kennt die Stadtviertel und Peripherien so gut wie ich Lappland, aber es wird ein spannendes Duell.“
Dieser Tage soll die Ernennung folgen. „Ich hoffe sehr, dass Schmidt unser Kandidat wird“, sagte Alessandro Draghi, Florentiner
Chef der postfaschistischen Meloni-Partei Fratelli d’Italia unserer Redaktion. Laut internen Umfragen könnte die Rechte in der linken Hochburg Florenz mit Schmidt 30 Prozent der Stimmen erreichen und dann die Stichwahl gewinnen. Ein Sieg in Florenz wäre ein nationaler Erfolg für Meloni. Ihre Koalitionspartner Forza Italia und die Lega von Matteo Salvini müssen der Kandidatur noch zustimmen. „In einer Stadt wie Florenz kann die Rechte nur mit einem parteilosen Kandidaten gewinnen“, sagt Agnese Pini, Chefredakteurin der Lokalzeitung „La Nazione“: „Schmidt ist besonders interessant, da er eines der bedeutendsten Museen der Welt geleitet hat, mediengewandt ist und sich in die Stadtpolitik einmischt.“
Es ist eine Kombination, wie sie dem Deutschen gefallen dürfte. Er, der Intellektuelle und Kunsthistoriker mit Erfahrung in den USA als unabhängiger Spitzenkandidat für ein Rechtsbündnis, unkonventionell, überraschend, provokant. So hatte Schmidt von 2015 bis 2023 auch die Uffizien geleitet. Zu Beginn verjagte der Experte für Bildhauerei und florentinische Kunst per Lautsprecheransagen die Händler, die vor dem Museum illegal überteuerte Eintrittskarten
für die Sammlung verkauften. Das brachte ihm wegen nicht genehmigter Werbung ein Bußgeld ein, das der Direktor aus der eigenen Tasche beglich. Das absurde Gedränge in den Uffizien lockerte der Direttore auf, indem er kleinere Besuchergruppen einführte und das Preis- und Ticketsystem veränderte. Schmidt bestellte einen privaten Sicherheitsdienst, der vor dem Museum für Ordnung sorgt.
Von den Nazis gestohlene Werke brachte Schmidt nach Florenz zurück. Weltberühmte Werke von Leonardo da Vinci oder Sandro Botticelli ließ er besser in Szene setzen. Die
Selfie-Manie bekämpfte Schmidt mit abgedunkelten Sälen. Aber auch die Lust an der Provokation oder am Ungewöhnlichen fehlte nicht. Die Betrachtung von Botticellis „Primavera“ließ der Direktor mit Insektengeräuschen unterlegen. Berninis Skulptur der Costanza Piccolomini Bonarelli kombinierte Schmidt mit Fotografien von Frauen, die von ihren eifersüchtigen Männern mit Säureattacken verunstaltet wurden. Ein Hinweis darauf, dass auch der berühmte Renaissance-Künstler der Abgebildeten später aus Eifersucht per Messer das Gesicht zerschneiden ließ. Der Erfolg gab Schmidt recht: 2023 kamen fünf Millionen Besucher – so viele wie noch nie.
Dass diese Expertise für den Bürgermeister-Job genügt, daran haben manche ihre Zweifel. Schmidts „großes Ego“kommt in Florenz nicht überall gut an. Schmidt berichtet, es seien die Florentiner selbst gewesen, die ihn plötzlich auf der Straße nicht mehr nur als „Direttore“, sondern als „Sindaco“, als Bürgermeister ansprachen. So sei die Idee einer Kandidatur entstanden. Vor allem Sicherheit und Infrastruktur würde Schmidt als Bürgermeister verbessern wollen, sagte er in einem Interview. Und: „Die Schlaglöcher sind ein Problem.“Dem Massentourismus will er nicht mit Zugangsbeschränkungen, sondern mit der „Verteilung des Angebots“über die Stadt begegnen.
Seine Kandidatur würde auch Giorgia Meloni in die Hände spielen. Meloni versucht, nach dem Tod Silvio Berlusconis die konservative Mitte in Italien für sich zu gewinnen, die auch Schmidt verkörpert. Der Deutsche, der im vergangenen Jahr eingebürgert wurde und mit einer Italienerin verheiratet ist, würde als parteiloser Kandidat für das Rechtsaußen-Bündnis antreten. Berührungsängste mit der aus dem italienischen Neofaschismus hervorgegangenen Meloni-Partei hat der 55-Jährige nicht, obwohl er sich als „antifaschistisch“und „antinazistisch“bezeichnet. Schmidt lobt Meloni in höchsten Tönen: „Seitdem sie Premierministerin ist, hat sie eine Realpolitik gemacht, von der sich viele Leute ein Stück abschneiden können“, sagte er im Dezember dem Magazin „Spiegel“. Die Politik ihrer Partei Fratelli d’Italia wäre in mittigen deutschen Parteien mehrheitsfähig, behauptet der Breisgauer.
Sollte Schmidt der Kandidat der Rechten werden, gäbe es noch ein Problem. Er hat gerade erst seine Stelle als Direktor im Capodimonte-Museum von Neapel angetreten. Mit plötzlichen Wendungen hat Schmidt allerdings kein Problem: Im Herbst 2019 sollte er die Leitung des Kunsthistorischen Museums in Wien übernehmen – und sagte im allerletzten Moment überraschend ab.