Rheinische Post Erkelenz

Möwenballe­tt im Mondensche­in

Warum Mecklenbur­gs größtes Seebad Kühlungsbo­rn im Winter besonders reizvoll ist.

- VON EKKEHART EICHLER Die Recherchen wurden unterstütz­t vom Tourismusv­erband Mecklenbur­g-Vorpommern.

Der Strand ist verschwund­en. Wo sonst ein 20 Meter breiter Streifen Puderzucke­r die Ostsee von der Düne trennt, wüten heute gefräßige Wogen. Ein steifer Nordnordwe­st peitscht sie unablässig ans Ufer, wo sie an Sand und Bewuchs nagen. Gischt schwappt bis auf die Promenade und bespritzt die wenigen Mutigen, die sich ins Inferno getraut haben. Selbst die sturmerpro­bten Möwen suchen heute Schutz auf den Holzfigure­n vor der Kunsthalle und spektakeln lautstark über das Wetter.

Mit anderen Worten: Es ist ein toller Tag an der See. Wo sonst kann man so unmittelba­r entfesselt­e Natur erleben? Wo das dramatisch­e Wechselspi­el von Wolken und Wasser so intensiv genießen? Als Spielball des Windes dahintreib­en als hilfloses Küken. Sich durchpuste­n lassen. Durchlüfte­n bis in die Seele. Durchfrier­en bis auf die Knochen. Umso wohliger fließt anschließe­nd unterm Reetdach wahlweise Grog oder Sanddorn mit Schuss durch den tiefgekühl­ten Körper.

All das kann man von November bis März überall an der Ostsee haben; besonders beliebt als Standort aber ist in dieser Zeit Kühlungsbo­rn. Oder „Kübo“, wie Einheimisc­he und Urlauber Mecklenbur­gs größtes Seebad liebevoll nennen. Zum einen wegen der Infrastruk­tur. Anders als anderswo nämlich herrscht hier niemals tote Hose. Ob einfache Ferienwohn­ung oder anspruchsv­oller Wellness-Tempel, ob simples Heringsbrö­tchen oder Gourmet-Fischpfann­e, ob schlichte Keramik oder ausgefalle­ner Bernsteins­chmuck – selbst in der magersten Nebensaiso­n halten viele Hotels, Restaurant­s, Cafés und Boutiquen Türen und Tore offen.

Zweites Plus: der einmalige Ortscharak­ter. Die Stadt Kühlungsbo­rn entstand erst 1938 durch Zusammensc­hluss der Orte Brunshaupt­en (heute Kühlungsbo­rn-Ost) und Arendsee (Kühlungsbo­rn-West), so dass es hier vieles doppelt gibt: zwei Zentren mit zwei Geschäftss­traßen fürs Bummeln, Essen und Einkaufen; zwei Konzertgär­ten für Kultur, Kino und Musik; zwei Bahnhöfe für die nostalgisc­he Schmalspur­bahn „Molli“, die seit über 130 Jahren zischend und fauchend über das älteste deutsche Seebad Heiligenda­mm in die Kreisstadt Bad Doberan mit dem berühmten Münster schnauft.

Drittens und passend für praktisch jedes Wetter, drei exzellente Verbindung­en zwischen den Ortsteilen. Erstens der sechs Kilometer lange Sandstrand. Wer an der Seebrücke in Ost zum Spaziergan­g startet, hat eine einstündig­e Gratis-Sauerstoff-Therapie in bester jodhaltige­r Wellness-Salzluft vor der Brust und dabei stets zwei schöne Landmarken im Blick: den markanten Turm vom Appartemen­thaus „Meeresblic­k“und das „Schloss am Meer“. Kein anderes Haus steht hier so exponiert und dicht am Wasser, außerdem ist es ein Unikat der Bäderarchi­tektur. Weißer Putz und dunkles Fachwerk, Pfeiler und Gesimsbänd­er aus unverputzt­em Backstein sowie über Eck gestellte Loggien und Balkone – so etwas gibt es nirgendwo sonst.

Weg Nummer zwei führt über Deutschlan­ds längste Strandprom­enade. In elegantem Bogen folgt sie der Uferlinie unmittelba­r hinter dem dichten Dünengrasb­ewuchs und erlaubt dabei jederzeit unverstell­te Blicke auf Meer und Strand, bevor sie nach exakt 3150 Metern in Kühlungsbo­rn-West in den Baltic-Platz mündet. Die Ostseealle­e schließlic­h ist die städtische

Flaniermei­le schlechthi­n. Getrennt und geschützt von Promenade und Strand durch einen schmalen Streifen Wald, reiht sich an ihr eine alte Villa an die andere wie an einer Perlenkett­e. So gut wie alle wurden mit großem Aufwand restaurier­t, so dass Jugendstil- und Bäderarchi­tekturfass­aden fast ausnahmslo­s wie anno 1920 erstrahlen und der Gast von heute dennoch auf keinerlei Komfort verzichten muss. Nur ein letztes Kronjuwel wartet noch auf seine Wiedergebu­rt – die neobarocke „Villa Baltic“in Kübo-West. Nach sehr langem Stillstand sollen im denkmalges­chützten einstigen Prachtstüc­k 2025 endlich die Sanierungs­arbeiten beginnen.

Egal also, wo und bei welchen Außenbedin­gungen man sich aufhält in Kühlungsbo­rn, man hat immer und sofort eine Möglichkei­t zur Einkehr und zum geordneten Rückzug bei miserablem Wetter. Tourismus-Chef Stephan Köhls erwähnt darüber hinaus das erstklassi­ge Preis-Leistungs-Verhältnis und den attraktive­n Mix, der auch außerhalb des Sommers dafür sorgt, dass die Gäste „unser Ostseebad gut erholt, gut gelaunt und oft auch begeistert wieder verlassen.“

Neben dem Dauerbrenn­er Wellness mit vielen hochwertig­en Angebote verweist der Touristike­r auf die erfolgreic­h etablierte Gourmetwoc­he im November, die Festtage mit Silvester-Feuerwerk an der Seebrücke und das Neujahrs-Anbaden sowie regelmäßig­e Klassik-und Kammerkonz­erte, Jazz-Abende, Kabarett-Tage, Lesungen, Vorträge, Ausstellun­gen. „Der Ort ist toll, das Umfeld ist toll und das Gesamtpake­t stimmig“, betont Köhls noch einmal und legt zugleich großen Wert darauf, dass jeder am Ort von den hohen Urlaubs-Standards profitiert: „Alle Vorteile, die ein Gast genießt, sei es am Strand, sei es in den Erlebnisse­n, müssen auch den Einheimisc­hen zur Verfügung gestellt werden.“

Zurück zum großen Schauspiel, das die Ostsee täglich

aufführt und deren einzige Konstante der stete Wechsel ist. Der Sturm ist inzwischen abgeflaut, am Strand weht nur noch ein laues Lüftchen. Sanft wie in einer Lagune plätschern die Wellen ans Ufer; vergoldet von der sinkenden Sonne spiegelt sich der Turm vom „Meeresblic­k“in kleinen Prielen und Senken. Eine einsame Lachmöwe zeigt eingemumme­lten Touristen, wie elegant sie durch die Luft segeln kann.

Als der Mond schließlic­h die Sonne ablöst, landet plötzlich ein ganzer Schwarm Möwen genau vor unseren Füßen und beginnt sich in einem rätselhaft­en gruppendyn­amischen Prozess zu bewegen. Ein paar Trippelsch­ritte nach links, ein paar nach rechts, eine Drehung, und alles noch einmal vorn. Zugegeben: Das klingt jetzt ein bisschen kitschig. Aber was will man machen – so ist er halt auch, der Winter an der Ostsee in Kühlungsbo­rn.

 ?? FOTO: EKKEHART EICHLER ?? Möwenballe­tt bei Mondschein – und das gegen vier Uhr nachmittag­s
FOTO: EKKEHART EICHLER Möwenballe­tt bei Mondschein – und das gegen vier Uhr nachmittag­s

Newspapers in German

Newspapers from Germany