Sozialverbände fürchten um ihre Zukunft
Die Einsparungen der Politik treffen auch die Menschen, die am schwächsten sind. Die Sozialverbände im Kreis Heinsberg fühlen sich von der Politik nicht mehr ausreichend gehört.
Knapp 10.000 Menschen im Kreis Heinsberg arbeiten für Sozialverbände wie Awo, Caritas, Rotes Kreuz, Diakonie und Paritätischer Wohlfahrtsverband. Tausende Menschen, vor allem aus benachteiligten Schichten, profitieren von den zahlreichen Angeboten der Träger. Die jedoch sorgen sich mehr denn je um ihre Zukunft. Denn die Sparzwänge der Politik, von Kreis- bis Bundesebene, sorgen dafür, dass die Finanzierung vieler Angebote auf wackligen Beinen steht. „Es ist leider nach wie vor auf allen Ebenen nicht eindeutig geklärt, wie die Refinanzierung unserer laufenden Angebote abgesichert werden kann“, sagt Manuela Aye. Sie ist Geschäftsführerin des Paritätischen und Sprecherin der AG Freie Wohlfahrtspflege, zu der sich die Sozialverbände im Kreis Heinsberg zusammengeschlossen haben.
Im Klartext bedeutet das: Die Geschäftsführer der Träger wissen heute noch nicht, wie sie die Leistungen, die sie im kommenden Jahr anbieten wollen, auskömmlich bezahlen sollen. Ob Pflege, Krankenbehandlungen, Behindertenhilfe, Unterstützung von Arbeitslosen, Familien, Migranten, Süchtigen oder Ehrenamtlern – im schlimmsten Fall könnten laut der AG viele Leistungen wegfallen.
Andreas Wagner, Geschäftsführer der Awo im Kreis Heinsberg, spricht von einer wachsenden Verunsicherung, sowohl in der Gesellschaft, als auch in den Verbänden. „Politik ist da nicht mehr transparent. Wo stehen wir nächstes und übernächstes Jahr?“, fragt er, ohne die Antwort zu kennen. Die Träger arbeiten in einer Branche, die grundsätzlich nicht gewinnorientiert sein dürfe. Umso schwieriger sei es dann aber, Kostensteigerungen aufzufangen, wenn die Finanzierung durch den Staat nicht auskömmlich sei.
„Wenn wir es nicht mehr machen können, wird niemand einspringen“, meint Caritas-Chef Gottfried Küppers. Die Verbände beklagen, dass es mit der Politik von Kreis-, über Landes- bis zur Bundesebene derzeit keinen Austausch auf Augen
höhe mehr gibt. „Mit uns wird zwar noch geredet, aber wir haben das Gefühl, nicht mehr ernst genommen zu werden“, erklärt Andreas Wagner. „Politik fängt an, sich zu isolieren und zum Closed Shop zu werden. Es wird zwar noch eine Beteiligung suggeriert, aber die findet nicht mehr statt.“Das, so Wagner, führe auf einer Metaebene betrachtet auch „zum Rechtsruck der Gesellschaft, den wir gerade erleben“.
Gottfried Küppers, der seit Jahrzehnten in der Branche tätig ist, sagt: „Der Stil der Politik war früher anders. Es gab immer Zeiten, wo das Geld knapp war, wo die Haushalte spät verabschiedet wurden. Aber man wusste immer, dass man sich keine Sorgen machen muss, weil das Geld irgendwann kam. Heute bekomme ich Bauchschmerzen.“
Ein Beispiel für schwache Kommunikation, so Gottfried Küppers,
sei der Ganztagsbetreungsanspruch für Grundschulkinder ab 2026. „Wir haben noch keinerlei Rahmenbedingungen, wie wir das umsetzen sollen. Wenn wir das machen, brauchen wir unwahrscheinlich
viele Mitarbeiter und viel Geld und wenn es gut läuft, haben wir noch ein Jahr, um uns darauf vorzubereiten. Ein Unding, das kann doch niemals funktionieren.“
Lothar Terodde, Geschäftsführer beim Deutschen Roten Kreuz im Kreis Heinsberg, möchte von der Politik wieder gehört werden: „Wir wollen unseren Beitrag leisten, Teil der Lösung sein. Wir als Wohlfahrtsverbände können eine ganze Menge einbringen und erreichen ja auch sehr viele Menschen.“Er sei allerdings auch überzeugt davon, dass Deutschland nach wie vor ein Land mit einer guten Sozialstruktur und tollen Sozialverbänden sei. „Bürgerschaftliches Engagement kann ganz viel bewegen“, sagt er, „aber dafür müssen wir auch mitgenommen werden“. Diakonie-Geschäftsführerin Uschi Hensen betont das Subsidiaritätsprinzip des Sozialstaats: „Dass der Staat eben nicht alles selbst macht, ist eine ganz wichtige Säule unserer Gesellschaft. Leider interpretieren das heute viele nicht mehr so, wie es der Gesetzgeber vorgesehen hat.“