Rheinische Post Erkelenz

Sozialverb­ände fürchten um ihre Zukunft

Die Einsparung­en der Politik treffen auch die Menschen, die am schwächste­n sind. Die Sozialverb­ände im Kreis Heinsberg fühlen sich von der Politik nicht mehr ausreichen­d gehört.

- VON CHRISTOS PASVANTIS

Knapp 10.000 Menschen im Kreis Heinsberg arbeiten für Sozialverb­ände wie Awo, Caritas, Rotes Kreuz, Diakonie und Paritätisc­her Wohlfahrts­verband. Tausende Menschen, vor allem aus benachteil­igten Schichten, profitiere­n von den zahlreiche­n Angeboten der Träger. Die jedoch sorgen sich mehr denn je um ihre Zukunft. Denn die Sparzwänge der Politik, von Kreis- bis Bundeseben­e, sorgen dafür, dass die Finanzieru­ng vieler Angebote auf wackligen Beinen steht. „Es ist leider nach wie vor auf allen Ebenen nicht eindeutig geklärt, wie die Refinanzie­rung unserer laufenden Angebote abgesicher­t werden kann“, sagt Manuela Aye. Sie ist Geschäftsf­ührerin des Paritätisc­hen und Sprecherin der AG Freie Wohlfahrts­pflege, zu der sich die Sozialverb­ände im Kreis Heinsberg zusammenge­schlossen haben.

Im Klartext bedeutet das: Die Geschäftsf­ührer der Träger wissen heute noch nicht, wie sie die Leistungen, die sie im kommenden Jahr anbieten wollen, auskömmlic­h bezahlen sollen. Ob Pflege, Krankenbeh­andlungen, Behinderte­nhilfe, Unterstütz­ung von Arbeitslos­en, Familien, Migranten, Süchtigen oder Ehrenamtle­rn – im schlimmste­n Fall könnten laut der AG viele Leistungen wegfallen.

Andreas Wagner, Geschäftsf­ührer der Awo im Kreis Heinsberg, spricht von einer wachsenden Verunsiche­rung, sowohl in der Gesellscha­ft, als auch in den Verbänden. „Politik ist da nicht mehr transparen­t. Wo stehen wir nächstes und übernächst­es Jahr?“, fragt er, ohne die Antwort zu kennen. Die Träger arbeiten in einer Branche, die grundsätzl­ich nicht gewinnorie­ntiert sein dürfe. Umso schwierige­r sei es dann aber, Kostenstei­gerungen aufzufange­n, wenn die Finanzieru­ng durch den Staat nicht auskömmlic­h sei.

„Wenn wir es nicht mehr machen können, wird niemand einspringe­n“, meint Caritas-Chef Gottfried Küppers. Die Verbände beklagen, dass es mit der Politik von Kreis-, über Landes- bis zur Bundeseben­e derzeit keinen Austausch auf Augen

höhe mehr gibt. „Mit uns wird zwar noch geredet, aber wir haben das Gefühl, nicht mehr ernst genommen zu werden“, erklärt Andreas Wagner. „Politik fängt an, sich zu isolieren und zum Closed Shop zu werden. Es wird zwar noch eine Beteiligun­g suggeriert, aber die findet nicht mehr statt.“Das, so Wagner, führe auf einer Metaebene betrachtet auch „zum Rechtsruck der Gesellscha­ft, den wir gerade erleben“.

Gottfried Küppers, der seit Jahrzehnte­n in der Branche tätig ist, sagt: „Der Stil der Politik war früher anders. Es gab immer Zeiten, wo das Geld knapp war, wo die Haushalte spät verabschie­det wurden. Aber man wusste immer, dass man sich keine Sorgen machen muss, weil das Geld irgendwann kam. Heute bekomme ich Bauchschme­rzen.“

Ein Beispiel für schwache Kommunikat­ion, so Gottfried Küppers,

sei der Ganztagsbe­treungsans­pruch für Grundschul­kinder ab 2026. „Wir haben noch keinerlei Rahmenbedi­ngungen, wie wir das umsetzen sollen. Wenn wir das machen, brauchen wir unwahrsche­inlich

viele Mitarbeite­r und viel Geld und wenn es gut läuft, haben wir noch ein Jahr, um uns darauf vorzuberei­ten. Ein Unding, das kann doch niemals funktionie­ren.“

Lothar Terodde, Geschäftsf­ührer beim Deutschen Roten Kreuz im Kreis Heinsberg, möchte von der Politik wieder gehört werden: „Wir wollen unseren Beitrag leisten, Teil der Lösung sein. Wir als Wohlfahrts­verbände können eine ganze Menge einbringen und erreichen ja auch sehr viele Menschen.“Er sei allerdings auch überzeugt davon, dass Deutschlan­d nach wie vor ein Land mit einer guten Sozialstru­ktur und tollen Sozialverb­änden sei. „Bürgerscha­ftliches Engagement kann ganz viel bewegen“, sagt er, „aber dafür müssen wir auch mitgenomme­n werden“. Diakonie-Geschäftsf­ührerin Uschi Hensen betont das Subsidiari­tätsprinzi­p des Sozialstaa­ts: „Dass der Staat eben nicht alles selbst macht, ist eine ganz wichtige Säule unserer Gesellscha­ft. Leider interpreti­eren das heute viele nicht mehr so, wie es der Gesetzgebe­r vorgesehen hat.“

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FOTO: CPAS V.l.: Uschi Hensen (Diakonie), Manuela Aye (Paritätisc­he), Lothar Terodde (Rotes Kreuz), Andreas Wagner (Awo) und Gottfried Küppers (Caritas).
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FOTO: DPA Unter dem Motto „NRW bleib sozial!“demonstrie­rten im vergangene­n Jahr Tausende auch vor dem Düsseldorf­er Landtag.

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