Etwas vergessen?
Mönchengladbach will die Partnerschaft mit der belgischen Stadt Verviers vertiefen, die einen Boykott Israels beschlossen hat. Von ehemals lauthals geäußerter Kritik an Antisemitismus kein Wort mehr.
Diplomatie ist die Kunst, mit hundert Worten zu verschweigen, was man mit einem einzigen Wort sagen könnte – diese Weisheit des Literatur-Nobelpreisträgers Saint-John Perse ist um ein wunderbares Beispiel aus Mönchengladbach reicher geworden:
Gemeinsamer Wirtschaftsraum, geschäftliche Beziehungen, Stärkung der politischen Beziehungen, Stärkung der Grenzregion, Wirtschaftsraum, Infrastruktur, Energie, Mobilität, Relevanz und Notwendigkeit, Schienenprojekt, Wasserstoffpipelinenetz, zukünftige Entwicklung der Region, klarer und regelmäßiger Dialog auf Augenhöhe, grenzüberschreitende Zusammenarbeit, Infrastruktur für Verkehr und Energie, Strukturwandel, eine gemeinsame Stimme für zukunftsweisende Projekte, Zusammenarbeit über die Landesgrenzen, vereintes Europa – diese exakt 50 Worte fassen die Diskussion beim Besuch des belgischen Botschafters Geert Muylle im Rathaus Abtei mit weiteren Gästen unter anderem aus der belgischen
Partnerstadt Verviers nach offizieller Lesart zusammen.
Verviers – das ist die Stadt, die im vergangenen Jahr weit vor den terroristischen Angriffen der Hamas auf Israel symbolisch jegliche Beziehungen zu Israel für beendet erklärt hatte und die dafür zunächst aus Mönchengladbach auch scharf kritisiert worden war.
Das ist nun aber vorbei. Wie die Stadt mitteilte, seien am Rande des Treffens im Rathaus Abtei die nächsten Schritte zur Intensivierung der Städtepartnerschaft besprochen worden. So solle im Mai eine Delegation aus Verviers in die Vitusstadt kommen. Davon, dass die problematische Haltung Verviers‘ Thema war, ist in der Mitteilung der Stadt nicht die Rede.
Man hat sich also lauter nette Dinge gesagt im Rathaus, so die Lesart der sicherlich fünfmal diplomatisch gereinigten Deklaration aus der Abtei. Das ist gewiss so üblich. Das lässt zwei Schlüsse mit demselben Ergebnis zu: Entweder hat die Stadt vergessen, ihre Probleme mit Antisemitismus bei der Zusammenkunft anzusprechen. Oder sie hat dies getan
und dann vergessen, ihre Position in der Verlautbarung auch deutlich zu übermitteln.
Das ist unglaublich. Der Stadtrat hat noch im Dezember seine Resolution „gegen jede Form von Antisemitismus“bekräftigt und darin die Kritik in dem Brief von OB Felix Heinrichs an die Bürgermeisterin von Verviers unterstützt, man distanziere sich vom Vorgehen der Partnerstadt und appelliere an Verviers, der Einladung des Oberbürgermeisters zum gemeinsamen Dialog mit der Jüdischen Gemeinde
Mönchengladbach zu folgen. Im Stadtrat wurde von Politikern sogar infrage gestellt, ob Verviers noch ein verlässlicher Partner sein könne. Von alldem ist nun keine Rede mehr in der Verlautbarung, ganz im Gegenteil.
Wie kommt das bei den Menschen in Mönchengladbach an, die unter antijüdischen Ressentiments, Feindseligkeiten, Bedrohungen und Antisemitismus leiden, wenn den lauthals getätigten Verlautbarungen vom Dezember 2023 nur gut zwei Monate später nach einer Zusammenkunft mit den belgischen Gästen in der Öffentlichkeit ausschließlich weichgespülte diplomatische Nettigkeiten und blumige Infrastruktur-Luftwolken statt klarer Antisemitismus-Kritik zur Sprache kommen? War das jetzt im Dezember heiße Luft? Oder ist es das jetzt?
Da spielt es noch nicht einmal eine Rolle, ob man dies hinter verschlossenen Türen angesprochen hat, womöglich sogar darum gerungen haben könnte. Entscheidend ist die fatale Botschaft, die nach außen gesendet wird: Hier ging es um Wichtigeres als gegen das Vergessen.