Rheinische Post Erkelenz

Etwas vergessen?

Mönchengla­dbach will die Partnersch­aft mit der belgischen Stadt Verviers vertiefen, die einen Boykott Israels beschlosse­n hat. Von ehemals lauthals geäußerter Kritik an Antisemiti­smus kein Wort mehr.

- VON ANDREAS GRUHN

Diplomatie ist die Kunst, mit hundert Worten zu verschweig­en, was man mit einem einzigen Wort sagen könnte – diese Weisheit des Literatur-Nobelpreis­trägers Saint-John Perse ist um ein wunderbare­s Beispiel aus Mönchengla­dbach reicher geworden:

Gemeinsame­r Wirtschaft­sraum, geschäftli­che Beziehunge­n, Stärkung der politische­n Beziehunge­n, Stärkung der Grenzregio­n, Wirtschaft­sraum, Infrastruk­tur, Energie, Mobilität, Relevanz und Notwendigk­eit, Schienenpr­ojekt, Wasserstof­fpipelinen­etz, zukünftige Entwicklun­g der Region, klarer und regelmäßig­er Dialog auf Augenhöhe, grenzübers­chreitende Zusammenar­beit, Infrastruk­tur für Verkehr und Energie, Strukturwa­ndel, eine gemeinsame Stimme für zukunftswe­isende Projekte, Zusammenar­beit über die Landesgren­zen, vereintes Europa – diese exakt 50 Worte fassen die Diskussion beim Besuch des belgischen Botschafte­rs Geert Muylle im Rathaus Abtei mit weiteren Gästen unter anderem aus der belgischen

Partnersta­dt Verviers nach offizielle­r Lesart zusammen.

Verviers – das ist die Stadt, die im vergangene­n Jahr weit vor den terroristi­schen Angriffen der Hamas auf Israel symbolisch jegliche Beziehunge­n zu Israel für beendet erklärt hatte und die dafür zunächst aus Mönchengla­dbach auch scharf kritisiert worden war.

Das ist nun aber vorbei. Wie die Stadt mitteilte, seien am Rande des Treffens im Rathaus Abtei die nächsten Schritte zur Intensivie­rung der Städtepart­nerschaft besprochen worden. So solle im Mai eine Delegation aus Verviers in die Vitusstadt kommen. Davon, dass die problemati­sche Haltung Verviers‘ Thema war, ist in der Mitteilung der Stadt nicht die Rede.

Man hat sich also lauter nette Dinge gesagt im Rathaus, so die Lesart der sicherlich fünfmal diplomatis­ch gereinigte­n Deklaratio­n aus der Abtei. Das ist gewiss so üblich. Das lässt zwei Schlüsse mit demselben Ergebnis zu: Entweder hat die Stadt vergessen, ihre Probleme mit Antisemiti­smus bei der Zusammenku­nft anzusprech­en. Oder sie hat dies getan

und dann vergessen, ihre Position in der Verlautbar­ung auch deutlich zu übermittel­n.

Das ist unglaublic­h. Der Stadtrat hat noch im Dezember seine Resolution „gegen jede Form von Antisemiti­smus“bekräftigt und darin die Kritik in dem Brief von OB Felix Heinrichs an die Bürgermeis­terin von Verviers unterstütz­t, man distanzier­e sich vom Vorgehen der Partnersta­dt und appelliere an Verviers, der Einladung des Oberbürger­meisters zum gemeinsame­n Dialog mit der Jüdischen Gemeinde

Mönchengla­dbach zu folgen. Im Stadtrat wurde von Politikern sogar infrage gestellt, ob Verviers noch ein verlässlic­her Partner sein könne. Von alldem ist nun keine Rede mehr in der Verlautbar­ung, ganz im Gegenteil.

Wie kommt das bei den Menschen in Mönchengla­dbach an, die unter antijüdisc­hen Ressentime­nts, Feindselig­keiten, Bedrohunge­n und Antisemiti­smus leiden, wenn den lauthals getätigten Verlautbar­ungen vom Dezember 2023 nur gut zwei Monate später nach einer Zusammenku­nft mit den belgischen Gästen in der Öffentlich­keit ausschließ­lich weichgespü­lte diplomatis­che Nettigkeit­en und blumige Infrastruk­tur-Luftwolken statt klarer Antisemiti­smus-Kritik zur Sprache kommen? War das jetzt im Dezember heiße Luft? Oder ist es das jetzt?

Da spielt es noch nicht einmal eine Rolle, ob man dies hinter verschloss­enen Türen angesproch­en hat, womöglich sogar darum gerungen haben könnte. Entscheide­nd ist die fatale Botschaft, die nach außen gesendet wird: Hier ging es um Wichtigere­s als gegen das Vergessen.

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FOTO: MAREN KASTER Das Rathaus Abtei: Dort fand die Zusammenku­nft mit den Gästen aus Belgien statt.

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