„Einen Radikalinski muss man nicht wählen“
Sollte die AfD verboten werden? Der Staatsrechtler erklärt die Fallstricke – und mahnt zu einem anderen Umgang mit der Partei.
Professor Morlok, 2001 hat sich Hamburgs Innensenator Olaf
Scholz mit den Worten vorgestellt, dass er „liberal, aber nicht doof“sei. Eine treffende Beschreibung der wehrhaften Demokratie, oder?
Das kann man durchaus so sagen, ja.
MORLOK
Dann wären wir also, salopp gesagt, doof, wenn wir eine Organisation so lange gewähren ließen, bis sie die Institutionen umbauen könnte? MORLOK Das ist der Grundgedanke der wehrhaften Demokratie: Es gibt alle Freiheiten, nur nicht die Freiheit, die Freiheit abzuschaffen. Alles andere wäre paradox.
Im Grundgesetz steht: Parteien, die darauf ausgehen, die freiheitlich demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen, sind verfassungswidrig. Wann erfüllt eine Partei diese Voraussetzungen? MORLOK Zunächst muss man klären, was die freiheitlich demokratische Grundordnung ist – das ist die eine Frage. Die andere ist: Wann geht eine Partei darauf aus?
Zunächst die erste Frage.
MORLOK In den 50er-Jahren gab es zwei erfolgreiche Verbotsverfahren, gegen die SRP und die KPD. Da hat das Bundesverfassungsgericht die freiheitlich demokratische Grundordnung als eine Aneinanderreihung von Elementen definiert, also: Freiheit und Gleichheit der Parteien, Chancen der Minderheit, zur Mehrheit zu werden, Rechtsstaatlichkeit, lauter solche Dinge. Das kann man despektierlich einen Grabbelsack nennen. Es war unsystematisch.
Das hat das Gericht im Verbotsverfahren gegen die NPD geändert.
MORLOK 2017 hat das Gericht entschieden, dass es ganz zentral um die Menschenwürde geht. Ein Kollege hat mal definiert: Menschenwürde bedeutet ein Recht auf Rechte. Wenn völkische Bestrebungen also sagen, manche Rechte kommen nur Deutschen zu und anderen nicht, dann wird es heikel. Zur Menschenwürde kommen noch Rechtsstaat und Demokratie hinzu.
Wann geht eine Partei „darauf aus“?
MORLOK Da wird man zunächst den Philosophen ausnehmen, der wie Platon im Lehnstuhl sitzt und sagt: Eigentlich wäre es das Beste, wenn Philosophen die Welt regierten. Verfassungsfeindliche Ideen sind eben nur Ideen. Das Verfassungsgericht hat mal von der aktiv-kämpferischen Haltung gesprochen, man muss also etwas ins Werk setzen, Ideen und Pläne verwirklichen wollen. Und es braucht eine realistische Chance, dass diese Partei zum Erfolg kommt.
Die hatte die NPD nicht.
MORLOK Genau. Dahinter steckt die sogenannte Potenzialität. Das ist der Furcht vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte geschuldet, der sagt, dass man keine Partei verbieten kann, die keine Erfolgschance hat. Gegen ein paar Spinner, die sich zwar redlich bemühen, aber keinerlei Aussicht auf Erfolg haben, muss man nicht das scharfe Schwert des Parteiverbots nehmen.
Die Unsicherheit mit der AfD spürt man an ihrer Bezeichnung: mal rechtspopulistisch, mal rechtsnational, mal in Teilen rechtsextrem.
MORLOK Das Populistische ist an sich auch gefährlich. Schon von Berufs wegen schaue ich mir bei Phoenix hin und wieder Parteitage an, was eine tolle Sache ist. Was ich auf dem Wagenknecht-Parteitag gesehen habe, finde ich erschreckend. Mit welcher Verachtung da über Politiker gesprochen wird, das macht Demokratie auch kaputt. Man mag von Frau Strack-Zimmermann denken, was man will, aber von ihr zu reden als „Strack-Rheinmetall“ist üble Nachrede. So kann man Vertrauen in die Demokratie auch zerstören. Lafontaine hat in seiner Rede dort gesagt, Demokratie verlangt, dass die Interessen der Mehrheit sich durchsetzen. Auf den ersten Blick wird man gegen den Satz nicht so viel sagen können.
Und auf den zweiten?
MORLOK Was sind denn die Interessen der Mehrheit oder des Volks? Die der Bauern oder die der Verbraucher? Die der Bergbauern? Die der Heringsfischer? Selbst die Interessen der Landwirtschaft sind diffus. Wir sind so differenziert und pluralistisch, dass diese Entgegensetzung schon an der Wirklichkeit vorbeigeht. Es ist eine dramatische Vereinfachung.
Sie halten es nicht für klug, vor den Wahlen im Herbst einen Verbotsantrag zu stellen. Sollte man diese abwarten und es dann prüfen? MORLOK Der Verfassungsschutz ist laufend dabei und guckt hoffentlich danach. Man wird ohne Not ein
Verbotsverfahren nicht anzetteln, weil es gegen die Idee der gleichen Freiheit aller Parteien ist. Wenn man aber sieht, dass die Partei sowohl wirkliche verfassungsfeindliche Bestrebungen verfolgt als auch hinreichend Zulauf hat, dann muss man diese Frage in der Tat erneut ernst stellen. Mir ist aber noch etwas anderes dabei wichtig.
Nämlich?
MORLOK Dass man mit der AfD fair umgeht, und das tut man in manchen Fällen nicht. Sie stellt keinen Vizepräsidenten im Bundestag und in vielen Landtagen. Das heißt, dass man sich an die Regeln, die man verteidigen will, einfach selbst nicht hält. Ich bin wirklich kein Sympathisant der AfD, aber der Kern unserer Ordnung liegt darin, dass man sie auch tatsächlich praktiziert. Irgendeinen Idioten oder Radikalinski muss man nicht wählen, aber wenn es ein vernünftiger Mensch ist, schon.
Liest man das Programm der AfD, findet man nicht viel verfassungsfeindliches Material.
MORLOK Eine Partei, die verfassungsfeindliche Ziele verfolgt, wäre ja ziemlich doof, um mit Herrn Scholz zu sprechen, wenn sie ihr Programm schon so formulierte, dass man es für verfassungsfeindlich erklären kann. Man braucht schon den Verfassungsschutz, der hinter die Fassade schaut. Das Programm hilft da nicht so furchtbar viel weiter.
Es geht also eher um Aussagen und Handlungen von Mitgliedern, wie etwa das Treffen in Potsdam. Da wäre ja die Frage, ob sich das der Gesamtpartei zurechnen ließe.
MORLOK Die Zurechnungsfrage ist immer eine ganz wichtige. Aber man wird schon sagen müssen, wenn ein Landesvorsitzender oder Abgeordnete sich verfassungsfeindlich äußern – was soll man der Partei zurechnen, wenn nicht das? Trotzdem wird man fragen müssen, ob ein Verbotsantrag auch klug wäre.
Und, wäre er das?
MORLOK Das steht im Ermessen des Bundestags, des Bundesrats oder der Bundesregierung. Es gibt Kollegen, die meinen, wenn die Voraussetzungen für ein Verbot erfüllt sind, schrumpfe dieses Ermessen auf null, also man müsste dann einen Antrag stellen. Das halte ich für falsch. In der Politik kommt es darauf an, was man tatsächlich erreicht. Wenn es schlimmere Folgen hat als umgekehrt, sollte man das nicht machen. Ich habe auch noch eine These aus einer anderen Perspektive: Extremistische und radikale Parteien haben auch einen Vorteil.
Jetzt bin ich gespannt.
MORLOK Sie zeigen Probleme im System recht frühzeitig an. Wer Angst vor Feuer hat, soll die Brandmelder nicht ausschalten, könnte man sagen. Wir hatten vor 20 Jahren bei Kommunalwahlen in NRW Erfolge der Republikaner. Als man der Sache nachging, fand man ein starkes Motiv: Berechtigungsscheine für Sozialwohnungen wurden vornehmlich an Ausländer ausgegeben. Auf dieses Problem wurde man durch die Wahlerfolge der Rechtsextremen aufmerksam.
Also sollte man die AfD, wie es jetzt immer heißt, inhaltlich stellen?
MORLOK Das eine große Problem ist die Migration. Das ist laut Demoskopen der große Treiber der AfD – schon seit 2015. Im Moment hat die Politik das wohl begriffen, aber die Instrumente sind nur begrenzt wirksam und so ist sie etwas hilflos. Aber inhaltlich stellen heißt, das Programm beim Wort zu nehmen.
Wie funktioniert das denn?
MORLOK Ich habe letztens eine Rede von Bodo Ramelow gehört. Da hat er gesagt, wie stark Hunderte Betriebe in Thüringen mit der EU verbunden sind. Der Austritt aus der EU, wie die AfD es fordert, würde Tausende Arbeitsplätze gefährden, sagte Ramelow. Das ist inhaltlich gestellt, wenn man aufzeigt, wohin das AfDProgramm führen würde. Das geschieht viel zu wenig. Zu sagen, das sind Rechtsextreme und Radikale, ist zu wenig. Man muss erklären, was das bedeutet.
Hendrik Wüst nennt die AfD nun „Nazi-Partei“.
MORLOK Das ist billig und hilft nicht. Wenn ich ein AfD-Anhänger wäre, würde ich sagen, ich wähle die AfD aus dem und dem Grund, aber bin deswegen doch kein Nazi. Diese Art der Bekämpfung der AfD führt auch zum Florieren der AfD.