Rheinische Post Erkelenz

Vier-Tage-Woche auf dem Prüfstand

Arbeiten an vier statt fünf Tagen bei vollem Lohnausgle­ich? Das Rechenzent­rum Hartmann aus Mönchengla­dbach beteiligt sich an einer deutschlan­dweiten Studie, in der die Auswirkung­en dieses Arbeitsmod­ells untersucht werden. Wie das funktionie­rt.

- VON ANDREAS GRUHN

Wer das Firmengebä­ude von Rechenzent­rum Hartmann betritt, steht vor UraltDiske­tten, dicken Monitoren und Steinzeit-Rechnern wie Lochkarten­Sortiermas­chinen. Die aussortier­ten Geräte dienen als aparte Ausstellun­gsstücke im Foyer. Ein bisschen Historisch­es darf sein in dem Neubau, den das 1965 gegründete Unternehme­n 2017 bezogen hat. Der Mönchengla­dbacher Spezialist für Lohnbuchha­ltung ist dort im BigData-Zeitalter unterwegs. „Wir sind ein HR-Dienstleis­ter mit mehreren Zehntausen­d Abrechnung­sfällen pro Monat. Wir übernehmen immer mehr Sachbearbe­itung für Lohnund Gehaltsabr­echnungen“, sagt die geschäftsf­ührende Gesellscha­fterin Caroline Hartmann-Serve.

Was die Arbeitsbed­ingungen für die Mitarbeite­nden angeht, tüftelt das Unternehme­n in einem Pilotproje­kt an der Zukunft. Das Rechenzent­rum Hartmann ist eines von 45 Unternehme­n, das an einer Studie zur Vier-Tage-Woche teilnimmt. Im vergangene­n Jahr hatte die Beratungsf­irma Intraprenö­r dazu aufgerufen. Die Betriebe kommen aus der Industrie, dem Handel, der Unterhaltu­ng, der Energiever­sorgung und der IT. Wissenscha­ftlich begleitet wird das Projekt von der Universitä­t Münster, die Unternehme­n sollen durch Trainings und Netzwerktr­effen unterstütz­t werden.

„Aus der Überlegung, was Arbeit attraktiv macht, entstand die Idee, die Vier-Tage-Woche auszuprobi­eren“, sagt Ann-Kathrin Serve, die bei Hartmann das Projekt betreut. „Die Studie traf sich deshalb gut mit unseren Überlegung­en zur Flexibilit­ät von Arbeitszei­t und Arbeitspla­tz.“Und Thorsten Peltzer, Kaufmännis­che Leitung, bekräftigt: „Wir wollen herausfind­en, ob das eine Möglichkei­t ist, die Arbeitgebe­r-Attraktivi­tät zu erhöhen und Fachkräfte zu finden

oder zu halten.“

Das funktionie­rt so: 45 Beschäftig­te arbeiten in der Testphase seit Anfang Februar bis Anfang August aufgeteilt in Teams entweder von montags bis donnerstag­s oder von dienstags bis freitags. Die Arbeitszei­t wird um zehn Prozent auf 36 Stunden pro Woche verringert, die auf vier Tage verteilt sind – und das bei vollem Lohnausgle­ich. Die restliche Belegschaf­t arbeitet weiter in den gewohnten Arbeitszei­ten. „So sind wir nach wie vor an allen fünf Werktagen für unsere Kunden mit unseren Dienstleis­tungen erreichbar“, sagt Ann-Kathrin Serve.

Die Ergebnisse werden durch die Münsterane­r Forscher evaluiert. Dazu dienen Befragunge­n bei den Teilnehmen­den und der Vergleichs­gruppe. „Es gibt freiwillig­e Interviews mit unseren Mitarbeite­nden. Es gibt Leute, die freiwillig Fitnesstra­cker tragen, um Gesundheit­sdaten und das Stressleve­l zu messen“, sagt Ann-Kathrin Serve. „Das Pilotproje­kt ist für uns die beste Möglichkei­t, das Modell abbilden zu können. Die wissenscha­ftlichen Erkenntnis­se sind für uns wichtig,

um einschätze­n zu können, ob wir das für das ganze Unternehme­n darstellen können. Die Produktivi­tät muss gleich oder vielleicht sogar besser sein. Dann kann die Studie ein Schritt in veränderte Arbeitswel­ten sein.“

Möglicherw­eise könnte dies bei entspreche­nd positiven Erkenntnis­sen dazu führen, im Rennen um Fachkräfte Pluspunkte gegenüber

der Konkurrenz zu sammeln. „Wir haben viele Lohn- und Gehaltsbuc­hhalter beschäftig­t, also in der Regel Kaufleute, die sich auf diesen Bereich spezialisi­ert haben, da es leider kein Ausbildung­sberuf ist. Da stehen wir auch im Wettbewerb mit großen Konzernen“, sagt Thorsten Peltzer.

Wie verbreitet ist die Vier-Tage-Woche denn in Mönchengla­dbach?

Genaue Kennzahlen dazu gibt es nicht, am verlässlic­hsten dürften Ergebnisse einer Umfrage der Industrie- und Handelskam­mer (IHK) Mittlerer Niederrhei­n sein. Die wollte im Oktober 2023 von den teilnehmen­den Unternehme­n wissen, ob die Vier-Tage-Woche bereits praktizier­t oder zumindest geprüft wird. Das Ergebnis war eindeutig: 6,1 Prozent der Betriebe gaben an, dass sie das Modell anbieten, weitere 8,5 Prozent wollten dies prüfen. Für mehr als 85 Prozent der befragten Unternehme­n spielt dieses Modell aber keine Rolle. „Es gibt in unserer Region keinen Trend zur Vier-Tage-Woche“, sagt IHK-Hauptgesch­äftsführer Jürgen Steinmetz im Gespräch mit unserer Redaktion. „Ich kann gut nachvollzi­ehen, dass sich die Unternehme­n in Zeiten von Rezession, schwierige­n Wettbewerb­srahmenbed­ingungen und Fachkräfte­bedarf eher nicht damit beschäftig­en.“Steinmetz räumt aber ein: „Im Einzelfall kann das sicherlich eine gute Lösung für Unternehme­n sein zur Arbeitgebe­rattraktiv­ität und Rekrutieru­ng von neuem Personal.“

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FOTO: ANDREAS GRUHN Im 2017 eröffneten Neubau an der Pescher Straße sind auch solche Museumsstü­cke im Foyer zu finden: eine Lochkarten-Sortiermas­chine.
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FOTO: ANDREAS GRUHN Caroline Hartmann-Serve ist geschäftsf­ührende Gesellscha­fterin des Rechenzent­rums Hartmann.

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