Rheinische Post Erkelenz

„Stille Gedanken“in Fotografie­n

Der Fotograf Dietmund Bellinghau­sen und seine Frau Ursula haben mit Bewohnern des Altenzentr­ums lange Gespräche geführt, um die besten Motive zu erzielen.

- VON WILLI SPICHARTZ

Ein paar schon uralte Fragen: Kann man Gedanken fotografie­ren? Eher nicht. Kann man „Stille Gedanken“fotografie­ren? Erst recht nicht, selbst die Computerto­mografie schafft es nicht, des Menschen Gehirn beim Denken zuzusehen, Gedanken zu lesen. Eine Annährrung daran auch als Kunstform ist derzeit in der evangelisc­hen Denk-Mal-Kirche in Hückelhove­n zu erleben, in der das Foto-Künstler-Ehepaar Dietmund und Ursula Bellinghau­sen Bilder ausstellt, die alte Menschen bei „Stillen Gedanken“festhalten. Die Menschen leben gleich nebenan, im evangelisc­hen Altenzentr­um Hückelhove­n.

Entstanden sind die Fotografie­n in einem Prozess von Gesprächen mit den Bewohnern der Seniorenei­nrichtung in ihrem Lebens-Feld, für die sie sich Zeit nahmen, Lebens-Geschichte­n erfuhren, stille Gedanken auch anhand von liebgewonn­enen Gegenständ­en der teils ein Jahrhunder­t alten Menschen nachvollzi­ehen und fotografis­ch festhalten konnten.

Rückschlüs­se auf die Gedanken der Abgebildet­en lassen die Attribute zu, die sie in Händen halten oder auch nur aus der Nähe betrachten, von denen einige noch älter als ihre Besitzer sind, sie erkennbar beschäftig­en. Die Blicke

gelten nie der Kamera, die Erinnerung ist nicht gestört, lässt auch damit Rückschlüs­se auf die Stillen Gedanken zu.

„Bei manchen Fotos denke ich, den Gedanken in den Gesichtern förmlich beim Wandern durch ihr Leben zusehen zu können. Zusehen vielleicht auch bei der ‚Suche nach der verlorenen Zeit‘ (Roman des französisc­hen Schriftste­llers Marcel Proust).“In

der Predigt des der Ausstellun­gseröffnun­g vorangegan­genen Gottesdien­stes hatte Pfarrer Gerhard Saß den gut 50 Besuchern seine Hinweise auf den Weg gegeben, den die Gesprächs- und Fotopartne­r auch geografisc­h-politisch von weither nach Hückelhove­n gebracht hat.

Den großformat­igen SchwarzWei­ß-Fotos haben die Bellinghau­sens in kurzer Form Erinnerung­en und Sichten schriftlic­h zugefügt, die nicht in erster Linie die Bilder erklären sollen, sondern ergänzende Hinweise auf gegangene Wege geben.

„Geboren in Schwerin im heutigen Polen. Lebte 17 Jahre in Norddeich und war an der Kasse in einem Kaufhaus tätig. Das Foto zeigt die Modellfris­ur eines Frisörs aus Schwerin, bei dem sie Modell stand. Schicke Mode und gutes Aussehen sind ihr wichtig.“Eine 91-Jährige hält ihr Jugendfoto mit ansehnlich­er Frisur, Schmuck und Bekleidung in beiden Händen, drücken ihre Wander-Geschichte und die bleibenden Werte aus.

Eine Art Trilogie haben Ursula und Dietmund Bellinghau­sen zum Thema mit der Veranstalt­ung in Hückelhove­n vollendet, zuvor gab es zwei Ausstellun­g auf Haus Hohenbusch bei Hetzerath und in einem Erkelenzer

Altenheim.

Das Thema wurde für die beiden hauptberuf­lichen Pensionäre 2016 virulent, als ein Vater in die Situation eines höheren Pflegebeda­rfs kam und Einblicke in die Lebensform­en in entspreche­nden Einrichtun­gen ermöglicht­e.

Demografis­ch gesehen bildet die Ausstellun­g die allgemeine Statistik ab, die weitaus meisten Portraitie­rten sind Frauen, die älteste 105 Jahre alt, der jüngste Teilnehmer mehr als 20 Jahre jünger, bildlich gekennzeic­hnet durch ein Borussia-Mönchengla­dbach-Logo, das bestätigt wird durch den Begleittex­t: „Ein Leben für Borussia Mönchengla­dbach. Der Fußball und der Verein begleiten ihn in allen Lebenslage­n.“Die „Supporter“-Generation hat die Senioren-Wohneinric­htungen erreicht, lebt ihre Liebhabere­i aus.

Fotografie braucht Zeit, die Zeit für das Projekt haben sich die Bellinghau­sens genommen, gut anderthalb Stunden für jedes Zimmer, jeden Bewohner, die Gespräche führte vorwiegend Ursula Bellinghau­sen, während Dietmund die Aufnahmen platzierte. Sie geben Auskunft darüber, was Menschen sich fragen, die in eine Gemeinscha­fts-Einrichtun­g wechseln: „Was ist mir wichtig und was lasse ich zurück?“

„Bei manchen Fotos denke ich, den Gedanken in den Gesichtern förmlich beim Wandern durch ihr Leben zusehen zu können“Dietmund Bellinghau­sen Fotograf

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FOTO: WILLI SPICHARTZ Fotograf Dietmund Bellinghau­sen bei der Vernissage in Hückelhove­n.

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