Rheinische Post Erkelenz

Wetterfest gegen Extremismu­s

Der Bundespräs­ident lädt zur Diskussion über die Demokratie und spricht dabei auch über den Schutz des Verfassung­sgerichts.

- VON HOLGER MÖHLE

Frank-Walter Steinmeier macht sich Gedanken wegen der Statik. Hält das Haus, wenn es stürmt, wenn vielleicht sogar ein Tornado über das Land zieht? Das Haus, über das der Bundespräs­ident spricht, heißt Demokratie. Der erste Mann im Staat möchte es „wetterfest“machen. Die Demokratie ist unter Druck geraten, seit Populisten und Extremiste­n von rechts und links immer mehr Zulauf, Zustimmung und auch Stimmen bei Wahlen für ihre Parolen und Thesen bekommen. Am 23. Mai dieses Jahres feiert das Grundgeset­z seine Verkündung vor 75 Jahren.

Spätestens seit der Veröffentl­ichung des Recherche-Netzwerks Correctiv über ein Treffen von Rechtsextr­emen in einer Potsdamer Villa, sollten alle Demokraten alarmiert sein, so der Bundespräs­ident bei einem Debattenfo­rum zu Zustand und Zukunft der Demokratie nach 75 Jahren Grundgeset­z. „Der Weckruf ist auch bei uns angekommen“, versichert Steinmeier.

„Geglückt, aber nicht garantiert“ist die Konferenz in Schloss Bellevue überschrie­ben. Steinmeier erinnert an vier wichtige Wahlen in diesem Jahr – die Europawahl im Juni sowie die Landtagswa­hlen in Thüringen, Sachsen und Brandenbur­g im September, wo die rechte AfD nach Umfragen in allen drei Landtagen Chancen auf Platz eins hat. Der Bundespräs­ident mahnt, Demokraten und ihre Institutio­nen müssten „Mittel und Wege finden, um gegen die Netzwerke vorzugehen, die verfassung­sfeindlich­e Ideen füttern, finanziere­n und verbreiten“. Und weiter: „Wir müssen verhindern, dass eine extremisti­sche Minderheit unsere Institutio­nen funktionsu­nfähig machen kann.“

Deswegen plädiert Steinmeier auch dafür, das Bundesverf­assungsger­icht, das höchste deutsche Gericht, „wetterfest“zu machen und gegen Angriffe auf seine Unabhängig­keit zu schützen. Polen oder Ungarn sollten Mahnung sein. Steinmeier plädiert dafür, Regelungen für die Struktur des Gerichts, das Wahlverfah­ren

und die Amtszeiten der Verfassung­srichter ins Grundgeset­z aufzunehme­n. „Wetterfest“bedeute in diesem Fall: „Regelungen, die dann auch nur mit einer Zweidritte­lmehrheit geändert werden können“. Das klingt nach einem Arbeitsauf­trag für die politische­n Parteien und Fraktionen im Bundestag.

Doch Demokratie muss auf allen Ebenen gelebt und verteidigt werden. Wenn etwa der Demokratie­bahnhof Anklam in Mecklenbur­g-Vorpommern nun schließen muss, weil das Gebäude, in dem das Jugendzent­rum untergebra­cht ist, Brandschut­zauflagen nicht mehr genügt, sagt Steinmeier: „Es kann doch nicht sein, dass das demokratis­che Engagement von jungen Leuten am Brandschut­z scheitert!“

Serap Güler, CDU-Bundestags­abgeordnet­e mit türkischen Wurzeln, sieht sich als „Passdeutsc­he“von „Remigratio­nsplänen“von AfD-Politikern und Vertretern der rechtsextr­emen Szene angesproch­en, äußert sich darüber aber auch nicht überrascht. Die Gründung neuer

Parteien am rechten oder linken Flügel füllen nach Überzeugun­g von Güler „ja kein politische­s Vakuum“, sondern seien vor allem „Ego-TripNummer­n“, spielt die CDU-Abgeordnet­e auf das Bündnis Sahra Wagenknech­t (BSW) an. Der Politikwis­senschaftl­er Michael Zürn von der Freien Universitä­t Berlin verweist aber auch darauf, dass es für neu gegründete Parteien wie das BSW „auch eine Nachfrage“gebe. Vor allem der Raum „für das Linksautor­itäre ist noch nicht ausgefüllt“, so Zürn.

Vielleicht muss man es beim Kontakt zur Basis so machen wie Johann Saathoff (SPD), Parlamenta­rischer Staatssekr­etär im Bundesinne­nministeri­um, Wahlkreis Aurich-Emden. „Das Geheimnis meines Erfolges ist, dass halb Ostfriesla­nd meine Handynumme­r hat“, sagt Saathoff leicht augenzwink­ernd. Laura Isabelle Marisken, parteilose Bürgermeis­terin der Gemeinde Ostseebad Heringsdor­f, hat die Erfahrung gemacht: „Viele Menschen sagen mir: Sie fühlen sich nicht abgeholt, nicht mitgenomme­n, und gehen deshalb nicht zur Wahl.“Interesse an der Kommunalpo­litik? „Ja, aber nicht für eine der Parteien“, hört Marisken von politisch interessie­rten Bürgern. Ostfriesla­nd-Abgeordnet­er Saathoff hat übrigens noch festgestel­lt, dass die rechte AfD eine dreimal so hohe digitale Reichweite habe wie alle anderen Parteien zusammen. Woher das kommt? Dagegen sein, Protest, auch

Ablehnung schafften Zustimmung in sozialen Netzwerken und gute Werte im „Skandal-Algorithmu­s“. Die anderen Parteien müssten sich die Frage stellen: „Wie kommt man im Algorithmu­s nach vorne?“

Das Grundgeset­z wird im Mai 75 Jahre alt. Luisa Neubauer, Klimaschut­zaktivisti­n, wird im April 28 Jahre. Demokratie lebt von ihrer Bestätigun­g durch die Wählerinne­n und Wähler. Mehr Demokratie also durch ein Wahlalter 16 bei Bundestags­wahlen? Für die Europawahl ist das Wahlalter schon auf 16 Jahre gesenkt. Das bedeutet eine Million Erstwähler im Alter zwischen 16 und 18 Jahren, wie Robert Vehrkamp von der Bertelsman­n-Stiftung sagt. Wahlalter 16? Laut Vehrkamp spricht „mehr dafür als dagegen“– unter anderem bringe man das Thema Wahlbeteil­igung in die Schulen. Neubauer: „Die jungen Leute sind ja nicht blöd. Die spüren, dass da was nicht aufgeht.“Bühnen für Auftritte von Politikern dürften die jungen Leute von Fridays for Future bauen, nur wählen dürfen sie nicht.

 ?? FOTO: BERND VON JUTRCZENKA/DPA ?? Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier spricht bei dem Debattenfo­rum in Schloss Bellevue über die Demokratie und das Grundgeset­z.
FOTO: BERND VON JUTRCZENKA/DPA Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier spricht bei dem Debattenfo­rum in Schloss Bellevue über die Demokratie und das Grundgeset­z.

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