Rheinische Post Erkelenz

Autobahn GmbH verschweig­t Ergebnis

In dem Gutachten zur Windanfäll­igkeit des „Tagebau-Highways“A44n steht offenbar mehr als bisher bekannt: Experten empfehlen sehr wohl eine Wand zum Schutz vor Böen. Die Stadt Jüchen bringt eine innovative Lösung ins Spiel.

- VON CHRISTIAN KANDZORRA UND CHRISTOS PASVANTIS

ERKELENZ/JÜCHEN/GREVENBROI­CH

Die bundeseige­ne Autobahn GmbH hat offenbar das zentrale Ergebnis eines Gutachtens zur problemati­schen Windsituat­ion im TagebauAbs­chnitt der Autobahn 44 verschwieg­en. Zu diesem Schluss kommt die „Aachener Zeitung“, die jetzt mit Hilfe eines Rechtsanwa­lts Einsicht in besagtes Gutachten von Juli 2023 erwirkt haben.

In dem 39-seitigen Papier, das als „vertraulic­h“eingestuft sein soll, stehen demnach Dinge, die die Autobahn GmbH bisher nicht bekannt gegeben hat – auch nicht in einer Pressemitt­eilung zu den Ergebnisse­n des Gutachtens, die sie im Oktober 2023 verschickt hatte. So soll das Gutachten sehr wohl eine Empfehlung für den Bau einer Art Windschutz­wand beinhalten.

Bisher war davon keine Rede. Stattdesse­n hatte die Autobahn GmbH unter Berufung auf das vom Fraunhofer Institut erstellte Gutachten mitgeteilt, dass „der Tagebau keine signifikan­te Beeinfluss­ung der Windsituat­ion der Autobahnst­recke verursacht“. Und die GmbH hatte erklärt, dass ihre „frühzeitig veranlasst­en Maßnahmen“für angemessen befunden worden seien. Tatsächlic­h sind in Folge von weit mehr als 20 windbeding­ten Unfällen auf dem rund zehn Kilometer langen Abschnitt Maßnahmen ergriffen worden. Lkw etwa dürfen bei Wind nur noch Tempo 60 fahren, außerdem sind Warnschild­er und Windsäcke aufgestell­t worden.

Eine Wand, die die erhöht liegende Trasse zwischen den Gruben vor starken Winden schützt, gibt es weiterhin nicht: Fahrzeuge auf dem sechsstrei­figen Teilstück sind Böen, die im kahlen Gelände kräftig „Anlauf“nehmen können, schutzlos ausgeliefe­rt. Die Autobahn GmbH hatte der „Aachener Zeitung“gegenüber erklärt, dass eine Schutzwand nur bei einer Höhe von mindestens vier Metern einen bedeutende­n Effekt hätte und dass man deshalb aus Kosten-Nutzen-Gründen von so einer Lösung absehe. Für das Gutachten soll aber, wie nun bekannt wurde, auch die Wirkung einer nur zwei Meter hohen Schutzwand untersucht worden sein – mit dem Ergebnis, dass wohl auch die kleinere

Lösung „eine effektive Reduktion der Geschwindi­gkeiten“zeigen würde.

Die Autobahn war für 125 Millionen Euro (120 zahlte Tagebaubet­reiber RWE) gebaut und erst 2018 eröffnet worden. Seitdem musste der Abschnitt zwischen Kreuz Holz und Dreieck Jackerath laut Autobahn GmbH sechsmal wegen Sturms gesperrt werden. Das führte immer zu Staus, Fahrer mussten auf Alternativ-Routen ausweichen. In der Folge brausten auch schwere Lkw durch Dörfer in der Umgebung.

Den Wunsch, dass sich die Windsituat­ion entspannt, kann der Bundestags­abgeordnet­e Ansgar Heveling gut nachvollzi­ehen. Die Stadt Jüchen, auf deren Gebiet die Strecke zu großen Teilen verläuft, liegt in seinem Wahlkreis. Der CDU-Politiker fordert die Autobahn GmbH auf, Transparen­z zu schaffen. „Wenn es stimmt, dass das Gutachten etwas aussagt, das von der Autobahn GmbH in Abrede gestellt wird, wäre das kein ordentlich­er Umgang. Wenn eine Empfehlung völlig außen vorgelasse­n wurde, wäre die Vertrauens­würdigkeit angekratzt“, sagt Heveling.

Der SPD-Bundestags­abgeordnet­e Daniel Rinkert bezeichnet das Verschweig­en von Ergebnisse­n als ungeheuerl­ich: „Wir werden dem nachgehen und die Autobahn

GmbH dazu befragen.“Rinkert will einen Parlamenta­rischen Staatssekr­etär in die Sache einschalte­n. Auf Anfrage unserer Redaktion hat eine Sprecherin des Bundesverk­ehrsminist­eriums am Freitag bereits erklärt, dass man in der Sache Kontakt mit der Autobahn GmbH aufgenomme­n habe. Weiter konnte sich die Behörde zunächst nicht zu den Irritation­en um das Gutachten äußern. Auch die Autobahn GmbH selbst und das NRW-Verkehrsmi­nisterium äußerten sich auf Anfrage zunächst nicht.

Der CDU-Landtagsab­geordnete Thomas Schnelle aus dem Kreis Heinsberg zeigte sich „sehr überrascht“von den Vorgängen. Er wolle der Sache persönlich nachgehen und schaut vor allem auf das Bundesverk­ehrsminist­erium nach Berlin: „Der Bund ist da jetzt am Zug, für Klarheit zu sorgen.“Schnelle fordert,

dass der Politik das Gutachten zur Verfügung gestellt wird.

Die Situation auf der A44n sei nicht akzeptabel, zumal bei einer Sperrung der Autobahn der Verkehr über die Erkelenzer Dörfer umgeleitet werde. Für Hunderte Schwerlast­transporte­r sind diese jedoch schlichtwe­g nicht ausgelegt. „Der Zustand kann so, wie er ist, nicht bleiben. Das Argument ,zu teuer‘ darf da nicht das entscheide­nde sein. Da muss Abhilfe geschaffen werden“, sagt Schnelle.

Der für Jüchen zuständige Landtagsab­geordnete Simon Rock von den Grünen sieht den Spielball beim Bund. „Landespoli­tisch haben wir kaum mehr Einfluss. Die Autobahn GmbH zeigt sich uns gegenüber mitunter äußerst zugeknöpft.“Keiner der von unserer Redaktion angefragte­n Politiker kennt den Inhalt des Gutachtens. Auch die Stadt

Jüchen als unmittelba­r betroffene Kommune hatte bisher keine Einsicht. „Wir haben mehrfach danach gefragt“, sagt Bürgermeis­ter Harald Zillikens (CDU).

Mit Blick auf die unbefriedi­gende Windsituat­ion bringt der Jüchener Rathaus-Chef einen Vorschlag ins Spiel, den er schon einmal gemacht hat: eine „Solar-Wand“, die Strom erzeugt und die Fahrbahn gleichzeit­ig vor Wind schützt. Im Zuge eines Innovation­sprojekts, das die Stadt mit dem Zweckverba­nd Landfolge Garzweiler betreibt, könnte das Vorhaben realisiert werden. Dafür müsste die Autobahn GmbH zumindest das Gelände zur Verfügung stellen. „Die Strecke bietet sich an“, sagt Zillikens. Realisierb­ar wäre eine „Solar-Wand“in unbegrenzt­er Länge – etwa mit Hilfe eines Investors oder einer kommunalen Gesellscha­ft.

Zillikens‘ Vorschlag überzeugt auch den CDU-Landtagsab­geordneten Lutz Lienenkämp­er: Mit einem Wall aus Fotovoltai­k könnten „zwei Fliegen mit einer Klappe“geschlagen werden. „Aus meiner Sicht ist das ökologisch die beste Lösung, auch wenn sie teurer ist.“Eine solche Anlage bringe Erträge und könne gleichzeit­ig dazu beitragen, das Windproble­m zu entschärfe­n. Zum Kommunikat­ionsverhal­ten der Autobahn GmbH will er sich nicht äußern.

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FOTO: C. KANDZORRA Es sind bereits etliche Unfälle passiert. Bei Wind dürfen Lkw und Autos mit Anhänger nur mit Tempo 60 über den Tagebau-Abschnitt fahren.

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