Autobahn GmbH verschweigt Ergebnis
In dem Gutachten zur Windanfälligkeit des „Tagebau-Highways“A44n steht offenbar mehr als bisher bekannt: Experten empfehlen sehr wohl eine Wand zum Schutz vor Böen. Die Stadt Jüchen bringt eine innovative Lösung ins Spiel.
ERKELENZ/JÜCHEN/GREVENBROICH
Die bundeseigene Autobahn GmbH hat offenbar das zentrale Ergebnis eines Gutachtens zur problematischen Windsituation im TagebauAbschnitt der Autobahn 44 verschwiegen. Zu diesem Schluss kommt die „Aachener Zeitung“, die jetzt mit Hilfe eines Rechtsanwalts Einsicht in besagtes Gutachten von Juli 2023 erwirkt haben.
In dem 39-seitigen Papier, das als „vertraulich“eingestuft sein soll, stehen demnach Dinge, die die Autobahn GmbH bisher nicht bekannt gegeben hat – auch nicht in einer Pressemitteilung zu den Ergebnissen des Gutachtens, die sie im Oktober 2023 verschickt hatte. So soll das Gutachten sehr wohl eine Empfehlung für den Bau einer Art Windschutzwand beinhalten.
Bisher war davon keine Rede. Stattdessen hatte die Autobahn GmbH unter Berufung auf das vom Fraunhofer Institut erstellte Gutachten mitgeteilt, dass „der Tagebau keine signifikante Beeinflussung der Windsituation der Autobahnstrecke verursacht“. Und die GmbH hatte erklärt, dass ihre „frühzeitig veranlassten Maßnahmen“für angemessen befunden worden seien. Tatsächlich sind in Folge von weit mehr als 20 windbedingten Unfällen auf dem rund zehn Kilometer langen Abschnitt Maßnahmen ergriffen worden. Lkw etwa dürfen bei Wind nur noch Tempo 60 fahren, außerdem sind Warnschilder und Windsäcke aufgestellt worden.
Eine Wand, die die erhöht liegende Trasse zwischen den Gruben vor starken Winden schützt, gibt es weiterhin nicht: Fahrzeuge auf dem sechsstreifigen Teilstück sind Böen, die im kahlen Gelände kräftig „Anlauf“nehmen können, schutzlos ausgeliefert. Die Autobahn GmbH hatte der „Aachener Zeitung“gegenüber erklärt, dass eine Schutzwand nur bei einer Höhe von mindestens vier Metern einen bedeutenden Effekt hätte und dass man deshalb aus Kosten-Nutzen-Gründen von so einer Lösung absehe. Für das Gutachten soll aber, wie nun bekannt wurde, auch die Wirkung einer nur zwei Meter hohen Schutzwand untersucht worden sein – mit dem Ergebnis, dass wohl auch die kleinere
Lösung „eine effektive Reduktion der Geschwindigkeiten“zeigen würde.
Die Autobahn war für 125 Millionen Euro (120 zahlte Tagebaubetreiber RWE) gebaut und erst 2018 eröffnet worden. Seitdem musste der Abschnitt zwischen Kreuz Holz und Dreieck Jackerath laut Autobahn GmbH sechsmal wegen Sturms gesperrt werden. Das führte immer zu Staus, Fahrer mussten auf Alternativ-Routen ausweichen. In der Folge brausten auch schwere Lkw durch Dörfer in der Umgebung.
Den Wunsch, dass sich die Windsituation entspannt, kann der Bundestagsabgeordnete Ansgar Heveling gut nachvollziehen. Die Stadt Jüchen, auf deren Gebiet die Strecke zu großen Teilen verläuft, liegt in seinem Wahlkreis. Der CDU-Politiker fordert die Autobahn GmbH auf, Transparenz zu schaffen. „Wenn es stimmt, dass das Gutachten etwas aussagt, das von der Autobahn GmbH in Abrede gestellt wird, wäre das kein ordentlicher Umgang. Wenn eine Empfehlung völlig außen vorgelassen wurde, wäre die Vertrauenswürdigkeit angekratzt“, sagt Heveling.
Der SPD-Bundestagsabgeordnete Daniel Rinkert bezeichnet das Verschweigen von Ergebnissen als ungeheuerlich: „Wir werden dem nachgehen und die Autobahn
GmbH dazu befragen.“Rinkert will einen Parlamentarischen Staatssekretär in die Sache einschalten. Auf Anfrage unserer Redaktion hat eine Sprecherin des Bundesverkehrsministeriums am Freitag bereits erklärt, dass man in der Sache Kontakt mit der Autobahn GmbH aufgenommen habe. Weiter konnte sich die Behörde zunächst nicht zu den Irritationen um das Gutachten äußern. Auch die Autobahn GmbH selbst und das NRW-Verkehrsministerium äußerten sich auf Anfrage zunächst nicht.
Der CDU-Landtagsabgeordnete Thomas Schnelle aus dem Kreis Heinsberg zeigte sich „sehr überrascht“von den Vorgängen. Er wolle der Sache persönlich nachgehen und schaut vor allem auf das Bundesverkehrsministerium nach Berlin: „Der Bund ist da jetzt am Zug, für Klarheit zu sorgen.“Schnelle fordert,
dass der Politik das Gutachten zur Verfügung gestellt wird.
Die Situation auf der A44n sei nicht akzeptabel, zumal bei einer Sperrung der Autobahn der Verkehr über die Erkelenzer Dörfer umgeleitet werde. Für Hunderte Schwerlasttransporter sind diese jedoch schlichtweg nicht ausgelegt. „Der Zustand kann so, wie er ist, nicht bleiben. Das Argument ,zu teuer‘ darf da nicht das entscheidende sein. Da muss Abhilfe geschaffen werden“, sagt Schnelle.
Der für Jüchen zuständige Landtagsabgeordnete Simon Rock von den Grünen sieht den Spielball beim Bund. „Landespolitisch haben wir kaum mehr Einfluss. Die Autobahn GmbH zeigt sich uns gegenüber mitunter äußerst zugeknöpft.“Keiner der von unserer Redaktion angefragten Politiker kennt den Inhalt des Gutachtens. Auch die Stadt
Jüchen als unmittelbar betroffene Kommune hatte bisher keine Einsicht. „Wir haben mehrfach danach gefragt“, sagt Bürgermeister Harald Zillikens (CDU).
Mit Blick auf die unbefriedigende Windsituation bringt der Jüchener Rathaus-Chef einen Vorschlag ins Spiel, den er schon einmal gemacht hat: eine „Solar-Wand“, die Strom erzeugt und die Fahrbahn gleichzeitig vor Wind schützt. Im Zuge eines Innovationsprojekts, das die Stadt mit dem Zweckverband Landfolge Garzweiler betreibt, könnte das Vorhaben realisiert werden. Dafür müsste die Autobahn GmbH zumindest das Gelände zur Verfügung stellen. „Die Strecke bietet sich an“, sagt Zillikens. Realisierbar wäre eine „Solar-Wand“in unbegrenzter Länge – etwa mit Hilfe eines Investors oder einer kommunalen Gesellschaft.
Zillikens‘ Vorschlag überzeugt auch den CDU-Landtagsabgeordneten Lutz Lienenkämper: Mit einem Wall aus Fotovoltaik könnten „zwei Fliegen mit einer Klappe“geschlagen werden. „Aus meiner Sicht ist das ökologisch die beste Lösung, auch wenn sie teurer ist.“Eine solche Anlage bringe Erträge und könne gleichzeitig dazu beitragen, das Windproblem zu entschärfen. Zum Kommunikationsverhalten der Autobahn GmbH will er sich nicht äußern.