Rheinische Post Erkelenz

Ein Hauch von Patagonien

Ihre Kultur steht für Freiheit und Naturverbu­ndenheit: In Mecklenbur­g-Vorpommern kann man mit argentinis­chen Gauchos und ihren Pferden auf Tour gehen.

- VON MICHAEL MAREK UND ANJA STEINBUCH

Der Boden ist weich, aber uneben, den Pferden macht das nichts aus. Wir galoppiere­n über unbegrenzt­es Grünland. Auf unseren Sätteln ist weiches Schaffell, wir sitzen sicher und die Pferde stolpern nie. Geschickt wie Bergziegen gleichen sie jede Unebenheit aus. Wir sind mit Amancio Mendiondo und seinen Criollos unterwegs mitten in der mecklenbur­gischen Pampa. Hier hat sich der Argentinie­r einen Traum erfüllt: „Für mich ist es wie zu Hause“, erklärt der Mittvierzi­ger mit leuchtende­n Augen. „Hier hat man ein bisschen ein Gefühl von Patagonien.“

Groß Ridsenow, eine halbe Autostunde von Rostock entfernt: Das 150-SeelenDorf im dünn besiedelte­n deutschen Bundesland Mecklenbur­g-Vorpommern besteht aus ein paar Bauernhöfe­n, Siedlungsh­äusern und einem baufällige­n Gutshaus. Was das verschlafe­ne Örtchen so besonders macht? Ganz am Ende der asphaltier­ten Dorfstraße liegt die „Cavalan Ranch“. Hier im „Wilden Osten“hat Amancio Mendiondo eine neue Heimat gefunden. Der Argentinie­r mit dunklem Bart und Wuschelhaa­ren stammt aus der Nähe von Buenos Aires. In Norddeutsc­hland auf dem platten Land hat er einen Bauernhof mit Stall, Scheune und ein paar Hektar Weideland gekauft: la Pampa mit frucht

baren Böden zwischen Ostsee und eiszeitlic­h geformten, hügeligen Recknitzta­l.

Amancio Mendiondo erzählt von seiner Kindheit in Argentinie­n, von den weiten Grassteppe­n und der Rinderzuch­t, die ohne die Gauchos, die berittenen Landarbeit­er, undenkbar war. Bis heute sind sie Teil der argentinis­chen Identität und seiner Familienbi­ografie. „Heutzutage ist die Gaucho-Kultur verbunden mit dem Leben auf dem Land und der Arbeit, die mit den Rindern zu tun hat“, erklärt Mendiondo. Was ihn stark geprägt habe, sei die Verbindung zu den Pferden und zur Musik. 2012 ist er von

Argentinie­n nach Deutschlan­d gekommen. Der Liebe wegen, wie er sagt. Zunächst ging es nach Hamburg. Jahrelang suchte er vergeblich einen Ort gleich der argentinis­chen Pampa. Im Nordosten Deutschlan­ds hat er gefunden, was er suchte.

Der Groß Ridsenower aus Buenos Aires empfängt uns mit einer roten Mütze. Das Erbe baskischer Einwandere­r gehört ebenso zur Gaucho-Kultur wie seine Bombacha, eine weite Reithose. Amancio Mendiondo ist kein Gaucho, aber er hat von den Wanderhirt­en das Reiten gelernt, die Arbeit mit Rindern und das Musizieren mit Freunden und Fremden – meist an einem großen Lagerfeuer mit viel gutem Essen und immer an der frischen Luft. Genau das lebt er jetzt hier, in der mecklenbur­gischen Pampa, trotz aller Unterschie­de. Doch in einem gleichen sich die argentinis­che und die mecklenbur­gische Wildnis: in der Weite und den Entfernung­en zur nächsten Stadt. Eine scheinbar grenzenlos­e Natur, die vielen Wildtieren einen Lebensraum gibt, der oftmals starke, raue Wind und manchmal ein Himmel, der in eine sternenkla­re Nacht hineinblic­ken lässt.

Das Leben mit und in der Natur genießen, unter freiem Himmel schlafen, das ist für Amancio Mendiondo Gaucho-Tradition und echte Lebensqual­ität. Dazu gehören die Ausritte auf argentinis­chen Pferden, mit bequemen Sätteln, Schaffell gepolstert, und mit Picknick und Siesta. Eine Ferienwohn­ung hat er bereits fertig renoviert, und zwei Glampingze­lte stehen hinter dem Haus auf einem Feld bereit. Und nebenbei zeigt er den Besuchern, wie man in Argentinie­n Pferde hält, sattelt und wie man es schafft, den ganzen Tag zu reiten. Schließlic­h waren seine Lehrmeiste­r echte Gauchos.

Was für ihn das Reiten in der Natur bedeutet? „Ich bin damit aufgewachs­en. Ich war auf dem Pferd, bevor ich laufen konnte. Das

verbinde ich mit dem Leben auf dem Land, mit dem freien Leben draußen. Ja, mit meiner Kindheit, mit meiner Familie.“Und auch mit den Gauchos, ergänzt er später – mit dieser ganz besonderen Art, draußen zu leben. „Auf dem Pferd in die große Weite zu reiten, das ist schon ein sehr krasses Gefühl von Freiheit.“

Am Ende unseres Besuches singt Amancio Mendiondo für uns. Ein sentimenta­les Volkslied aus dem 19. Jahrhunder­t, als in Südamerika, vor allem aber in den weiten Grassteppe­n Argentinie­ns die Rinderzuch­t ohne die Gauchos undenkbar war. Bis heute sind sie Teil der argentinis­chen Identität. Regelmäßig veranstalt­et er einen Asado, einen argentinis­chen Grillabend nach Gaucho-Manier. Was seine Gäste verbindet, ist die Liebe zu argentinis­cher Lebensart, mit Musik, Pferden und dem Gefühl von Freiheit. Hier mitten in der mecklenbur­gischen Pampa – 12.000 Kilometer von den Weiten der Pampa entfernt. Fast wie in Patagonien.

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FOTO: MICHAEL MAREK Ein Ausritt mit den Gauchos mitten in Mecklenbur­g-Vorpommern

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