Schlüsse aus dem Abhörskandal
Läuft bereits ein Informationskrieg gegen Deutschland? Die Bundeswehr erweist sich als schlecht vorbereitet auf Spionageaktionen wie aus Russland. Wie die Regierung nun vorgehen möchte.
Die Debatte über eine mögliche Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine hat mit der russischen Abhöraktion an Brisanz zugenommen. Die Befürworter einer Lieferung rufen zu Geschlossenheit auf, Kanzler Olaf Scholz (SPD) erteilte den Forderungen hingegen eine weitere klare Absage. Zugleich wird darüber diskutiert, wie die Kommunikation sicherer werden kann – und wie der Nutzen für die russische Propaganda zu begrenzen ist.
Scholz sagte am Montag bei einer Fragerunde an einem beruflichen Schulzentrum im baden-württembergischen Sindelfingen: „Ich bin der Kanzler, und deshalb gilt das.“Den innenpolitischen Streit über Taurus bezeichnete er als „merkwürdige Debatte über einzelne Waffensysteme“. Der Kanzler bekräftigte seine Argumentation: „Es kann nicht sein, dass man ein Waffensystem liefert, das sehr weit reicht, und dann nicht darüber nachdenkt, wie die Kontrolle über das Waffensystem stattfinden kann. Und wenn man die Kontrolle haben will und es nur geht, wenn deutsche Soldaten beteiligt sind, ist das völlig ausgeschlossen.“Zu dem abgehörten Gespräch von hochrangigen Bundeswehr-Offizieren über Taurus äußerte Scholz sich nicht, er wurde aber auch nicht danach gefragt.
Am Freitag war zunächst in russischen Online-Netzwerken das Gespräch veröffentlicht worden. Darin diskutierten die Teilnehmer unter anderem darüber, ob mit den Taurus-Flugkörpern auch die Kertsch-Brücke getroffen werden könnte, welche die von Russland völkerrechtswidrig annektierte Halbinsel Krim mit dem russischen Festland verbindet, und ob ukrainische Streitkräfte das Waffensystem eigenständig bedienen könnten. Dabei widersprachen die Offiziere der von Kanzler Scholz vorgebrachten These, wonach für den TaurusEinsatz eine direkte Beteiligung deutscher Militärs notwendig sei. Einer der Teilnehmer war Luftwaffe-Chef Ingo Gerhartz. Inwiefern es zu personellen Konsequenzen kommen wird nach dem Abhörskandal, blieb zunächst weiter offen.
Unter Hochdruck wird im Militärischen Abschirmdienst (MAD) an Schlüssen aus der für die Bundeswehr durchaus blamablen Panne gearbeitet. Auf dem Prüfstand sind die Kommunikationstechnik und das Verhalten der Beteiligten, um mögliche Lücken zu schließen, die den Angriff möglich gemacht haben. Vize-Regierungssprecher Wolfgang Büchner mahnte am Montag zu Besonnenheit. Zwar betonte er, die Aufklärung des Vorfalls werde weiter vorangetrieben – man dürfe jedoch „nicht das Spiel Putins spielen“. Auch dürfe sich die Regierung nicht von Äußerungen aus dem Kreml einschüchtern lassen, sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amts.
Kreml-Sprecher Dmitri Peskow sagte zu dem abgehörten Gespräch: „Die Aufnahme besagt, dass innerhalb der Bundeswehr Pläne für Angriffe
auf russisches Territorium inhaltlich und konkret diskutiert werden.“Ein Sprecher der Bundesregierung sprach dagegen von einer „absurden, infamen russischen Propaganda“. Die Führung in Moskau versuche den Westen und Deutschland mit der Veröffentlichung des Mitschnitts zu spalten. Das Auswärtige Amt dementierte zudem, dass der deutsche Botschafter in Moskau vorgeladen worden sei. Das Gespräch von Botschafter Alexander Graf Lambsdorff im russischen Außenministerium sei länger geplant gewesen.
Unterdessen dringt die Union
weiterhin auf einen Untersuchungsausschuss und eine Sondersitzung des Verteidigungsausschusses. Die SPD und die Grünen lehnen einen Untersuchungsausschuss ab. Der Verteidigungs- und Haushaltsexperte der SPD-Bundestagsfraktion, Andreas Schwarz, ist einer der Befürworter einer Taurus-Lieferung. „Wir sollten den Vorgang schnell und gründlich aufarbeiten und dringend an unserer Sicherheitsarchitektur, auch bei der Kommunikation, arbeiten“, sagte Schwarz unserer Redaktion.
„Wir sollten dringend an unserer Sicherheitsarchitektur arbeiten“Andreas Schwarz Verteidigungsexperte der SPD-Fraktion