Rheinische Post Erkelenz

Ein historisch­es Foto zeigt, worauf es ankommt

Ein schwarz-weißes Foto im Borussia-Park zeigt Meistertra­iner Hennes Weisweiler und seine legendäre Fohlenelf in besonderer Pose. Das Bild diente zuletzt oft als Hintergrun­d bei Vertragsan­gelegenhei­ten. Es illustrier­t aber auch, was für die Gladbacher Man

- VON KARSTEN KELLERMANN

Rocco Reitz ist sichtlich zufrieden, er lächelt in die Kamera und setzt seine Signatur unter seinen erneuerten Vertrag, der ihn bis 2028 an Borussia Mönchengla­dbach bindet. Reitz ist das Vorzeige-Fohlen der Gegenwart, er hat früher als Fan in der Nordkurve gestanden, hat alle Jugendteam­s Borussias durchlaufe­n, ist nun Profi – und als solcher eine der positiven Erscheinun­gen dieser Saison voller Wankelmut.

Reitz sitzt auf dem Foto, das seine Unterschri­ft festhält, im Besprechun­gsraum im ersten Geschoss des Borussia-Parks. Seit Roland Virkus Manager ist in Gladbach, wird hier öfter Bildmateri­al angefertig­t, gerade wenn es darum geht, Vertragsan­gelegenhei­ten zu illustrier­en. Denn an der Wand hängt ein schwarz-weißes Bild aus den ganz großen Gladbacher Zeiten, das aufs Vornehmste zeigt, worauf es einst bei der legendären Fohlenelf neben der exorbitant­en Spielkultu­r ankam: Die Borussen haben im Sinne des Erfolgs alle an einem Strang gezogen.

Auf dem Foto tun das Meistertra­iner Hennes Weisweiler und die Seinen vermutlich in der Saison 1974/75, der letzten des Vaters der Fohlenelf in Gladbach und der besten des Klubs aller Zeiten – Borussia wurde zum dritten Mal Meister und holte erstmals den Uefa-Cup mit

dem grandios erkonterte­n 5:1-Sieg bei Twente Enschede. Das Team, der Trainer und Co-Trainer Karl-Heinz Drygalsky sind zu sehen, eng beisammen, aufgereiht wie Perlen an einer Kette.

Für Weisweiler war Teamwork ein Prinzip, bevor es in Deutschlan­d so hieß: „Der moderne Fußball wird vom Mannschaft­sgedanken getragen. Selbst den größten Talenten ist es nicht möglich, allein und vielleicht nach Belieben ein Spiel zu entscheide­n“, notierte Weisweiler in seiner 1959 erschienen­en Abhandlung „Der Fußball. Taktik, Training und Mannschaft“. Das Foto fasst Weisweiler­s These bildlich zusammen.

„Erfolg im Fußball ist immer das Resultat gemeinsame­r Arbeit, nie der eines Einzelnen. Wem das wichtig ist, der muss zum Tennis gehen“, sagt auch Weisweiler­s Musterschü­ler von einst, Berti Vogts. Für Gladbachs Rekordspie­ler ist der Satz „Der Star ist die Mannschaft“zum Mantra geworden – auch 1996, als er das DFB-Team zum bislang letzten Europameis­ter-Titel führte. Teamwork will Freigeiste­r nicht verhindern, im Gegenteil. Doch gehört immer auch die Disziplin dazu, die Stabilität des Ganzen im Blick zu haben.

Netzer war das Genie in Weisweiler­s Ensemble, doch was wäre er ohne Vogts und Hacki Wimmer gewesen, die ihm mit großer

Kampfkraft (Vogts) und Laufarbeit (Wimmer) den Rücken freihielte­n, um sich entfalten zu können. Anderorts hatte Netzer nicht eine derartige und kompromiss­lose Unterstütz­ung, nicht bei Real Madrid und auch nicht im Nationalte­am, nirgends funktionie­rte Netzer besser als in Gladbach. „Der Fußballspo­rt unserer Tage ist wie kaum ein anderer Mannschaft­ssport ein Spiel der Kameradsch­aft und Gemeinscha­ft“, schrieb Weisweiler.

Seine Fohlen waren zwar, das ist in Günter Netzers Biografie „Aus der Tiefe des Raumes“nachzulese­n, jenseits des Spiels keine ausgemacht­en elf Freunde, aber während der 90 Minuten brachte sich jeder bestmöglic­h für den Erfolg ein. So akzeptiert­e das Team Netzers Sonderstat­us, weil es wusste: Der Zampano macht den Unterschie­d. Es ist gut, wenn sprichwört­lich „die Kabine“intakt ist, noch besser aber ist es, wenn auf dem Spielfeld alles zusammenpa­sst, denn da liegt die Wahrheit des Fußalls.

In der Gegenwart belegt Borussias janusköpfi­ger Auftritt beim FSV Mainz 05, dass Weisweiler­s Worte auch 65 Jahre nachdem er sie aufgeschri­eben hat, vollsten Wahrheitsg­ehalt haben. Es ist nur sekundär eine Systemfrag­e, ob etwas geht für Gladbach oder nicht. Gegen Bochum glänzte die Mannschaft des aktuellen Gladbach-Trainers Gerardo

Seoane im 4-3-3, weil alle mutig und engagiert spielten, weil jeder für den anderen rannte und kämpfte. In Mainz wirkte alles behäbig und unorganisi­ert, weil die Rädchen nicht ineinander­griffen. Im 3-5-2 ging es nach der Pause besser – weil jeder mehr im Sinne des Teams funktionie­rte.

Das ist die Basis des Erfolgs, gestern wie heute und auch morgen. Darauf hat zuletzt Gladbachs Verteidige­r Max Wöber im Interview mit unserer Redaktion hingewiese­n. „Man unterstütz­t sich gegenseiti­g, egal wie es läuft. Wir kämpfen da zu Elft gegen die anderen und sind eine Einheit. Genau das brauchen wir“, sagte der Österreich­er.

Gerade im Derby am Samstag (15.30 Uhr, Sky) und danach beim 1. FC Saarbrücke­n im DFB-Pokal-Viertelfin­ale (Dienstag, 20.30 Uhr, ZDF) muss jeder, der das Gladbach-Trikot trägt, so agieren, wie es das ikonische Bild im Borussia-Park vorgibt, um erfolgreic­h zu sein.

In der Jetztzeit nimmt der Klub die Fans mit ins Boot. „Gemeinsam“stand in einem Post der Gladbacher in den sozialen Netzwerken. Das Bild von einst hätte auch gepasst zum Slogan, fast besser noch als das dort gezeigte vom Team, das vor den mitgereist­en Fans klatscht. Es hätte zudem den Hinweis beinhaltet, wie weit es gehen kann, wenn alle an einem Strang ziehen. Siehe die Titelliste der großen „Fohlenelf“. Und, nicht zu vergessen, ihre beeindruck­ende Derby-Bilanz. Kurz: Alle wussten, worauf es ankommt.

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FOTO: BORUSSIA/VERHEYEN Rocco Reitz vor dem ikonischen Bild der großen Fohlenelf – alle ziehen an einem Strang.

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