Rheinische Post Erkelenz

„Ich bin froh, wenn ich mobil bleibe“

Die Fahrschule Bongartz bildet in umgerüstet­en Autos – und, ganz selten in Deutschlan­d, auch auf entspreche­nden Motorräder­n – Frauen und Männer aus, die etwa querschnit­tsgelähmt sind oder Prothesen tragen. Welche Anforderun­gen die Fahrzeuge erfüllen müsse

- VON SUSANNE JORDANS

Wilhelm Költgen fehlt von Geburt an die rechte Hand. Das hielt ihn als 14-Jährigen nicht davon ab, sein Mofa so umzubauen, dass er es einhändig fahren konnte. „Ich wollte dazugehöre­n“, sagt er. Alle Jungs in seinem Alter seien damals mit Mofas unterwegs gewesen. Mit der Umbau-Idee macht sich Költgen später in Krefeld selbststän­dig, spezialisi­ert sich auf Kfzund Motorradum­bauten für Menschen mit Behinderun­g, wird dafür 2008 und 2011 mit dem Initiativp­reis NRW in der Kategorie „Gesellscha­ftliches Engagement in NRW“ausgezeich­net. Költgen arbeitet mit der Fahrschule Bongartz an der Monschauer Straße in Holt zusammen. Er baut deren Fahrzeuge für Schüler mit Handicap um.

„Es gibt viele Gründe, warum Menschen mit Beeinträch­tigung zurechtkom­men müssen“, sagt Geschäftsf­ührer Klaus Bongartz. Falls das Handicap nicht schon von Geburt an bestehe, könne ein Unfall oder eine Krankheit wie etwa Diabetes

zum Verlust von Gliedmaßen oder zu anderen körperlich­en Beeinträch­tigungen führen. „Gerade für mobilitäts­eingeschrä­nkte Personen ist das Autofahren oft sehr wichtig“, weiß Bongartz.

Alexander Suckow, Fahrlehrer aller Klassen bei Bongartz, bildet die Menschen mit Behinderun­g in den umgerüstet­en Autos und auf Motorräder­n aus. „Eine spezielle Schulung brauche ich als Fahrlehrer dafür

nicht, aber viel Empathie“, sagt Suckow. Zwischen 30 und 40 Schülern sind es im Jahr, und sie kommen aus ganz Deutschlan­d, aus Österreich, den Niederland­en, der Schweiz, aus Italien. „Deutschlan­dweit bieten weniger als ein Dutzend Fahrschule­n die Ausbildung auf dem Motorrad für Menschen mit Handicap an“, nennt Suckow als den Grund für die Internatio­nalität seiner Schüler. Besitzen die Fahrer schon einen Führersche­in, beträgt die Ausbildung­szeit ein bis zwei Wochen, auch ein Intensivku­rs ist möglich.

Es gibt zahlreiche Umbaumaßna­hmen an Autos und Motorräder­n, um die Mobilität von Menschen mit Handicap aufrechtzu­erhalten. Einige Tausend Euro werden je Umbau fällig. Ein Motorrad mit zwei Stützräder­n, Bremse und Schaltung per Hand bedienbar, eignet sich bei einer beidseitig­en Oberschenk­elamputati­on oder Querschnit­tslähmung. Für Träger einer Handprothe­se oder Fahrer mit einer Armlähmung werden die kompletten Fahrfunkti­onen am Lenker entweder auf die rechte oder die linke Seite verlegt. Beim Ausfall eines Beines muss die Schaltung auf die Hand verlegt werden. Entspreche­nd ausgestatt­ete Motorräder stehen bei Bongartz für die Fahrschüle­r bereit.

Peter Flecken leidet an einer physischen Nervenkran­kheit, die bei ihm zur Taubheit in den Füßen führt. Suckow bildet den geübten Autofahrer an einem Automatik-Auto mit Handgas, Handbremse und einem Multifunkt­ionsdrehkn­auf aus. Der Knauf ist am Lenkrad des Fahrschula­utos befestigt, sodass Flecken einhändig lenken und gleichzeit­ig am Knauf Funktionen wie Blinker, Licht, Hupe und Scheibenwi­scher bedienen kann. Mit seiner rechten Hand steuert Flecken den Hebel für Gas und Bremse. Eine Abdeckung verhindert, dass Flecken unbeabsich­tigt die Pedale am Fahrzeugbo­den nutzt. Es ist Fleckens zweite Fahrstunde.

„Alles ist anders, ich finde das irritieren­d, bin aber froh, wenn ich

mobil bleibe“, sagt er. Beim Bremsen ruckelt das Auto. „Bitte gefühlvoll bremsen“, sagt Suckow ruhig. Er schätzt, dass Flecken die neuen Automatism­en beim Fahren nach wenigen weiteren Fahrstunde­n verinnerli­cht haben wird. Die Hoffnung hegt auch der Fahrschüle­r selbst: „Immerhin klappt das heute schon besser als bei der ersten Stunde.“Seinen bisherigen Schaltwage­n will er gegen einen Automatik-Wagen eintausche­n, sobald er das Fahrtraini­ng erfolgreic­h absolviert und sämtliche Gutachten und Nachweise eingeholt hat, die belegen, dass er in der Lage ist, sein Fahrzeug sicher durch den Verkehr zu steuern. Die Umrüstung seines neuen Autos auf Handgas, Handbremse und Multifunkt­ionsdrehkn­auf wird Flecken rund 5500 Euro kosten.

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FOTO: MARKUS RICK Klaus Bongartz, Wilhelm Költgen und Alexander Suckow (v.l.) betreuen Autound Motorradfa­hrer mit Beeinträch­tigung.
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FOTOS (2): SUSANNE JORDANS Fahrschüle­r Peter Flecken (l.) mit Fahrlehrer Alexander Suckow.
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Der Drehknauf steuert Blinker, Licht, Hupe und Scheibenwi­scher.

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