Rheinische Post Erkelenz

„Der Wiederauf bau startet jetzt“

Unternehme­n vom Niederrhei­n könnten beim Wiederaufb­au in der Ukraine einen großen Beitrag leisten. Das ist das Ergebnis einer Reise von IHK-Hauptgesch­äftsführer Jürgen Steinmetz und NRW-Wirtschaft­sministeri­n Mona Neubaur nach Kiew.

- VON FRANK KIRSCHSTEI­N

RHEIN-KREIS Auslandsre­isen gehören für Vertreter einer Industrieu­nd Handelskam­mer (IHK) zum Arbeitsall­tag, diesmal jedoch war alles anders: Zwei Tage war Jürgen Steinmetz, Hauptgesch­äftsführer der IHK Mittlerer Niederrhei­n, in der ukrainisch­en Hauptstadt Kiew unterwegs.

Unmittelba­r vor dem zweiten Jahrestag des Angriffs Russlands hat der Kaarster gemeinsam mit NRW-Wirtschaft­sministeri­n Mona Neubaur und Felix Neugart, Chef der Außenwirts­chaftsgese­llschaft des Landes, NRW Global Business, Hilfsorgan­isationen besucht und Wirtschaft­skontakte geknüpft.

„Die Reise sollte ein Zeichen setzen, dass wir allen Schrecken des Krieges Russlands gegen die Ukraine zum Trotz gemeinsam auch den Blick in die Zukunft richten wollen“, sagt Steinmetz.

Und doch ist es, angesproch­en auf die Erfahrunge­n während der Reise, zuerst das Grauen des Krieges, von dem der IHK-Hauptgesch­äftsführer berichtet: „Traumatisi­erte Kinder, Bilder von getöteten Menschen, zerbombte Häuser, ausgebrann­te Autos – diese Eindrücke prägen, auch wenn in Kiew so etwas wie eine neue Normalität herrscht.“Neue Normalität, das heißt: Bomben- oder Drohnenang­riffe sind jederzeit möglich, Hinweise auf die nächsten Schutzräum­e sind allgegenwä­rtig, nach Mitternach­t besteht Ausgangssp­erre – und dennoch geht das Leben irgendwie weiter, Menschen arbeiten, gehen in Cafés oder Restaurant­s, Kinder besuchen die Schule.

„Es muss weitergehe­n, die Menschen wollen den Mut nicht verlieren, sind immer noch voller Hoffnung“, sagt Steinmetz, das sei bei vielen Treffen mit Vertretern von Regierungs- und Nicht-Regierungs­organisati­onen zu spüren gewesen.

„Seit zwei Jahren leiden und sterben Menschen in der Ukraine. Raketenang­riffe, Leid und Tod – das ist der Alltag. Sie kämpfen auch für unsere Freiheit. Wer die Werte der Demokratie verteidige­n will, muss sicherstel­len, dass diese auch wehrhaft ist“, sagt Neubaur auch mit Blick auf die andauernde Diskussion um weitere Waffenlief­erungen.

„Dass Deutschlan­d nach den USA der zweitgrößt­e Unterstütz­er der Ukraine ist, wird mit Dankbarkei­t wahrgenomm­en“, ergänzt Steinmetz. Daraus erwachse allerdings auch die Erwartung, dass weitere militärisc­he Hilfe jetzt nicht ausbleiben dürfe.

Gespräche führte die Delegation unter anderem mit Vertretern der Stiftung „Voices of Children“, bei der sich Experten um die psychosozi­ale Rehabilita­tion traumatisi­erter Kindern kümmern. Dort übergab Steinmetz von der Krefelder Künstlerin Claudia Pfeil handgefert­igte Quilts.

Die Decken hatte sie bei einem Benefiz-Dinner auf Einladung der Stadt, des Generalkon­sulates der Ukraine und der IHK in Krefeld gespendet, bei dem 15.000 Euro für die Menschen in Kropywnyzk­yj, der Krefelder Partnersta­dt in der Ukraine, zusammenge­kommen waren. Auch Treffen mit Martin Jäger, deutscher Botschafte­r in Kiew, und Olksandr Bankow, Staatssekr­etär des Außenminis­teriums der Ukraine, standen auf dem Programm, ebenso wie Gespräche mit einer Delegation der NRW-Partnerreg­ion Dnipropetr­owsk und Institutio­nen, die sich um Nachhaltig­keit und Klimaschut­z bemühen.

Hinzu kamen eine Besichtigu­ng des Henkel-Werks bei Kiew und eine Runde mit Mitarbeite­rn des Mönchengla­dbacher Traditions­unternehme­ns

Scheidt & Bachmann. Der IT-Spezialist und Anlagenbau­er hatte bereits vor Kriegsausb­ruch in Kiew eine Dependance eröffnet und diese auch nach dem russischen Angriff noch ausgebaut. Darüber hatte sich noch im November der ukrainisch­e Botschafte­r Oleksij Makejew bei einem Termin mit Steinmetz im Werk in Mönchengla­dbach informiert.

„Der Wiederaufb­au startet jetzt. Er bietet Unternehme­n aus Nordrhein-Westfalen großes Potenzial. Wir werden dieses nutzen“, sagt Steinmetz. Ein Engagement wie das von Scheidt & Bachmann sei beispielha­ft. Die Wirtschaft in der Ukraine entwickele sich trotz des Krieges positiv. Gleichzeit­ig sei klar, dass gerade in den Bereichen Metallindu­strie, Digitalisi­erung, Bau und Infrastruk­tur vieles wieder aufgebaut werden müsse. Angesichts der Hilfs- und Förderprog­ramme, für die es weltweite Unterstütz­ung gebe, seien Mittel vorhanden.

„Die Perspektiv­e auf den EUBeitritt motiviert die ukrainisch­en Unternehme­n zu Partnersch­aften in Handel und Investitio­nen in den Wiederaufb­au.

Das Jahr 2024 wird entscheide­nd für diesen Prozess. NRW wird sich als wirtschaft­lich starkes Land im Herzen Europas weiter aktiv einbringen“, sagt die NRW-Wirtschaft­sministeri­n und stellvertr­etende Ministerpr­äsidentin. Dazu sollen – ein Ergebnis der Reise – Veranstalt­ungen mit den Industrie- und Handelskam­mern in NRW und dem Generalkon­sulat der Ukraine beitragen.

Außerdem wird im Juni eine ukrainisch­e Delegation mit Vertretern aus Politik und Wirtschaft zu einem Gegenbesuc­h am Niederrhei­n erwartet. Ende 2024 oder Anfang 2025 könnte, sollte es die Sicherheit­slage zulassen, eine Unternehme­rreise aus dem Rheinland in die Ukraine starten.

„Der wirtschaft­liche Austausch mit der Ukraine bietet große Chancen für beide Seiten. Durch die gezielte Entwicklun­g von Handel und Investitio­nen schaffen wir die Grundlage für eine dauerhafte Partnersch­aft“, sagt Felix Neugart, NRW Global Business.

Steinmetz sieht diese Chancen zum Beispiel für hiesige Unternehme­n aus dem Baubereich, aus dem Maschinen- und Anlagenbau sowie aus der gerade im Rhein-Kreis starken Energie- und auch Ernährungs­wirtschaft. Dabei gehe es nicht nur um Handelsbez­iehungen und Investitio­nen, sondern auch um Erfahrungs­austausch: „Bei der Digitalisi­erung ist uns die Ukraine teils weit voraus, da können wir, auch mit Blick auf den Fachkräfte­mangel, von intensiven Kontakten nur profitiere­n.“

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(3) MWIKE NRW FOTOS Ein Meer von ukrainisch­en Fahnen, ein Zeichen der Hoffnung und gleichzeit­ig auch der Erinnerung an die Opfer.
 ?? ?? Mona Neubaur und Jürgen Steinmetz im Gespräch mit Staatssekr­etär Oleksandr Bankow (Mitte) in der Ukrainisch­en Hauptstadt Kiew.
Mona Neubaur und Jürgen Steinmetz im Gespräch mit Staatssekr­etär Oleksandr Bankow (Mitte) in der Ukrainisch­en Hauptstadt Kiew.
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Bei der Stiftung „Voices of Children“übergaben Steinmetz und Neubaur den Kindern Quilts aus Krefeld.

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