„Der Wiederauf bau startet jetzt“
Unternehmen vom Niederrhein könnten beim Wiederaufbau in der Ukraine einen großen Beitrag leisten. Das ist das Ergebnis einer Reise von IHK-Hauptgeschäftsführer Jürgen Steinmetz und NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur nach Kiew.
RHEIN-KREIS Auslandsreisen gehören für Vertreter einer Industrieund Handelskammer (IHK) zum Arbeitsalltag, diesmal jedoch war alles anders: Zwei Tage war Jürgen Steinmetz, Hauptgeschäftsführer der IHK Mittlerer Niederrhein, in der ukrainischen Hauptstadt Kiew unterwegs.
Unmittelbar vor dem zweiten Jahrestag des Angriffs Russlands hat der Kaarster gemeinsam mit NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur und Felix Neugart, Chef der Außenwirtschaftsgesellschaft des Landes, NRW Global Business, Hilfsorganisationen besucht und Wirtschaftskontakte geknüpft.
„Die Reise sollte ein Zeichen setzen, dass wir allen Schrecken des Krieges Russlands gegen die Ukraine zum Trotz gemeinsam auch den Blick in die Zukunft richten wollen“, sagt Steinmetz.
Und doch ist es, angesprochen auf die Erfahrungen während der Reise, zuerst das Grauen des Krieges, von dem der IHK-Hauptgeschäftsführer berichtet: „Traumatisierte Kinder, Bilder von getöteten Menschen, zerbombte Häuser, ausgebrannte Autos – diese Eindrücke prägen, auch wenn in Kiew so etwas wie eine neue Normalität herrscht.“Neue Normalität, das heißt: Bomben- oder Drohnenangriffe sind jederzeit möglich, Hinweise auf die nächsten Schutzräume sind allgegenwärtig, nach Mitternacht besteht Ausgangssperre – und dennoch geht das Leben irgendwie weiter, Menschen arbeiten, gehen in Cafés oder Restaurants, Kinder besuchen die Schule.
„Es muss weitergehen, die Menschen wollen den Mut nicht verlieren, sind immer noch voller Hoffnung“, sagt Steinmetz, das sei bei vielen Treffen mit Vertretern von Regierungs- und Nicht-Regierungsorganisationen zu spüren gewesen.
„Seit zwei Jahren leiden und sterben Menschen in der Ukraine. Raketenangriffe, Leid und Tod – das ist der Alltag. Sie kämpfen auch für unsere Freiheit. Wer die Werte der Demokratie verteidigen will, muss sicherstellen, dass diese auch wehrhaft ist“, sagt Neubaur auch mit Blick auf die andauernde Diskussion um weitere Waffenlieferungen.
„Dass Deutschland nach den USA der zweitgrößte Unterstützer der Ukraine ist, wird mit Dankbarkeit wahrgenommen“, ergänzt Steinmetz. Daraus erwachse allerdings auch die Erwartung, dass weitere militärische Hilfe jetzt nicht ausbleiben dürfe.
Gespräche führte die Delegation unter anderem mit Vertretern der Stiftung „Voices of Children“, bei der sich Experten um die psychosoziale Rehabilitation traumatisierter Kindern kümmern. Dort übergab Steinmetz von der Krefelder Künstlerin Claudia Pfeil handgefertigte Quilts.
Die Decken hatte sie bei einem Benefiz-Dinner auf Einladung der Stadt, des Generalkonsulates der Ukraine und der IHK in Krefeld gespendet, bei dem 15.000 Euro für die Menschen in Kropywnyzkyj, der Krefelder Partnerstadt in der Ukraine, zusammengekommen waren. Auch Treffen mit Martin Jäger, deutscher Botschafter in Kiew, und Olksandr Bankow, Staatssekretär des Außenministeriums der Ukraine, standen auf dem Programm, ebenso wie Gespräche mit einer Delegation der NRW-Partnerregion Dnipropetrowsk und Institutionen, die sich um Nachhaltigkeit und Klimaschutz bemühen.
Hinzu kamen eine Besichtigung des Henkel-Werks bei Kiew und eine Runde mit Mitarbeitern des Mönchengladbacher Traditionsunternehmens
Scheidt & Bachmann. Der IT-Spezialist und Anlagenbauer hatte bereits vor Kriegsausbruch in Kiew eine Dependance eröffnet und diese auch nach dem russischen Angriff noch ausgebaut. Darüber hatte sich noch im November der ukrainische Botschafter Oleksij Makejew bei einem Termin mit Steinmetz im Werk in Mönchengladbach informiert.
„Der Wiederaufbau startet jetzt. Er bietet Unternehmen aus Nordrhein-Westfalen großes Potenzial. Wir werden dieses nutzen“, sagt Steinmetz. Ein Engagement wie das von Scheidt & Bachmann sei beispielhaft. Die Wirtschaft in der Ukraine entwickele sich trotz des Krieges positiv. Gleichzeitig sei klar, dass gerade in den Bereichen Metallindustrie, Digitalisierung, Bau und Infrastruktur vieles wieder aufgebaut werden müsse. Angesichts der Hilfs- und Förderprogramme, für die es weltweite Unterstützung gebe, seien Mittel vorhanden.
„Die Perspektive auf den EUBeitritt motiviert die ukrainischen Unternehmen zu Partnerschaften in Handel und Investitionen in den Wiederaufbau.
Das Jahr 2024 wird entscheidend für diesen Prozess. NRW wird sich als wirtschaftlich starkes Land im Herzen Europas weiter aktiv einbringen“, sagt die NRW-Wirtschaftsministerin und stellvertretende Ministerpräsidentin. Dazu sollen – ein Ergebnis der Reise – Veranstaltungen mit den Industrie- und Handelskammern in NRW und dem Generalkonsulat der Ukraine beitragen.
Außerdem wird im Juni eine ukrainische Delegation mit Vertretern aus Politik und Wirtschaft zu einem Gegenbesuch am Niederrhein erwartet. Ende 2024 oder Anfang 2025 könnte, sollte es die Sicherheitslage zulassen, eine Unternehmerreise aus dem Rheinland in die Ukraine starten.
„Der wirtschaftliche Austausch mit der Ukraine bietet große Chancen für beide Seiten. Durch die gezielte Entwicklung von Handel und Investitionen schaffen wir die Grundlage für eine dauerhafte Partnerschaft“, sagt Felix Neugart, NRW Global Business.
Steinmetz sieht diese Chancen zum Beispiel für hiesige Unternehmen aus dem Baubereich, aus dem Maschinen- und Anlagenbau sowie aus der gerade im Rhein-Kreis starken Energie- und auch Ernährungswirtschaft. Dabei gehe es nicht nur um Handelsbeziehungen und Investitionen, sondern auch um Erfahrungsaustausch: „Bei der Digitalisierung ist uns die Ukraine teils weit voraus, da können wir, auch mit Blick auf den Fachkräftemangel, von intensiven Kontakten nur profitieren.“