Mehr Jugendliche nehmen Amphetamine
Birthe Wernery hat in den vergangenen fünf Jahren mit der tierischen Unterstützung von Sam einen guten Kontakt zu den Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Wegberg aufgebaut. Die Streetworkerin zieht Bilanz.
Birthe Wernery und ihr Retriever-Rüde Sam sind in Wegberg bekannt wie der sprichwörtliche bunte Hund. Zusammen nennen sie sich seit fünf Jahren „Hilfe auf sechs Beinen“. Jetzt legte die Streetworkerin dem Ausschuss für Bildung, Integration, Soziales, Kultur, Demographie und Sport ihren Jahresbericht vor. Der zeigt: Auch in einem Land wie Deutschland, in dem das Prinzip der sozialen Gerechtigkeit als Verfassungsgrundlage im Grundgesetz verankert ist, finden sich zahllose Menschen, die ins emotionale oder soziale Abseits geraten sind. Auch in Wegberg finden sich jene, die vielleicht eine falsche Entscheidung getroffen haben, einen Schicksalsschlag nicht verkraften konnten oder im entscheidenden Moment niemanden hatten, der auf sie aufgepasst hat.
Als Streetworkerin begibt Birthe Wernery, die mit den Jugendlichen und jungen Erwachsenen per du ist, sich in die Lebenswirklichkeiten ihrer Zielgruppe und besucht sie an ihren Treffpunkten. Sie weiß, dass ihr Beruf auch teils riskante und unvorhersehbare Situationen mit sich bringen kann. „Ich weiß, dass die meisten Jugendlichen bewaffnet unterwegs sind und leicht aggressiv werden können, was natürlich
durch den Konsum von Alkohol oder chemischen Substanzen verstärkt wird.“Angst bei der Arbeit habe sie jedoch keine. „Ich habe zu vielen eine gute Vertrauensbasis aufgebaut und achte auch sehr darauf, dieses Vertrauen nicht zu brechen“, sagt die 34-Jährige. Um diese Basis überhaupt entstehen lassen zu können, setzt sie sich regelmäßig unvorhersehbaren Situationen aus und toleriert auch grenzüberschreitendes Verhalten. „Meine Arbeitsweise zeichnet sich durch ein hohes Maß an Eigenverantwortlichkeit in der Planung und Durchführung von Aktionsvorhaben sowie in der Betreuung, Begleitung und Unterstützung der Zielgruppe mit teils erheblichen Entwicklungsdefiziten
und Problemlagen aus“, fasst sie es in ihrem Jahresbericht zusammen.
Inzwischen hat sich herumgesprochen: Birthe hilft spontan, unbürokratisch und niederschwellig. Sei es der Antrag fürs Jobcenter, auf
der Parkbank ausgefüllt, ein Anruf bei einem Gläubiger oder die Begleitung zu einem Termin. Ihre Hauptzielgruppe sind Wegbergerinnen und Wegberger bis 30 Jahre, „aber ich habe auch schon einmal bei einem Rentenantrag geholfen“.
Ein Problem in der Mühlenstadt sei in den Augen der Streetworkerin der zunehmende Konsum unterschiedlicher Medikamente und Amphetamine. „Die Auswirkungen machen sich in der Persönlichkeitsveränderung bei Einzelnen deutlich bemerkbar: Gereiztheit, Unzuverlässigkeit, Perspektivlosigkeit, Kriminalität, Schulden seien da nur einige Punkte. Aber was auch immer die Gründe für den Weg in Obdachlosigkeit, Drogenabhängigkeit, Armut oder Kriminalität sind, Birthe versucht, gemeinsam mit den Betroffenen Auswege und neue Perspektiven zu finden, bietet Möglichkeiten an, ohne den sprichwörtlichen Zeigefinger zu erheben. Apropos Wohnungslosigkeit: „Es hat sich auch 2023 ein erheblicher Bedarf an Wohnraum für alleinstehende junge Menschen zwischen 18 und 25 Jahren gezeigt“, sagt Birthe. „Sie kommen dann meist bei irgendwem unter, aber so kommen sie natürlich nicht aus ihrer Situation heraus. Es ist manchmal schwer auszuhalten, das mitanzusehen.“
Eine wichtige Aufgabe der Streetworkerin ist es auch, „Übersetzerin“zu sein, ein Bindeglied zwischen ihrer Zielgruppe und Politik und Verwaltung. So konnten bereits Missverständnisse aus dem Weg geräumt sowie Belange der Jugendlichen und jungen Erwachsenen an die Politik herangetragen werden. Im vergangenen Jahr hat Birthe Wernery zudem wieder einige neue Projekte in Absprache mit dem zuständigen Fachbereich eigenverantwortlich erarbeitet, geplant und umgesetzt. „Insgesamt konnte ich Fördergelder von mehr als 25.000 Euro erzielen, was viel Zeit und Mühe gekostet hat. Es wäre schön, wenn wir darauf mit Beschluss des neuen Haushaltes nicht mehr so angewiesen wären“, gesteht sie.