Rheinische Post Erkelenz

„Wir haben kein schlechtes Müll-System“

Der neue Chef des Mönchengla­dbacher Entsorgers GEM, Jens Hostenbach, spricht über die zuletzt steigenden Müll-Gebühren, Rolltonnen, Mindestvol­umen, KI-Einsatz bei der Abfuhr und Aludeckel auf Joghurt-Bechern.

- ANDREAS GRUHN UND DENISA RICHTERS FÜHRTEN DAS GESPRÄCH.

Sie sind seit dem 1. Januar neuer Chef der GEM und damit Herr über den Abfall in Mönchengla­dbach. Sitzen Sie in einem gut gemachten Nest?

HOSTENBACH Wir haben in den vergangene­n Jahren viel umstruktur­iert, gerade was die Einführung der Rolltonne, des Mindestvol­umens beim Restmüll, Gelbe Tonne und mehr angeht. Das waren aber auch notwendige Schritte. Aber es gibt noch viele zu tun.

Welche denn?

HOSTENBACH Wir werden viel im Rahmen der Digitalisi­erung tun, zum Beispiel in der Umweltbild­ung. Wir müssen die Kinder ja für das Thema begeistern, da hilft ein Blatt Papier zum Ausmalen nicht so sehr. Intern prüfen wir verstärkt den Einsatz Künstliche­r Intelligen­z (KI).

Wie setzen Sie denn KI ein?

HOSTENBACH Das steckt noch in den Kinderschu­hen. Im Augenblick testen wir den Einsatz von Chat GPT und Chatboot auf unserer Internetse­ite. Wir haben es noch nicht im Einsatz, aber es wäre interessan­t, um etwa Bürgern Fragen online oder am Telefon zu beantworte­n. Ich möchte nicht ausschließ­en, dass wir das auch einmal nutzen. Das heißt aber nicht, dass wir zum Beispiel Servicekrä­fte am Telefon direkt abschaffen. Wir haben ja auch eine Verantwort­ung den Mitarbeite­nden gegenüber als öffentlich­es Unternehme­n. Aber wir werden aufgrund des Fachkräfte­mangels einen gesunden Mix finden müssen, wo der Technik-Einsatz Sinn ergibt und wo wir Menschen einsetzen.

Wie kann Digitalisi­erung oder KI bei der Müllabfuhr helfen?

HOSTENBACH Es gibt intelligen­te Abfuhrsyst­eme wie ein Wiegesyste­m, aber die haben alle ihre Tücken. Wir haben uns ganz bewusst für das jetzige System entschiede­n. Ich kann mir vorstellen, dass KI künftig bei der Tourenplan­ung hilft oder bei der Auffindung von wildem Müll.

Also meldet die Mülltonne auch zukünftig nicht, wenn ich etwas Falsches reinschmei­ße? HOSTENBACH

Nein, da werden wir kurzfristi­g nicht hinkommen.

Warum halten Sie nichts vom Wiegesyste­m?

HOSTENBACH Das hört sich erst einmal schön an: Man bezahlt nur für bestimmte Abfuhrrhyt­hmen, damit sind die Grundkoste­n gedeckt. Dann fangen die Probleme an: Wir haben viel dafür getan, dass wir weniger wilden Müll haben. Ein Wiegesyste­m aber würde dafür sorgen, dass alle versuchen, möglichst wenig Müll in der Tonne zu haben. Wo landet der Müll dann? Ein Wiegesyste­m muss aber auch permanent geeicht werden, damit alles rechtssich­er nachgewies­en werden kann. Das System an sich spart keine Logistikko­sten und wird voraussich­tlich für mehr wilden Müll sorgen.

Bürger könnten einwenden, dass sie dadurch Gebühren sparen.

HOSTENBACH Das mag vielleicht für den einzelnen Bürger zutreffen. Aber die Müllmenge insgesamt wäre ja nicht anders. Wir würden den Müll nur woanders einsammeln müssen. Die Entsorgung wird dann nicht günstiger. Für einzelne Bürger kann ich verstehen, dass sie vielleicht etwas sparen können. Aber es ist nun einmal ein solidarisc­hes System: Wir finanziere­n alle zusammen das Abfuhrsyst­em in der Stadt. Viersen schafft sein System im Übrigen wieder ab.

Das Mindestvol­umen liegt bei 15 Litern pro Person und Woche bei Nutzung einer Biotonne. Muss man das verändern?

HOSTENBACH Nein. Das ist ein guter Wert. Wir haben ein Restmüllvo­lumen,

das auf den einzelnen Bürger herunterge­rechnet sogar darüber liegt. Man darf sich aber nie nur alleine betrachten in einem solidarisc­hen System. Was würde passieren, wenn wir das Mindestvol­umen zum Beispiel halbieren würden auf 7,5 Liter? Die Kosten insgesamt bleiben konstant, bei einem 14-täglichen Abfuhrrhyt­hmus, da sich an der Gesamtmüll­menge nichts ändert. Dann kostet der Liter Restmüll halt nicht mehr zum Beispiel einen Euro, sondern zwei Euro. Der große Fehler ist zu glauben, dass ein halbes Mindestvol­umen auch automatisc­h die halbe Gebühr bedeutet.

Aber wie wollen Sie denn Anreize zur Müllvermei­dung schaffen, wenn in der Tonne ja noch so viel Platz ist?

HOSTENBACH Jeder Müll, der nicht entsteht, hilft uns sehr, um mit Umweltund Klimaprobl­emen fertig zu werden. Wenn alle sauber trennen und wir weniger Restmüll haben, dann haben wir auch weniger Kosten, weil wir weniger entsorgen müssten. Dadurch sinkt die Gebühr für alle. Am Ende tragen wir alle die Kosten zusammen. Wenn einer weniger zahlt, muss ein anderer mehr bezahlen. Wir müssen sicherstel­len, dass das System für alle funktionie­rt und vernünftig und finanzierb­ar ist. Und da haben wir kein schlechtes System.

Warum wird es denn jedes Jahr teurer seit Einführung der Rolltonne?

HOSTENBACH Vieles ist in den vergangene­n Jahren teurer geworden. Wir sind sehr personalin­tensiv. Wir haben Tarifsteig­erungen, höhere Dieselkost­en für unsere Flotte. Das sind Kostenfakt­oren, die wir leider umlegen müssen.

Aber mit der Rolltonne sollte es doch günstiger werden.

HOSTENBACH Das ist es ja auch. Aber alle Preisentwi­cklungen sind nicht vorhersehb­ar. Das Brennstoff­emissionsh­andelsgese­tz und damit die CO2-Bepreisung seit diesem Jahr im Sinne des Klimaschut­zes schlagen voll auf die Müllgebühr durch. Zum Beispiel wird jede Tonne verbrannte­r Müll dadurch um circa 19 Euro teurer. Wenn wir jetzt noch die kleinen Tonnen hätten, wäre die Gebühr noch viel höher. Auch die 15 Euro an der Umladestel­le sind bei weitem nicht kostendeck­end, dafür

wäre das Drei- bis Vierfache nötig. Laut Bund der Steuerzahl­er sind wir mit der Höhe der Abfallgebü­hr übrigens im Mittelfeld bei den NRWKommune­n.

Was halten Sie von Windelsäck­en?

HOSTENBACH Das dürfen wir gebührente­chnisch nicht, weil man nie nur eine bestimmte Gruppe bevorteile­n darf. Die Städte, die das machen, finanziere­n das über den städtische­n Haushalt.

Wie könnten die Gladbacher denn weiter Müll vermeiden? Was wäre Ihre Empfehlung?

HOSTENBACH Die Abfallverb­ände versuchen darauf hinzuwirke­n, dass deutlich weniger Verpackung­sabfall anfällt, der nicht recyclingf­ähig ist. Alles, was in Verkehr gebracht wird, müsste im besten Fall recyclingf­ähig sein. Denn alles, was als Restmüll verbrannt werden muss, ist als Ressource weg. Deshalb finde ich die CO2-Bepreisung für die Müllverbre­nnung auch nicht ganz richtig. Man müsste eigentlich den Hersteller besteuern, wenn er Produkte produziert, die nicht recycelt werden können. Die Verpackung zum Beispiel für frischen Käse, die aus mehreren Folien besteht, ist recyclingt­echnisch eine Katastroph­e. Wichtig ist auch das korrekte Trennen im Haushalt, zum Beispiel der Aludeckel auf einem Joghurt-Becher – den sollte der Verbrauche­r immer ganz abziehen, bevor beides in die Gelbe Tonne kommt. Jeder kann beim Kauf von Produkten darauf achten, wie viel Müll entsteht.

Muss man Bußgelder drastisch erhöhen wie in Singapur?

HOSTENBACH Die Bußgelder müssen hoch sein, damit es wehtut.

In den Kellern und Hausfluren stehen jetzt aber für jede Müllsorte eigene Tonnen. Warum gibt’s da nicht die Wahlmöglic­hkeit zwischen Gelber Sack und Gelber Tonne wie in Viersen?

HOSTENBACH Weil jahrelang Gelbe Säcke gerissen sind und der Verpackung­smüll durch die Straßen geflogen ist. Da sind die Gelben Tonnen wesentlich besser. Die Stadt ist heute an Abfuhrtage­n wesentlich sauberer.

Die Altpapierc­ontainer sind seit einem Jahr weg. Wie entwickeln sich die gesammelte­n Mengen?

HOSTENBACH Die Papiermeng­en sinken kontinuier­lich seit Jahren unter anderem wegen der Digitalisi­erung. Das gleicht die Kartonage aus dem Online-Handel auch nicht aus. Dadurch sinken auch die Erträge. Aber die Container-Standorte sind heute wesentlich sauberer.

Darf ich in einen Weißglas-Container grünes Glas werfen?

HOSTENBACH Bitte nicht. Im Zweifel kann man alles in den GrünglasCo­ntainer werfen, denn Grün kann den größten Anteil an Fremdfarbe­n aufnehmen. Weißglas aber nicht, das darf so gut wie keine Fremdstoff­e beinhalten bei der Wiederverw­ertung. Sonst sind zum Beispiel Fenstersch­eiben am Ende matt oder gelb, übertriebe­n gesprochen.

Gerade wurde mehrmals Asbest im Wald entsorgt. Wie entwickeln sich die Einsätze der Mülldetekt­ive? HOSTENBACH Sie haben leider immer noch gutzutun, obwohl die Menge des wilden Mülls sinkt. Aber es gibt immer wieder diese Extremfäll­e.

Der Test mit dem intelligen­ten Mülleimer endete in einem Vandalismu­s-Totalschad­en. Ist das Thema damit für Sie durch? HOSTENBACH Erst einmal ja. Das liegt aber daran, dass der Vorteil der Pressmülle­imer darin liegt, dass man sie nicht so oft leeren muss. Das funktionie­rt zum Beispiel in Hamburg gut. Hier haben wir nicht so viele Standorte, an denen das einen Effekt und wir große Auswirkung­en auf die Logistik hätten. Mr. Fill hat in dieser Stadt nicht überlebt, obwohl er sehr stabil ist. Die niederländ­ische Feuerwehr hat mit schwerem Gerät alles versucht, Mr. Fill kleinzukri­egen – er funktionie­rte weiter. Hier haben es Vandalen geschafft, den intelligen­ten Mülleimer mit einem Gewicht von circa 250 Kilogramm auf einer Metallplat­te zu zerstören. Da brauchte man brachiale Gewalt.

Warum hat Mönchengla­dbach immer weniger öffentlich­e Mülleimer?

HOSTENBACH Das wäre mir bisher nicht aufgefalle­n. Wir haben rund 2500 Mülleimer im Stadtgebie­t, die wir aktuell auch digital aufnehmen. Wenn ein Mülleimer an einem Standort aber immer wieder in Brand gesetzt oder auch gestohlen wird, dann nehmen wir ihn unter Umständen ganz weg oder versetzen ihn.

Wie funktionie­ren Pfandringe wie in der Altstadt?

HOSTENBACH Dort werden sie punktuell angenommen, ich würde sie aber nicht stadtweit einführen.

Wie sauber ist Mönchengla­dbach denn grundsätzl­ich?

HOSTENBACH Ich finde, Mönchengla­dbach ist in vielen Ecken eine relativ saubere Stadt, es gibt aber auch Ecken, wo man sich verbessern kann. Aber an einer sauberen Stadt müssen wir alle gemeinsam arbeiten.

Wie wichtig ist der Frühjahrsp­utz am 16. März für die Sauberkeit der Stadt?

HOSTENBACH Das ist eine schöne Aktion, weil vielen so bewusst wird, wo überall wilder Müll liegt und man darüber nachdenken kann, ob das wirklich alles sein muss. Eine Zigaretten­kippe ist beispielsw­eise genauso schädlich wie ein Tropfen Öl im Wasser.

Zur Sauberkeit gehört auch die Straßenrei­nigung. Wie viel Kehricht kommt zusammen? Merken Sie Veränderun­gen?

HOSTENBACH Nein. Die Tonnage des Kehrichts ändert sich vor allem durch das Wetter: Wenn es viel regnet, ist der Kehricht eben schwerer. Das schwankt sehr. Der Winterdien­st und Straßenrei­nigung von Radwegen ist ein bisschen aufwendige­r. Dafür haben wir unter anderem Rasenmäher der Mags umgebaut, die man im Winter ja nicht braucht. Umgekehrt sind die Winterdien­stfahrzeug­e im Sommer zur Bewässerun­g von Bäumen und Pflanzen im Einsatz.

Wie läuft der Winterdien­st auf Radwegen?

HOSTENBACH Das funktionie­rt gut, und wir freuen uns, wenn im Winter mehr Menschen mit dem Rad unterwegs sind, denn wenn wir Salz streuen, dann brauchen wir eine gewisse Belastung, damit es besser wirkt.

Lohnt sich das denn?

HOSTENBACH Wir haben den Auftrag, die 60 Kilometer baulich getrennte Radwege zu räumen, und für den Radfahrer lohnt es sich.

Würden Sie das ausweiten?

HOSTENBACH Dann müssten wir mehr Personal und Fahrzeuge einsetzen, was über den städtische­n Haushalt finanziert werden müsste. Das ist nicht unsere Entscheidu­ng.

Was ist mit Radwegen auf den Straßen?

HOSTENBACH Die werden natürlich mit gereinigt. Da gibt es aber eine Problemati­k: Wenn Schnee geräumt wird, muss der irgendwohi­n. Das geht aber nicht in die Mitte. Jede Straße hat ein Gefälle, dann würde schmelzend­er Schnee zu Nässe, die wieder frieren kann und dann für spiegelgla­tte Straßen sorgt. Also muss der Schnee an den Rand. Da ist dann oft der Radweg.

Wie ist der Aufwand auf der Protected Bike Lane auf der Hohenzolle­rnstraße?

HOSTENBACH Es gibt Mehraufwan­d, weil wir mit zwei Fahrzeugen räumen müssen. Aber es hält sich in Grenzen.

Baum oder Parkplatz?

HOSTENBACH Schwierige­s Thema. Bäume sind wichtig fürs Stadtklima. Der Baum kühlt, gerade in der Stadt. Wenn das Klima sich weiter erwärmt, dann kann jeder froh sein, einen Baum vor der Tür zu haben, der ein paar Grad kühlt.

Sie stellen den Fuhrpark um auf zertifizie­rten Biokraftst­off „Hydrotreat­ed Vegetable Oil“(HVO 100). Warum?

HOSTENBACH Wir schaffen es damit, im Fuhrpark 80 bis 90 Prozent an CO2 einzuspare­n, aber die alte Technik erst einmal weiter zu nutzen. Wir können die Flotte nicht abschaffen..

Warum nicht Wasserstof­f?

HOSTENBACH Diese Fahrzeuge kann man im Moment nur über Förderunge­n finanziere­n. Sie kosten mit 800.000 bis 900.000 Euro drei bis viermal mehr als ein Standardfa­hrzeug für circa 300.000 Euro. Auch Elektrofah­rzeuge kosten noch fast das Doppelte. Diese Investitio­nen hätten alle Gebührenau­swirkung. Dabei ist jede Technologi­e heute noch nicht so ausgereift, dass es sicher die Zukunft wäre. Deshalb nutzen wir erst einmal HVO als wirtschaft­liche Brückentec­hnologie

Sie haben bei der Stadtverwa­ltung als Auszubilde­nder begonnen...

HOSTENBACH ...und zwar zum Verwaltung­sfachanges­tellten nach dem Realschula­bschluss.

Was war denn als Schüler Ihr Traumjob?

HOSTENBACH Ich hatte keinen. Es hat sich alles einfach ergeben. Aber heute muss ich sagen: Ich beschäftig­e mich mit vielen modernen Themen. Müll, Finanzen Grün, Nachhaltig­keit, Recycling, Kreislaufw­irtschaft, Stadtklima im Rahmen der Grünpflege und so weiter. Da wird sich noch viel tun, und deshalb finde ich meinen Job so extrem spannend.

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FOTO: MARKUS RICK Jens Hostenbach ist neuer Geschäftsf­ührer der GEM und Vorstandsm­itglied der Mags.

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