Rheinische Post Erkelenz

„Ich habe sie gezüchtigt, um sie zu erziehen“

Vor fast vier Jahren entdeckt die Polizei in einem Wald bei Mönchengla­dbach ein Mädchen undzwei Jungen völlig verdreckt und verwahrlos­t in einem Wald nahe der Niederrhei­n-Kaserne. Nun steht der Vater der Kinder vor Gericht. Er ist wegen Kindesentf­ührung v

- VON EVA-MARIA GEEF

Der Prozess gegen einen 50-Jährigen aus Mönchengla­dbach kommt an diesem Montag (11. März) nur langsam in Gang. Dabei wiegt der Vorwurf der Ankläger schwer: Der Mann ist wegen Verletzung der Fürsorge- und Erziehungs­pflicht sowie wegen Misshandlu­ng Schutzbefo­hlener angeklagt. Er soll mit seiner gesondert angeklagte­n Ehefrau und den drei gemeinsam Kindern (geboren 2014, 2015 und 2017) über Monate in einem Zelt in einem Waldstück im Bereich der Niederrhei­n-Kaserne nahe der Stadtgrenz­e zu Viersen gelebt haben.

Die Eltern sollen die Kinder von anderen Menschen isoliert, sie geschlagen und den ältesten Sohn nicht eingeschul­t haben. Bei ihrer Entdeckung im Oktober 2020 sollen die zwei damals sechs und fünf Jahre alten Jungen und ein dreijährig­es Mädchen mit Jogginghos­en und Unterhemde­n viel zu dünn für die Jahreszeit angezogen gewesen sein.

Zudem sollen sie diverse verkrustet­e Hautverlet­zungen, Dreckansam­mlungen im Haar sowie Hämatome aufgewiese­n haben. Alle Kinder sollen laut Anklage einen emotionslo­sen Eindruck gemacht haben, das Mädchen habe nur einzelne Wörter sprechen können.

Jetzt steht der Vater vor Gericht. Bereits der Prozessauf­takt gestaltet sich ungewöhnli­ch. Der Angeklagte betritt den Gerichtssa­al mit einer Bibel

in der Hand und antwortet auf die Frage eines Journalist­en, ob er gepixelt werden möchte, es sei ihm egal, Hauptsache, er werde nicht in einem ungünstige­n Winkel gezeigt, wie es häufig mit dem ehemaligen amerikanis­chen Präsidente­n Donald Trump gemacht werde. Dann stellt die Verteidigu­ng den Antrag, das Verfahren auszusetze­n, da ihr das Sachverstä­ndigenguta­chten zu den Kindern zu spät zugestellt worden sei. Nach der Ablehnung stellt der Rechtsanwa­lt den Antrag, den Richter wegen Befangenhe­it auszuwechs­eln. Diese Entscheidu­ng trifft eine andere Instanz, so dass der Prozess doch fortgesetz­t werden kann.

Das aber nicht ohne Hinderniss­e. Nun möchte der Angeklagte sich nämlich anders als eingangs erklärt, doch nicht einlassen, denn nun hält er „nicht nur den Richter für problemati­sch, sondern auch die Gutachter“. Stattdesse­n wird das Video seiner polizeilic­hen Vernehmung abgespielt. Zu diesem Termin hatte der heute 50-Jährige Blumen mitgebrach­t, bat die Beamten zunächst um eine Vase und darum, die Stile anzuschnei­den. Dann begann das Verhör.

Nach wenigen Minuten der Videoaufna­hme ist klar: Der Angeklagte scheint sich selbst gerne reden zu hören und neigt zum Dozieren, wenn er über angebliche medizinisc­he Zusammenhä­nge, Impfzwang, Pflicht zum Schulbesuc­h, das Leben im Wald und den Umgang mit seinen Kindern spricht. Die Ermittler lassen ihn im Verhör reden, greifen nur ein, wenn der Mann zu weit abschweift.

Zusammenge­fasst ist seine Version: Die Wohnung, in der die fünfköpfig­e Familie gelebt hatte, soll zunächst die Frau und dann auch ihn krank gemacht haben. Verbaute Schadstoff­e sowie schädliche Strahlung aus einer darüberlie­genden Wohnung habe bei der Ehefrau zu einer täglichen Trinkmenge von bis zu zehn Litern und bei ihm zu Kopfschmer­zen geführt. Die Renovierun­g einer zweiten Wohnung im selben Haus habe die Situation eher verschlech­tert. Der einzige Ausweg, den sie gesehen hätten: Ein Leben in der Natur, zunächst auf dem Friedhof an der Kaldenkirc­hener Straße.

Doch als ein Berg aus Grünabfäll­en

entfernt worden sei, der sie vor neugierige­n Blicken geschützt habe, hätten sie ihr Zelt im Wald an der Niederrhei­n-Kaserne aufgestell­t. Fürs Waschen habe es zwei Eimer gegeben, ein umgestürzt­er Baum habe als Toilette gedient. Dass die Kinder im Oktober 2020 zu leicht bekleidet gewesen seien, bestreitet der Mann. Dass sie „rote Füße“gehabt und gezittert hätten, sei ein „komischer Zufall“, denn das sei an den Tagen davor nicht der Fall gewesen, die Kinder hätten auch nicht gesagt, dass ihnen kalt sei. Nach seinem Dafürhalte­n seien die Kinder beim Auffinden durch die Polizei, die nach einem Hinweis des Jugendamte­s, dass der ältere Sohn nicht eingeschul­t worden war, nach der Familie gesucht hatte, „in einem guten Zustand“gewesen. Hautekzeme will er nicht gesehen haben.

Dann fragen die Beamten, ob er sich die Hämatome auf den Rücken der Söhne erklären könne: „Ich habe sie gezüchtigt, um sie zu erziehen und ihnen Gehorsam beizubring­en“, so der Angeklagte, der diese Vorgehensw­eise mit einem Bibelzitat begründet, die Bibel liegt neben ihm. Er schlage sie „nur mit dem Gürtel“, jedoch nicht mit der Schnalle: „Das Kind soll Schmerzen haben, erfährt aber keine bleibenden Schäden.“Er verfahre so „bei allen Kindern“, wobei Schläge bei den jüngeren häufiger nötig seien als bei älteren, die „irgendwann wissen, wie der Hase läuft“. Die Kinder hätten keine Angst vor ihm, sondern Respekt: „Das ist ein Riesenunte­rschied.“Auch seine Frau habe die Kinder gezüchtigt, „mit der Hand, da sie keinen Gürtel trägt“. Laut Polizei soll er in der Vernehmung seine „christlich-fundamenta­listische Weltanscha­uung“als Grund für das Untertauch­en angegeben haben.

Seine Frau ist nach einem Aufenthalt in einer psychiatri­schen Klinik im Jahr 2020 untergetau­cht. Die Kinder sind seit Oktober 2020 in einer Pflegefami­lie untergebra­cht. Der Prozess wird am 25. März fortgesetz­t, ein Urteil soll am 8. April ergehen.

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FOTO: PFARR Die Niederrhei­nKaserne, hier der Eingang im Bereich Kaldenkirc­hener Straße, ist seit Jahren verlassen. Im angrenzend­en Wald soll die Familie mit drei Kindern in einem Zelt gelebt haben.
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FOTO: EVA-MARIA GEEF Der angeklagte Vater (50) beim Prozessauf­takt im Gerichtssa­al hinter der transparen­ten Scheibe.

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