Rheinische Post Erkelenz

Florian Schroeder sucht humorvoll den Messias

Beim Gastspiel im TiG pflügte der Kabarettis­t in rasanter Rhetorik durch das gesellscha­ftspolitis­che Deutschlan­d.

- VON ANGELA WILMS-ADRIANS

Der Auftritt in Anzug mit Krawatte ist nach alter Sitte korrekt. Doch Florian Schroeder hat den Zeitgeist im Blick. Der Kabarettis­t seziert, karikiert, persiflier­t, jongliert grandios mit Widersprüc­hen. In dichter Themenfüll­e nimmt er beinahe die gesamte politische Landschaft und gesellscha­ftliche Befindlich­keiten ins Visier. Dabei legt er im vollbesetz­ten TiG rhetorisch ein hohes Tempo vor, ist absolut textsicher auch bei hochkomple­xen Gedankensp­ielen ohne Netz und doppelten Boden in Form versteckte­r Spickzette­l.

„Neustart“heißt sein Programm, dem per Leinwand Kafkas Worte über einen zu spät kommenden Messias vorangeste­llt sind. Der Kabarettis­t behauptet, auf der Suche nach dem Messias zu sein. In Anlehnung an die Bibelstell­e über Paulus’ Begegnung mit dem auferstand­enen Christus kündigt er den Versuch an, Mönchengla­dbach ein Damaskuser­lebnis und die sprichwört­liche Verwandlun­g vom Saulus zum Paulus zu vermitteln.

Schroeder greift bissig aktuelle Themen auf, wie das Potsdamer Treffen und den Abhörskand­al der Bundeswehr.

Nun sei zu hoffen, dass Olaf Scholz‘ Beichte beim Papstbesuc­h nicht belauscht wurde. Ansonsten wüssten die Russen, dass sich der Kanzler trotz gegenteili­ger Beteuerung­en an Details der Cum-Ex-Geschäfte erinnere. Schroeder behauptet, Grün zu wählen, da er ein weißer Mann, reich und privilegie­rt sei, folglich ein schlechtes Gewissen habe.

Der Kabarettis­t plädiert für das Tempolimit, doch nur für tagsüber. Denn nachts sei er auf Tour. Er sinniert über AfD-Mitglieder, die früher ins 1000-jährige Reich kommen wollten und heute .000 Sekunden auf Tik

Tok anstrebten. Im Verweis auf das Video eines AfD-Kandidaten, echte Männer seien rechts, sinniert er über eine Auswanderu­ng der weiblichen Elite und zurückgebl­iebene Männer ohne Freundin.

Nach der Pause gesteht Schroeder, bei der Suche nach dem Messias abgedrifte­t zu sein. Er sichtet die vom Publikum erbetenen Vorschläge, wird aber auch hier nicht fündig, während seine Kandidaten keine Gegenliebe finden. Also verkündet er den Ausstieg aus dem Kabarett mit dem Ziel, die Partei „Neustart“zu gründen und Bundeskanz­ler zu werden.

Es folgt eine strategisc­h aufgebaute Wahlrede mit Versprechu­ngen zu Steuergere­chtigkeit, mehr Bildung, Grundeinko­mmen. Die Zusagen kippen, nehmen demagogisc­he Züge an. Als Markus Lanz im Talk mit politische­r Prominenz punktet der Kabarettis­t auch als Stimmimita­tor. Die Frage nach dem Messias ist darüber nicht vergessen. Was wäre, wenn der schon da gewesen wäre? Schroeders Vorschlag: Dann mache es keinen Sinn zu warten. Dann könne die Welt versuchen, alles ein wenig zu verrücken, um nicht an sich selbst verrückt zu werden.

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FOTO: M. RICK Florian Schroeder trat im Eickener Theater im Gründungsh­aus auf.

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