Publikum in einer rechtsextremen Runde
Beim „Potsdamer Treffen“planten Politiker, Neonazis und finanzstarke Unternehmer die Vertreibung von Millionen Menschen. Mitglieder des Theater-Ensembles gestalteten zum Thema eine szenische Lesung.
MÖNCHENGLADBACH Die Bühne im Wandelsaal ist vorbereitet wie zu einer Podiumsdiskussion. Fünf Stühle stehen neben ebenso vielen kleinen Tischen in Richtung des mit Besuchern knapp halb gefüllten Raums in der Zentralbibliothek. So schlicht die Bühnengestaltung ist, so aufwühlend ist das Thema: der durch die Corrective-Recherche aufgedeckte rechtsextreme Geheimplan. Darüber wurde bekannt, dass beim Potsdamer Treffen hochrangige AfD-Politiker, Neonazis und finanzstarke Unternehmer die Remigration, also Vertreibung von Millionen Menschen mit deutschem Pass planten.
Esther Keil, Paula Emmrich, Bruno Wintzen, Cornelius Gebert und Matthias Oehlrich greifen das Thema in einer szenischen Lesung auf. Die Mitglieder des Ensembles am Theater Krefeld/Mönchengladbach lesen Texte ab und lassen doch unversehens schauspielerische Elemente einfließen. Diese werden zugleich über Hinweise, eine Bühnenfigur zu sein, als Illusion des Rollenspiels bewusst gemacht.
Die Veranstaltung verbindet drei
Teile: die vom Berliner Ensemble konzipierte Corrective-Lesung, eine Zusammenfassung der von Thomas Blockhaus, Esther Wissen und Martin Schröder recherchierten Folgen aufgrund der Veröffentlichung und schließlich die Diskussion mit dem Publikum. Moderiert wird der Abend von Lars Meyer von der Demokratiewerkstatt Krefeld und Ensemblemitglied Esther Wissen.
Zur Lesung sind die Ensemblemitglieder Protokollanten der recherchierten Ergebnisse. Dabei halten sie sich an ihre Manuskripte in der Hand. Doch über schauspielerische Mittel scheinen sie das Publikum in die rechtsextreme Runde des Potsdamer Treffens zu versetzen. Vorgebliche Korrekturen an sprachlichen Mitteln wie auch die Mahnung „Wir müssen korrekt sein“assoziieren wiederum Redaktionsbesprechungen der mit der
Recherche befassten Journalisten. Die Übergänge zu darstellerischen Mitteln sind fließend, während zugleich das Rollenspiel betont ist. Als Ältester der Runde trägt Oehlrich die Pläne des jungen Identitären Martin Sellner vor. Ein hochgehaltenes Foto zeigt Sellners reales Gesicht. Ähnlich wird bei anderen Passagen verfahren, so auch zu Wintzens Einlage als rechtsextremistischer Aktivist Gernot Mörig, der wiederholt die Geheimhaltung des Treffens und die Notwendigkeit großer Spenden betont.
Die Aktualisierung zum Thema ist kurz und pragmatisch gestaltet. Angesprochen werden zum Beispiel die zahlreichen Demonstrationen gegen rechts und für Demokratie. Am Ende steht die Diskussion, die rasch an Fahrt gewinnt. Ein junger Mann fühlt sich beim rechtsextremen Geheimplan erinnert an die politische Situation in Deutschland vor 100 Jahren. Er fragt: „Was hat die Zivilgesellschaft falsch gemacht, das dies alles wieder hochkommen konnte?“. Eine Frau vermutet eine mangelnde Aufarbeitung des Nationalsozialismus. Als Ursache genannt wird auch eine mögliche Arroganz in der Politik. Peter Brollik, Vorsitzender des Vereins „Lust am lesen“, hält nichts von einem allgemeinen „Bashing“gegen Politiker. Doch er bekennt, eine andere Form der Wertschätzung in der Politik zu beobachten. Brollik bezeichnet eine Ausgrenzung innerhalb politischer Lager als gefährlich. „Die demokratischen Parteien müssen bei aller Unterschiedlichkeit eine Gemeinsamkeit in der Meinungsverschiedenheit finden“, so sein Appell. Thema ist auch die Bedeutung sozialer Medien, vor allem das von der AfD ausgiebig genutzte Tic Toc-Format. Die Rechten von 1933 hätten auch schon gezielt die Medien genutzt, warnt Oehlrich. Hausherrin Brigitte Behrendt wirbt daher für Möglichkeiten der freien und neutralen Information als Bausteine für demokratisches Bewusstsein.