Die beste Band, die es nie gab
Im ersten Teil der „Star Wars“-Reihe gelang einer Gruppe Außerirdischer 1977 ein Kulthit. In den Kostümen steckten die Maskenbildner, die echten Musiker sahen nie das Filmset, und der „Cantina Song“steht inzwischen im Guinnessbuch der Rekorde.
Gut möglich, dass „Star Wars“nie zum 70 Milliarden Dollar schweren Popkultur-Phänomen geworden wäre, hätte es da nicht diese eine Szene in der Kellerkneipe mit der exzellenten Livemusik gegeben. Nicht hinter den Kulissen. Sondern nach einer Viertelstunde im ersten von inzwischen zwölf Kinofilmen der Saga. Bereits im allerersten, nur 14 Seiten kurzen Entwurf des Drehbuchs war die Szene enthalten – und tatsächlich ist sie von nicht zu unterschätzender Wichtigkeit.
Bis zur Kneipenszene nämlich ist das Gezeigte auch für die Verhältnisse des Jahres 1977 kaum etwas Besonderes. Früh deutet sich an, dass George Lucas bloß die bewährtesten Archetypen aus Märchen und Western, Komödien und Kriegsfilmen mutig miteinander verrührt und mit einer Prise FernostPhilosophie serviert: Im Grunde lehnt sich da ein junger Ritter (Luke Skywalker) unter Anleitung eines Zauberers (Yoda) als Kampfpilot gegen WeltraumNazis auf und befreit eine unschuldige Prinzessin (Leia) aus der Gewalt eines finsteren Schurken (Darth Vader). Das Fußvolk kämpft dabei mit Pistolen, die Helden und Oberschurken greifen ganz gentlemanlike zu Säbel (im Original) beziehungsweise Schwert (im Deutschen), mit Klingen aus buntem Laserlicht statt Stahl. Und bis Yin und Yang (die helle und die dunkle Seite der „Macht“) wieder in Balance geraten, sorgen zwei ungleiche Narren (die Roboter R2-D2 und C-3PO) für Lacher.
Ganz zweifellos findet Lucas für all das von Anfang an ikonische Bilder und Töne. Erstmals inhaltlich originell aber wird das Geschehen von „vor langer Zeit in einer weit, weit entfernten Galaxis“, als sich die Handlung an einen Ort verlagert, der so stark wirkt, weil er jedem Erdling so vertraut ist. In eine Kneipe nämlich, und zwar eine reichlich zwielichtige in der Tradition der rustikalen mexikanischen Cantinas, zu denen Frauen und Minderjährige keinen Zutritt haben.
Dieser Schauplatz befindet sich auf dem fiktiven, von zwei Sonnen versengten Wüstenplaneten Tatooine. In einer staubigen Stadt namens Mos Eisley, über die der weise Obi-Wan Kenobi (Alec Guinness) seinem jungen Schüler Luke Skywalker sagt: „Nirgendwo wirst du mehr Abschaum und Verkommenheit versammelt finden als hier.“Für die Cantina gilt das besonders: Sie ist ein Hotspot der Halbwelt, zu gleichen Teilen Saloon und Opiumhöhle, ein Treffpunkt für Weltraumpiraten und Waffenhändler. Nicht direkt eine durchschnittliche Dorfkneipe also, aber dem Publikum eben doch sehr viel vertrauter, greifbarer, näher als die riesigen Raumschiffe eines interstellaren Imperiums. Eine Kneipe ist eine Kneipe ist eine Kneipe.
Wer nun als Zuschauer im Schlepptau von Luke Skywalker und Obi-Wan Kenobi hinab ins Halbdunkel der Cantina stolpert, ist reizüberflutet: Hier berauschen sich Aliens aller Formen und Farben an Drinks und Drogen aller Formen und Farben, während das Hausverbot anstelle von Frauen und Kindern Roboter betrifft. Sobald das Staunen über die Kunst der Maskenbildner abebbt, die aus etwas Latex, Kunstfell und Schminke diesen Zoo von Aliens erschaffen haben, realisiert man: In dieser Kneipe läuft Musik
– und zwar eine ganz andere Art als die übliche Filmmusik, deren Adressat das Publikum ist. Diese Musik wird in der Kneipe gespielt, von einer Liveband.
In der Realität des Films existiert sie zur Unterhaltung der Gäste, tatsächlich dient sie zur Ausgestaltung dieser fiktiven Galaxie mit Milliarden von Wesen aus Hunderten oder Tausenden Kulturen. Filmtheoretisch gesprochen: Es ist diagetische Musik, die sich innerhalb der präsentierten Fiktion ereignet und dieser damit eine Art dokumentarischen Charakter verleiht, mehr Atmosphäre, gefühlte Komplexität und Echtheit, was die Immersion erleichtert, also das Eintauchen in die fremde Welt.
Wer die Szene zum ersten Mal sieht, der ist schlicht hingerissen von dieser angemessen außerirdischen Form von Jazz, die den Raum erfüllt. Ihr wahnsinnig beschwingtes, unerhört einprägsames instrumentales Stück unterbrechen die Musiker erst, als eine Schlägerei ein offenbar auch für diesen Ort ungewöhnliches Ende nimmt, indem nämlich ein Unhold per Lichtschwerthieb seinen
Arm einbüßt. Wenige Sekunden später aber heißt es: The show must go on!
Und dann schließlich erhaschen wir zwei, drei kurze Blicke auf die Band, die – eigentlich wenig überraschend – ebenfalls aus Außerirdischen besteht. Sie sehen völlig identisch aus, wie geklont, haben kleine Körper und große schwarze Augen unter noch größeren Glatzköpfen, tragen schwarze Anzüge mit Pluderhosen und spielen vage wiederkennbare Instrumente, die klingen wie Klarinetten, Saxofone und karibische Steeldrums.
Zunächst heißt die Gruppe bloß Cantina Band und ihr Song „Cantina Song“. In den Jahren und Jahrzehnten danach aber bedienen die Autoren des Konzerns Lucasfilm mit Vergnügen den Hunger der Fans nach Spielzeug und auch inhaltlichen Hintergründen zu allem und jedem. Aus auf den ersten Blick fünf Musikern werden bei genauerem Hinsehen sechs und schließlich hochoffiziell sieben. Man verpasst ihnen einen Namen (The Modal Nodes), eine Spezies (Bith) und einen Heimatplaneten (Clak’dor VII). 1995 erscheint das Buch „Sturm über Tatooine“. Dessen amüsantes Kapitel „Wir spielen nicht auf Hochzeiten“schildert die Vorgeschichte der Verbannung der Band in die Cantina, die weit unter ihrem Niveau ist. Kurz gesagt ist ein wütender Mafioso schuld. Auch erhält der Frontmann einen Namen (Figrin D’An) samt Spitznamen („Der Feurige“), Charaktereigenschaften (perfektionistisch, cholerisch, glücksspielsüchtig) und ein Instrument (Kloo-Horn). Seine Bandkollegen spielen Fanfaren, „Omnibox“und – wer kennt es nicht – ein dorenianisches Beschniquel.
Spannender ist, wie die echte Musik der falschen Band entstand. George Lucas sagte seinem genialen Komponisten John Williams: „Stell dir vor, dass Wesen in der Zukunft SwingMusik aus den 1930er-Jahren von Benny Goodman finden, in einer Zeitkapsel oder irgendwo unter einem Stein. Wie würden sie versuchen, diese Musik zu interpretieren?“Williams lud neun Jazzmusiker ins Studio ein, mit drei Saxofonen, Klarinette, Trompete, einer Steeldrum, Trommel, E-Piano und einem Synthesizer. Sie orientierten sich wie gewünscht am „King of Swing“Benny Goodman und dessen Song „Sing, sing, sing“. Das Ergebnis wurde elektronisch verfremdet, und fertig war der Hit – der später den Titel „Mad about me“erhielt.
Als die kurzen Szenen mit der Band gefilmt wurden, war das Budget längst überzogen. Deshalb schlüpften die Maskenbilder selbst in ihre Kostüme, Latexköpfe und -handschuhe; zwei davon, Rick Baker und Phil Tippett, machten sich später in Hollywood einen Namen. Genau genommen war die Band übrigens nie in der Cantina. Das Gebäude steht auf der tunesischen Insel Djerba, die Innenraumszenen wurden in den Londoner Elstree Studios gedreht – und die Band, ebenso wie viele andere Aliens, erst sehr viel später in Hollywood. „Wir haben sie beim Nachdreh hinzugefügt – gefilmt von anderen Leuten, in einem anderen Land, viele Monate später“, hat der Maskenbildner und Alien-Band-Darsteller Rick Baker ( „Planet der Affen“, „Men in Black“, Michael Jacksons „Thriller“) einmal gesagt: „Man denkt, die Band ist da, man hört ja ihre Musik... aber sie war eben nicht da.“
Der Ohrwurm jedoch wurde zum KultHit: Youtube ist voll mit Interpretationen etwa vom dänischen National Symphony Orchestra oder dem BBC Concert Orchestra. Auf praktisch jedem Festival-Zeltplatz dieser Welt läuft der Song ohnehin.
Und bis heute steht er auch im Guinness-Buch der Rekorde – als einzige Instrumental-Single überhaupt, die sich in den USA zwei Millionen Mal verkaufte. Und das nicht etwa als Auskopplung vom offiziellen Soundtrack. Der damals 39-jährige New Yorker Musikproduzent Domenico Monardo alias „Meco“hatte, begeistert vom Film und dem „Cantina Song“im Besonderen, so flugs wie frech ein Medley der Film-Songs als Disco-Version aufgenommen. An die Notenblätter dafür kam er sofort nach Filmstart – angeblich, indem er einer Telefonistin beim Musikverlag des Studios 20th Century Fox hartnäckig Komplimente machte und Rosen schickte. Das hätte vermutlich sogar den Revolver- und Frauenheld Han Solo beeindruckt.