RWE macht Tempo bei Restloch-Verfüllung
Bis 2030 soll das „Dead End“des Tagebaus Garzweiler östlich der A44n gefüllt sein. In wenigen Jahren muss erneut ein Großgerät die Autobahn überqueren – und kommt damit wieder näher an das Erkelenzer Stadtgebiet heran. Das ist der Stand der Dinge.
Die Fernsteuerung, die Großgeräteführer Lukas Speck vor sich trägt, ist kleiner als ein Schuhkarton – und doch lassen sich damit bequem 6500 Tonnen Stahl in Bewegung setzen: Ein leichter Fingerdruck gegen den Joystick genügt, ein Hupgeräusch ertönt, und schon setzen sich die mächtigen Raupenfahrwerke von Absetzer 738 knarzend in Bewegung. Etwas träge fährt das Ungetüm über den Sand nach hinten, aber nur ein paar Zentimeter. Das reicht. Lukas Speck hat vom Sohlenrand aus genau im Blick, an welcher Stelle das Füllmaterial in der Mulde landet. Und folglich auch, wann er den Riesen stoppen muss. Unaufhörlich rattert Erde über den langen Ausleger des Absetzers und rauscht ab dessen Ende direkt in die tiefe Grube. Und zwar ins sogenannte östliche Restloch.
So wird der „ausgekohlte“Teil des Tagebaus Garzweiler bezeichnet, der etwas abgeschnitten östlich des Damms für die Autobahn 44n liegt – direkt an der Stadtgrenze zu Grevenbroich auf Jüchener Grund. Mit Stichtag 1. Januar fehlten noch rund 300 Millionen Kubikmeter Sand, Kies, Löss und anderes Material, um die Mulde wieder in nutzbares Ackerland zu verwandeln. Lukas Speck ist einer der RWE-Mitarbeiter, die an „vorderster Front“stehen, wenn es um die Verfüllung des Restlochs geht. Schichtarbeiter wie er sorgen dafür, dass das Loch im besten Fall rund um die Uhr schrumpft. Bei Wind und Wetter.
Dabei brauchen die Bergleute nicht nur ein gutes Auge, sondern auch einige Geduld. „Wir wechseln uns ab, sind immer mindestens zu zweit am Absetzer“, sagt Speck, der gelernter Kfz-Mechatroniker ist und erst seit Kurzem im Tagebau arbeitet. Absetzer 738 gehört zu den „kleineren“der Großgeräte, mit denen gewaltige Massen aufgeschüttet werden können. Im Tagebau Garzweiler sind es sechs an der Zahl. 60.000 Tonnen Füllmaterial täglich – das ist mit Stahlkoloss Numero 738 gut zu schaffen, sagt Tagebauplaner Ingo Schindler. Der 49-Jährige ist seit 2018 für die Planung im Tagebau Garzweiler verantwortlich, und damit auch für die Verfüllung des Restlochs. Das Ziel: Bis 2030 soll die Mulde östlich der A44n vollständig gefüllt sein.
Priorität hat insbesondere der nördliche Bereich, in dem besagter Absetzer steht: Dieser Abschnitt kommt der Stadt Jüchen besonders
nahe. Die Mulde soll deshalb möglichst schnell verfüllt werden und folglich gen Süden „abwandern“. Orientierung bieten den Mitarbeitern vor Ort auch GPS-Systeme. Im Norden macht die Verfüllung gut sichtbare Fortschritte: Der Absetzer steht auf einer Sohle circa 15 Meter unterhalb des normalen Geländeniveaus und verkippt sowohl in die Tiefe als auch in die Höhe. Alle paar Monate wird gewechselt, die Bandanlage bei Bedarf gleich mit. Über die kilometerlangen Förderbänder wird der Absetzer mit Nachschub versorgt. Die letzten 15 Meter nach oben hin werden mit Sand und Kies verfüllt, die letzten zwei Meter mit fruchtbarem Lössboden.
Wie Tagebauplaner Ingo Schindler berichtet, hat das Tempo bei der Verfüllung dank einer dritten Bandanlage im östlichen Restloch deutlich
angezogen. Seit 2022 ist die Versorgung mit Füllmaterial für alle drei Absetzer in dem weitläufigen Gebiet zwischen „Tagebau-Autobahn“und dem Kohlebunker bei Gustorf gewährleistet. Inzwischen ist die Verfüllung des Restlochs so weit fortgeschritten, dass (dem ersten Entwurf folgend) theoretisch schon jetzt genug Platz für den geplanten neuen Stadtteil Jüchen-Süd wäre. „Zu 95 Prozent“, schätzt Tagebauplaner Schindler. Bei Jüchen, da, wo Absetzer 738 steht, sei der Tagebau mal 200 Meter tief gewesen. Das ist hier nur noch schwer vorstellbar.
Bis 2030 sollen nun jährlich rund 50 Millionen Kubikmeter aufgeschüttet werden. Das Gros kommt
vom anderen Ende des Tagebaus: da, wo noch Abraum abgetragen wird, um an die darunterliegenden Braunkohleschichten zu gelangen. „Die Menge, die ins östliche Restloch befördert wird, schwankt“, sagt Ingo Schindler. Nicht zuletzt sei das vom jeweils benötigten Material abhängig. „Alles muss an die richtige Stelle“, erklärt er vereinfacht. Dahinter steckt allerdings ein komplexes Logistik- und Materialmanagement. Die Tagebaue Garzweiler und Hambach bilden durch die Nord-Süd-Kohlebahn, die sie verbindet, eine Einheit. So wird Füllmaterial aus Garzweiler auch nach Hambach transportiert. Das betrifft etwa den Lössboden.
Dass eines Tages im östlichen Restloch oder im anderen Teil der Grube Garzweiler zu wenig Füllmaterial zur Verfügung steht, gilt allerdings als ausgeschlossen. „Unsere Mengenrechnung geht auf“, sagt Schindler. So wird ein großer Teil des Tagebaus im Westen voraussichtlich ab den 2030er Jahren mit Wasser aus dem Rhein gefüllt, so dass ein großer See entsteht. Ein See ist auch für Hambach geplant, allerdings werden dort für die Rekultivierung noch größere Mengen Lössboden benötigt. Im Norden und Süden des östlichen Restlochs befinden sich zwei Depots, in denen riesige Mengen Löss lagern.
Um die Depots in den letzten Jahren des Braunkohlebergbaus im Rheinischen Revier bedienen und Löss auch nach Hambach transportieren zu können, wird es
in wenigen Jahren noch einmal zu einer Schaufelradbagger-Querung über die A44n kommen. Angepeilt ist das Jahr 2027. Für die Absetzer im östlichen Restloch, die im Zuge der Verfüllung immer dichter zusammenrücken, wird es am Ende wohl keine Verwendung mehr geben, zumindest nicht im Sinne der Verkippung. Ihnen droht das gleiche Schicksal wie dem „Zwo-siebeneins“, einem Schaufelradbagger, der 2021 mit 41 Kilogramm Sprengstoff in die Knie gezwungen und anschließend verschrottet wurde.
Zum Ende des Jahrzehnts wird das Restloch bei Jüchen und Grevenbroich aller Voraussicht nach Geschichte sein. Die Stadt Jüchen, die seit Jahrzehnten besonders vom Braunkohlebergbau betroffen ist, hatte in den vergangenen Jahren auf eine Beschleunigung gedrängt. Denn auf dem Gelände soll in ein paar Jahren nicht nur ein neuer Stadtteil entstehen. Genutzt werden soll das mehrere Quadratkilometer große Areal mitunter für die Landwirtschaft.
„Wir haben viele Jahre diskutiert“, sagt der Jüchener Bürgermeister Harald Zillikens. Nachdem es einige Verzögerungen unter anderem wegen der Aufschüttung des Autobahn-Damms gegeben hatte, hat sich RWE laut Zillikens dazu verpflichtet, die Grube bis 2030 zu füllen. „Jetzt herrscht Klarheit“, sagt der Rathaus-Chef, es gebe auch einen regelmäßigen Austausch. Derweil wird daran gearbeitet, die Planungen auch für den neuen Stadtteil Jüchen-Süd zu konkretisieren. Bis dort allerdings die ersten Häuser gebaut werden können, werden wohl noch etliche Jahre vergehen. Das ist auch der Setzzeit des „neu gewonnenen“Landes geschuldet.
„Wir wechseln uns ab, sind immer mindestens zu zweit am Absetzer“Lukas Speck Großgeräteführer im Tagebau Garzweiler