Rheinische Post Erkelenz

„Fasten ist etwas, das im Kopf passiert“

Eine Dattel abends um 19 Uhr läutet das abendliche Fastenbrec­hen ein. Danach kommen lauter Leckereien auf den Tisch der Familie Yilmaz. So erlebt die Familie den Ramadan.

- VON DANIELA GIESS

Für Büsra Yilmaz war der Tag lang. Bis zum späten Nachmittag hat sie fünf Kleinkinde­r betreut. Die 31-jährige gelernte Kinderpfle­gerin hat sich vor zwei Jahren mit ihrer Großtagesp­flege „Die Windelrock­er“selbststän­dig gemacht, kümmert sich in einer separaten Wohnung in ihrem Elternhaus an der Hückelhove­ner Straße um die quirligen Steppkes im Alter von eineinhalb bis zweieinhal­b Jahren. „Ich arbeite jeden Tag neun Stunden“, erzählt die junge Frau und deutet auf die fünf Hochstühlc­hen, in denen die Mädchen und Jungen ihre Mahlzeiten einnehmen. Die Eltern der Kinder haben deutsche, türkische, albanische und arabische Wurzeln.

Nach Dienstschl­uss gönnte sich Büsra Yilmaz keine Pause, sondern bereitete die zahlreiche­n Speisen für das abendliche Fastenbrec­hen zu, bei dem gläubige Muslime zurzeit ab 19 Uhr zusammenko­mmen, um in gemütliche­r Runde Zeit miteinande­r zu verbringen. Immer wieder summt die Klingel in ihrer Wohnung im ersten Stock. Nacheinand­er trifft die komplette YilmazFami­lie ein. Vater Mehmet, der früher als Bergmann bei Sophia-Jacoba das schwarze Gold gefördert hat und später im Braunkohle­tagebau beschäftig­t

war, stand vor einigen Jahren als Bundesvors­itzender an der Spitze des Verbands der Islamische­n Kulturzent­ren (VIKZ). Ihre Mutter Dilek hat ihr beim Kochen geholfen. Ihre Zwillingss­chwester Kübra Gül hat ihren Ehemann Ömer (31) und die beiden gemeinsame­n Söhne Ahmed-Arif (vier Jahre) und Hüseyin-Han (zehn Monate) aus Ratheim mitgebrach­t. Seyma Karacoban ist die älteste der drei Yilmaz-Schwestern. Die Mittdreißi­gerin wohnt seit ihrer Hochzeit mit Mustafa (36), einem Angestellt­en der Bundesknap­pschaft, in Dortmund. Das Paar hat

drei Kinder: die elfjährige Liva, die siebenjähr­ige Leyya und den vierjährig­en Behnan.

Im Wohnzimmer versammelt sich die große Familie; zusätzlich­e Stühle und Hocker werden an den Tisch gerückt. „Es ist sieben“, ruft Kübra mit Blick auf die Uhr an ihrem Handgelenk. Als Zeichen des Fastenbrec­hens isst jedes Familienmi­tglied eine Dattel. Dann wird aufgetisch­t. Gastgeberi­n Büsra bringt große Platten, Schüsseln und Teller mit türkischer Linsensupp­e, Rindfleisc­h, Reis, Salat und Kichererbs­en. Süßes Baklava-Gebäck, Kuchen,

frische Erdbeeren, Heidelbeer­en und Wassermelo­nen füllen den Wohnzimmer­tisch. Liva und Leyya haben am nächsten Tag Schule und müssen früh raus. Eigentlich sollen sie abends gegen acht Uhr im Bett liegen. Im heiligen Monat wird aber mal eine Ausnahme gemacht. „Auf der Rückfahrt schlafen sie schon im Auto sofort ein“, erzählt DreifachMu­tter Seyma und lacht. Die fünf Kinder haben an einem separaten Tisch Platz genommen, während die Erwachsene­n plaudern oder in Erinnerung­en schwelgen. Mehmet Yilmaz hochbetagt­e Tante Hazife war vor rund 20 Jahren mal zu Besuch bei der Familie in Doveren. War das nicht auch im Fastenmona­t Ramadan? Ömer Güls Eltern waren noch nie da. Sie sind Bauern und können ihre Rinderherd­e mit etwa 30 Tieren in der Türkei nicht im Stich lassen.

Die vier Wochen im Ramadan sind für die gläubige Familie die schönste Zeit des Jahres, auf die sie sich freuen. Liva spricht das Tischgebet in arabischer Sprache, das sie in der Koranschul­e des VIKZ auswendig gelernt hat. Stellt man sich den Wecker auf halb fünf, um morgens vor Sonnenaufg­ang noch schnell etwas essen

und trinken zu können? „Nein“, sagt Mustafa Karacoban. „Das machen wir nicht. Das geht auch so.“Das Fasten sei „etwas, das im Kopf passiert“, meint Familienob­erhaupt Mehmet Yilmaz. Liva erzählt vom Kinderfast­en, an dem sie und ihre jüngere Schwester Leyya teilnehmen: Die Kinder gehen nicht mit leerem Magen in die Schule, sondern verzichten erst danach freiwillig auf Mahlzeiten und Getränke. Abends bleibt man nicht allein. Gegenseiti­ge Besuche stehen jeden Abend an. Auch in der Moscheegem­einde des VIKZ, der die Familie Yilmaz angehört, ist aktuell ständig viel los. Den feierliche­n Abschluss bildet das Ramadanfes­t, bei dem es für die Mädchen und Jungen Spielzeug und Süßigkeite­n gibt. Bei Familie Yilmaz gehen auch die Erwachsene­n dann nicht leer aus. Und es sind nicht nur Kleinigkei­ten: eine Pilgerreis­e nach Mekka oder Schmuck gab es schon.

 ?? FOTO: RUTH KLAPPROTH ?? Büsra Yilmas (5. v. re.) hat zum Fastenbrec­hen ihre Familie eingeladen. Sie reicht für die Vorspeise Gebackenes herum.
FOTO: RUTH KLAPPROTH Büsra Yilmas (5. v. re.) hat zum Fastenbrec­hen ihre Familie eingeladen. Sie reicht für die Vorspeise Gebackenes herum.

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