„Fasten ist etwas, das im Kopf passiert“
Eine Dattel abends um 19 Uhr läutet das abendliche Fastenbrechen ein. Danach kommen lauter Leckereien auf den Tisch der Familie Yilmaz. So erlebt die Familie den Ramadan.
Für Büsra Yilmaz war der Tag lang. Bis zum späten Nachmittag hat sie fünf Kleinkinder betreut. Die 31-jährige gelernte Kinderpflegerin hat sich vor zwei Jahren mit ihrer Großtagespflege „Die Windelrocker“selbstständig gemacht, kümmert sich in einer separaten Wohnung in ihrem Elternhaus an der Hückelhovener Straße um die quirligen Steppkes im Alter von eineinhalb bis zweieinhalb Jahren. „Ich arbeite jeden Tag neun Stunden“, erzählt die junge Frau und deutet auf die fünf Hochstühlchen, in denen die Mädchen und Jungen ihre Mahlzeiten einnehmen. Die Eltern der Kinder haben deutsche, türkische, albanische und arabische Wurzeln.
Nach Dienstschluss gönnte sich Büsra Yilmaz keine Pause, sondern bereitete die zahlreichen Speisen für das abendliche Fastenbrechen zu, bei dem gläubige Muslime zurzeit ab 19 Uhr zusammenkommen, um in gemütlicher Runde Zeit miteinander zu verbringen. Immer wieder summt die Klingel in ihrer Wohnung im ersten Stock. Nacheinander trifft die komplette YilmazFamilie ein. Vater Mehmet, der früher als Bergmann bei Sophia-Jacoba das schwarze Gold gefördert hat und später im Braunkohletagebau beschäftigt
war, stand vor einigen Jahren als Bundesvorsitzender an der Spitze des Verbands der Islamischen Kulturzentren (VIKZ). Ihre Mutter Dilek hat ihr beim Kochen geholfen. Ihre Zwillingsschwester Kübra Gül hat ihren Ehemann Ömer (31) und die beiden gemeinsamen Söhne Ahmed-Arif (vier Jahre) und Hüseyin-Han (zehn Monate) aus Ratheim mitgebracht. Seyma Karacoban ist die älteste der drei Yilmaz-Schwestern. Die Mittdreißigerin wohnt seit ihrer Hochzeit mit Mustafa (36), einem Angestellten der Bundesknappschaft, in Dortmund. Das Paar hat
drei Kinder: die elfjährige Liva, die siebenjährige Leyya und den vierjährigen Behnan.
Im Wohnzimmer versammelt sich die große Familie; zusätzliche Stühle und Hocker werden an den Tisch gerückt. „Es ist sieben“, ruft Kübra mit Blick auf die Uhr an ihrem Handgelenk. Als Zeichen des Fastenbrechens isst jedes Familienmitglied eine Dattel. Dann wird aufgetischt. Gastgeberin Büsra bringt große Platten, Schüsseln und Teller mit türkischer Linsensuppe, Rindfleisch, Reis, Salat und Kichererbsen. Süßes Baklava-Gebäck, Kuchen,
frische Erdbeeren, Heidelbeeren und Wassermelonen füllen den Wohnzimmertisch. Liva und Leyya haben am nächsten Tag Schule und müssen früh raus. Eigentlich sollen sie abends gegen acht Uhr im Bett liegen. Im heiligen Monat wird aber mal eine Ausnahme gemacht. „Auf der Rückfahrt schlafen sie schon im Auto sofort ein“, erzählt DreifachMutter Seyma und lacht. Die fünf Kinder haben an einem separaten Tisch Platz genommen, während die Erwachsenen plaudern oder in Erinnerungen schwelgen. Mehmet Yilmaz hochbetagte Tante Hazife war vor rund 20 Jahren mal zu Besuch bei der Familie in Doveren. War das nicht auch im Fastenmonat Ramadan? Ömer Güls Eltern waren noch nie da. Sie sind Bauern und können ihre Rinderherde mit etwa 30 Tieren in der Türkei nicht im Stich lassen.
Die vier Wochen im Ramadan sind für die gläubige Familie die schönste Zeit des Jahres, auf die sie sich freuen. Liva spricht das Tischgebet in arabischer Sprache, das sie in der Koranschule des VIKZ auswendig gelernt hat. Stellt man sich den Wecker auf halb fünf, um morgens vor Sonnenaufgang noch schnell etwas essen
und trinken zu können? „Nein“, sagt Mustafa Karacoban. „Das machen wir nicht. Das geht auch so.“Das Fasten sei „etwas, das im Kopf passiert“, meint Familienoberhaupt Mehmet Yilmaz. Liva erzählt vom Kinderfasten, an dem sie und ihre jüngere Schwester Leyya teilnehmen: Die Kinder gehen nicht mit leerem Magen in die Schule, sondern verzichten erst danach freiwillig auf Mahlzeiten und Getränke. Abends bleibt man nicht allein. Gegenseitige Besuche stehen jeden Abend an. Auch in der Moscheegemeinde des VIKZ, der die Familie Yilmaz angehört, ist aktuell ständig viel los. Den feierlichen Abschluss bildet das Ramadanfest, bei dem es für die Mädchen und Jungen Spielzeug und Süßigkeiten gibt. Bei Familie Yilmaz gehen auch die Erwachsenen dann nicht leer aus. Und es sind nicht nur Kleinigkeiten: eine Pilgerreise nach Mekka oder Schmuck gab es schon.