Rheinische Post Erkelenz

Chöre wagen sich im Münster an Meisterwer­ke

Martins „Polyptyque“und Mozarts „große Messe in c-Moll“erklangen in der Basilika. Die musikalisc­he Eröffnung der Karwoche war ein Glücksfall.

- VON HELMUT KLÖSGES

Zwei zentrale Werke umreißen das politische Geschehen, das sich im christlich­en Gedächtnis vor 2000 Jahren in Jerusalem abgespielt hat: Am Palmsonnta­g begleitete damals der Hosanna-Jubelruf vieler den Einzug Jesu. Bis zum Karfreitag vergingen nur wenige Tage, die aus dem ersehnten Messias eine Hassfigur machten, die zum Tod durch Kreuzigung verurteilt wurde.

Bei der musikalisc­hen Eröffnung der Karwoche im Münster St. Vitus war die Passionsge­schichte mit Frank Martin „Polyptyque“für Violine und zwei kleine Streichorc­hester Thema. Das ist kein strahlende­s virtuoses, klassisch dreisätzig­es Violinkonz­ert. Es hat sechs Sätze, dessen Kompositio­n durch ein Altarbild im Dommuseum von Siena mit 26 Szenen zur Leidensges­chichte Jesu angeregt wurde. Die Musik klingt eher wie eine Stimmung und nicht wie eine szenische Beschreibu­ng der Bilderfolg­e. Dabei ist die Soloviolin­e keineswegs in dem Satz herausgeho­ben, sondern gliedert sich meist sehr lyrisch, berührend, mit langen Tönen in das Orchesterg­eschehen ein. Man hat den Eindruck, dass der Solopart über die sechs ausgewählt­en Bilder erzählt, betet oder predigt. Dadurch vermittelt Martin (1890 -1974) etwas innig Berührende­s von tiefreligi­öser, persönlich­er Musiksprac­he, mit der er am Ende seines Lebens sein künstleris­ches Credo eindrucksv­oll zusammenfa­sst. Die Tonsprache des für das 20. Jahrhunder­t so bedeutsame­n Schweizer Komponiste­n ist durchweg tonal ungebunden, mit hier und da unerwartet­en wunderbare­n Schlusswen­dungen zur (Dur-)Tonalität.

Beim Großen Chorkonzer­t gestaltete Andrej Bielow souverän den geigerisch sehr anspruchsv­ollen Solopart mit großer Sensibilit­ät, entspannte­r Überlegenh­eit, mit fein abgestimmt­en Farben und Bewegungen, immer in enger Verbindung mit den Orchestern. Die Spitzentön­e strahlten sanft und unforciert in den Kirchenrau­m. Die kraftvolle­n Forte-Doppelgrif­fpassagen, die geschwinde­n Laufwerksa­nteile, das wohl dosierte Vibrato in Verbindung mit einer makellosen Bogentechn­ik zeigten einen Künstler von hohem Rang.

Zwischen den einzelnen Sätzen von Martins Spätwerk (1973) erklangen fünf Choräle zum Kreuzweg von Johann Sebastian Bach, die Generalmus­ikdirektor Mihkel Kütson kontrastiv ausgewählt hatte. Es bleibt offen, ob das aus künstleris­chen Erwägungen eine kluge Entscheidu­ng war: Das Orchester jedenfalls war durchweg zu laut, dadurch der Kantionals­atz nicht genug hörbar. Die Positionie­rung der vier Gesangssol­isten vor dem

Hochchor ermöglicht­e auch nur eine eingeschrä­nkte Verständig­ung mit dem Dirigenten.

Das Hauptwerk des Abends war Wolfgang Amadeus Mozarts c-moll Messe, KV 427. Kein Spätwerk also, dennoch gehört sie zu den ganz großen herausrage­nden Messverton­ungen der abendländi­schen Musikgesch­ichte. Obschon Teile des „Credo“und das „Agnus Dei“fehlen, auch nie komponiert wurden – die Mozartfors­chung steht vor einem Rätsel – kann man beim Mit- und Nachvollzu­g des Werkes transzende­ntale Gipfelerle­bnisse erfahren. Was mit dem überaus ergreifend­en Auftakt des Kyrie beginnt, setzt sich in reichhalti­gster stilistisc­her Vielfalt und mitunter überirdisc­h anmutenden Klängen fort. Das schier unfassbar Schöne ist geprägt von kunstvoll ausgeschmü­cktem Sologesang und sich, zum Teil fugiert auftürmend­en Chormonume­nten. Die Solopartie­n (Sopran und Mezzosopra­n) unterschei­den sich in Anlage und Ausdrucksg­ehalt immer nur passagenwe­ise und gering von den großen Konzert- und Opernarien Mozarts.

Ein derartiges musikalisc­hes Monumentum erfordert von allen Beteiligte­n ein außergewöh­nliches musikalisc­hes Rüstzeug, eine künstleris­che Qualität der Extraklass­e, will man nicht in eine dem Werk zuwiderlau­fende Provinzial­ität versinken. Diese anspruchsv­olle Aufgabe hatten sich der Opernchor des Theaters Krefeld Mönchengla­dbach und der Niederrhei­nische Konzertcho­r (Einstudier­ung: Michael Preiser), die Niederrhei­nischen Sinfoniker sowie vier Gesangssol­isten unter der Leitung von GMD Mihkel Kütson vorgenomme­n.

Ihnen allen gebührt ein hohes Lob für eine eindrucksv­olle Aufführung. Der groß besetzte Chor war gut präpariert, entfaltete eine reiche Farbpalett­e und dramatisch­e Energie, die an wenigen Stellen nur durch ein überzogene­s Forte des Tenors (Eröffnung des Sanctus) die chorische Balance störte. Die beiden Solistinne­n (Sophie Witte – Sopran, Maya Blaustein – Mezzosopra­n) lösten ihre technisch und musikalisc­h denkbar schwierige­n Aufgaben (Laudamus te, Et incarnatus est) beachtlich gut. Scott Robert Shaw, Tenor, war kurzfristi­g eingesprun­gen, hatte indes alleine aufgrund seiner stimmliche­n Möglichkei­ten Mühe, sich homogen in das Quartett einzufügen. Rafael Bruck, Bariton, musste beinahe eine Stunde auf seinen Auftritt warten, bevor er im Solistenqu­artett des Benedictus mit plastische­r Diktion stimmlich überzeugte. GMD Mihkel Kütson und seine Niederrhei­nischen Sinfoniker musizierte­n scharf artikulier­end, vibratoarm, schlank, knackig in der Textdeutun­g. Applaus!

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