Rheinische Post Erkelenz

Gladbach sucht einen Mann für Plea-Momente

Das kreative Vakuum, das ohne Alassane Plea entsteht, muss Borussia füllen. Ein Name kursiert bereits – welche noch interessan­t sind.

- VON JANNIK SORGATZ UND MATS BECKMANN

Roland Virkus spricht gerne von „kreativen Lösungen“, das kann eine Leihe sein, ein besonders flexibler Spieler, der mehrere Positionen abdeckt, oder einer aus einem Land, dessen Markt Borussia Mönchengla­dbach neu für sich entdeckt hat. In der kommenden Transferpe­riode werden „kreative Lösungen“auch gefragt sein, um das Problem der fehlenden Kreativitä­t zu lösen, wann immer Alassane Plea fehlt.

„Ein paar Qualitäten müssen wir im Sommer sicherlich hinzufügen, zum Beispiel im Bereich Kreativitä­t“, sagte Sportchef Virkus bereits im Februar im Interview mit unserer Redaktion. Da hatte Plea gerade ein 45-Minuten-Comeback gegen den SV Darmstadt gefeiert – oder vielmehr versucht. Es blieb sein einziger Einsatz in den vergangene­n zwei Monaten, aufgrund einer schmerzhaf­ten Fußprellun­g kann er sich jetzt erst wieder konkret im Training heranarbei­ten.

Dass er die Topform, die in sieben Toren, fünf Vorlagen und unzähligen wertvollen Aktionen resultiert­e, noch mal erreicht in dieser Saison, ist wenig wahrschein­lich. Vor einigen Tagen ist Plea 31 Jahre alt geworden, und selbst wenn er das hohe Niveau noch phasenweis­e abrufen kann, wird es für Borussia wichtig sein, die Zeit nach Plea zu planen.

Der ein Jahr ältere Jonas Hofmann erlebt aktuell nach einem überragend­en Start bei Bayer Leverkusen mit zwölf Scorerpunk­ten bis Mitte November, dass der Karrierepe­ak sich nicht ewig halten lässt. Selbst Spätentwic­kler sind davor nicht gefeit. Hofmann erreichte den Höhepunkt in den vergangene­n beiden Spielzeite­n bei Borussia, Plea lieferte im Herbst eine Phase ab, die zu den drei, vier besten in mittlerwei­le sechs Jahren Gladbach zählte. Ob noch mal eine kommt? Alle, die die Momente schätzen, in denen Plea der Dreh- und Angelpunkt des Spiels ist, kaum zu fassen als „falscher Zehner“hinter einem „echten Neuner“, werden es sich wünschen. Doch es ist die Zeit gekommen, Alternativ­en ins Auge zu fassen.

„Ich will, dass wir auch kreative Leute haben und sie das auch ausleben“, sagte Virkus und nannte neben Plea noch Florian Neuhaus als Mann für dieses Metier. Die Datenscout­s von „Createfoot­ball“haben sich diesmal dem zentralen offensiven Mittelfeld gewidmet und „eine Art Hybrid“aus Plea sowie Neuhaus gesucht.

„Gladbach spielt die drittwenig­sten Steckpässe der Liga, die zweitwenig­sten Pässe ins letzte Drittel und belegt in der progressiv­en Passgenaui­gkeit tatsächlic­h den letzten Platz der Tabelle“, belegt Mats Beckmann den Eindruck vom Status quo mit niederschm­etternden Zahlen. „Um in der kommenden Saison deutlich bessere Torchancen zu kreieren, benötigt die Borussia einen kreativen Offensivsp­ieler, der zuverlässi­g den Zehnerraum besetzt und konstant Scorerpunk­te liefern kann.“

Die Kaderplane­r, allen voran Virkus, sind sich dieser Problemati­k bewusst. Davon zeugt das medial inzwischen umfassend kolportier­te Interesse an Daichi Kamada. Was er in dieser Saison bei Lazio Rom abliefert beziehungs­weise abliefern darf, reicht zwar nicht annähernd an das heran, wodurch er bei Eintracht Frankfurt im Jahr davor so überragte. Doch genau darin könnte Borussias Chance liegen, sofern die Optionen auf eine Verlängeru­ng seines auslaufend­en Vertrages tatsächlic­h allesamt ungenutzt bleiben.

„Kamada gehörte 2022/23 mit 16 Scorern in 32 Partien zu den herausrage­ndsten Offensivsp­ielern der Bundesliga“, sagt Beckmann. „Er stach besonders durch seine starke Technik, seine Ballsicher­heit und seine enorm präzisen progressiv­en Pässe hervor, mit denen er ein hohes Volumen an Chancen einleitete.“

Der Japaner, der im August 28 Jahre alt wird, ist „sehr abschlussf­reudig und unwiderste­hlich im Dribbling“. Und hat eine Qualität, die Gladbach mitunter abgeht: Er dringt häufig mit raumgewinn­enden Läufen in torgefährl­iche Zonen ein. Zweifellos würde Kamada einer der TopVerdien­er werden, aber ablösefrei wäre das Gesamtpake­t leistbar.

Nur sollte und wird Borussia sich nicht allein auf diese Option verlassen. Technisch stark, Torchancen per Steckpass aus dem Zehnerraum kreieren, dank guter Athletik und Ballkontro­lle selbst den Weg in den Strafraum suchen – wer könnte das noch bringen? Das Datenscout­ing von „Createfoot­ball“definiert Hyun-seok Hong von der KAA Gent aus Belgien als einen Top-Kandidaten. Der südkoreani­sche Nationalsp­ieler (24 Jahre alt) ist laut Beckmann ein „sehr quirliger, spielstark­er Offensivma­nn mit leidenscha­ftlicher Spielweise und auffällig hoher Laufintens­ität, der dazu torgefährl­iche Standards schlägt“.

Mit feiner Technik weicht er häufig in den Halbraum aus. Seine progressiv­en Pässe bringt Hong mit einer herausrage­nden Genauigkei­t von 83 Prozent an den Mann, in der belgischen Liga durchbrich­t kein Mittelfeld­spieler häufiger die letzte Abwehrkett­e per Pass. Hinzu kommt eine Qualität, für die Plea und Neuhaus nie bekannt waren: „Er ist sehr pressingst­ark, erobert viele Bälle in der gegnerisch­en Hälfte und sorgt für die zweitmeist­en Ballgewinn­e mit anschließe­nder Torchance“, sagt Beckmann.

Der Benelux-Raum ist gelobtes Scoutingla­nd, wobei Borussia zuletzt seltener Spieler direkt aus Belgien oder den Niederland­en rekrutiert hat, sondern Spieler wie Rocco Reitz oder aktuell Oscar Fraulo und Yvandro Borges Sanches dorthin verlieh. Twente Enschede kam in den Berichten von „Createfoot­ball“seit 2021 schon häufiger vor, aktuell ist der Klub starker Dritter. Sem Steijn hat noch kein Spiel in der Eredivisie verpasst, mit zwölf Toren ist

er der treffsiche­rste Mittelfeld­spieler der Liga.

„Der 22-Jährige ist mit seinem Drang Richtung Strafraum, seinen technische­n Qualitäten und seinen gefährlich­en Freistößen enorm wichtig“, sagt Beckmann. „Er hält sich viel im Halbraum auf, wo er progressiv­e Pässe zwischen Mittelfeld und Abwehr des Gegners erhält.“Seine vorletzten Pässe zeichnen Steijn genauso aus wie seine überragend­e Übersicht und sein gutes Gefühl im Fuß, zudem ist er selbst sehr abschlussf­reudig. 2025 läuft der Vertrag des 1,73-MeterManne­s aus, aber Twente soll eine Option besitzen.

Yari Verschaere­n vom RSC Anderlecht galt mal als eines der größten Spielmache­rtalente Europas, als möglicher Nachfolger Kevin De Bruynes im belgischen Nationalte­am. Doch mehrere Verletzung­en, unter anderem ein Kreuzbandr­iss, haben den 22-Jährigen zurückgewo­rfen. Auch wellenförm­ige Karriereve­rläufe können die Basis für „kreative Lösungen“auf dem Transferma­rkt bilden.

„Verschaere­n agiert dank guter Technik und Übersicht mutig am Ball, überbrückt sehr weite Distanzen mit progressiv­en Läufen und erhöht durch seine Dynamik am Ball merklich das Tempo im letzten Drittel“, sagt Beckmann. In Belgien kreiert er unter allen Mittelfeld­spielern die meisten Abschlussa­ktionen pro Spiel. „Zudem glänzt er mit seiner hohen Arbeitsrat­e gegen den Ball und seinem Volumen an defensiven Zweikämpfe­n“, sagt Beckmann – klingt nach einem passenden Typen für den Ansatz unter Gerardo Seoane in Gladbach.

Ein anderer Typ ist Nicolas Madsen, ein Däne in Diensten des KVC Westerlo in Belgien. Der 1,92-Meter-Mann wurde im Verlauf der Hinrunde von der Achter- auf die Zehnerposi­tion verschoben. Acht seiner zwölf Tore hat er vom Elfmeterpu­nkt erzielt. Madsen ist technisch sehr beschlagen und nur schwer vom Ball zu trennen, sagt Beckmann: „Obwohl er einen hohen Anteil seiner Pässe progressiv spielt, ist er über alle Distanzen auffällig präzise, leitet dadurch regelmäßig Abschlussc­hancen ein.“Madsens Robustheit, kein Wunder bei der Größe, kann sich sehen lassen, er gewinnt die viertmeist­en Offensivzw­eikämpfe und sucht nach Ballgewinn den direkten Weg zum Tor.

Einen, der das kreative Vakuum füllen kann, das ohne Plea entsteht, wird Borussia ganz sicher holen. Die Transferer­löse, die der Klub für Manu Koné oder weitere Profis erzielt, werden den finanziell­en Rahmen definieren. Womöglich wäre neben einem Top-Mann wie Kamada noch ein entwicklun­gsfähiger Spieler drin. Aus der eigenen Jugend strebt für diese Position Kilian Sauck nach oben, der gerade 17-Jährige ist bereits Stammspiel­er und Leistungst­räger in der U19. Um die „Fohlenphil­osophie“mit Leben zu füllen, müsste einer wie Sauck sich in der Sommer-Vorbereitu­ng bereits mal zeigen dürfen.

Über all dem steht jedoch: Die großen Momente, die Plea noch liefern kann, wird Gladbach vor allem dann genießen können, wenn im Kader schon vorgesorgt ist für die Zeit danach.

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FOTO: IMAGO Daichi Kamada war bei Eintracht Frankfurt zum Teil überragend, ist bei Lazio Rom aber nur Ergänzungs­spieler.
 ?? FOTO: IMAGO ?? Sem Steijn (Twente Enschede) ist der torgefährl­ichste Mittelfeld­spieler der Eredivisie.
FOTO: IMAGO Sem Steijn (Twente Enschede) ist der torgefährl­ichste Mittelfeld­spieler der Eredivisie.
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FOTO: IMAGO Yari Verschaere­n galt als eines der größten Talente Europas.
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FOTO: IMAGO Hyun-Seok Hong überzeugt mit seinem starken linken Fuß.

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