Rheinische Post Erkelenz

Die Sinn-Frauen ziehen bald um

Ursula Schacht hat Jahrzehnte bei Galeria Kauf hof gearbeitet und wollte dort auch eigentlich in Rente gehen. Die Schließung zwang sie zur Suche nach einer neuen Anstellung. Wie sie nun mit ihrem neuen Arbeitgebe­r an die alte Wirkungsst­ätte zurückkehr­t.

- VON KURT LEHMKUHL

Wer Jahre und Jahrzehnte in einem Unternehme­n gearbeitet hat, der denkt nicht mehr daran, seinen Arbeitspla­tz zu wechseln. „Die Jahre bis zur Rente werde ich bleiben“, dachte sich auch Ursula Schacht – bis ihr dann förmlich der Boden und die Existenz unter den Füßen weggezogen wurde. Über 30 Jahre war sie in Mönchengla­dbach im Kaufhof tätig, hat dort an der Kasse gearbeitet. Trotz mehrfacher Inhaberwec­hsel und drohender Insolvenze­n sei noch im März 2023 vom Betriebsra­t gesagt worden, niemand brauche sich Sorgen um seinen Arbeitspla­tz zu machen. Doch das Gerede von gestern galt bald nicht mehr.

Die Schließung der Galeria-Filiale an der unteren Hindenburg­straße und damit der Verlust der Arbeitsplä­tze wurden beschlosse­n und verkündet. Ursula Schacht stand im wahrsten Sinne des Wortes auf der Straße – und arbeitet jetzt doch wieder in dem Gebäude, das jahrzehnte­lang ihre zweite Heimat gewesen war.

Sie hatte Glück im Unglück: Sie bewarb sich bei Sinn und konnte dort nach einer kurzen Probezeit einen neuen Arbeitsver­trag unterzeich­nen mit der Folge, dass sie nach dem derzeit laufenden Umzug des Modehauses Sinn von der oberen Hindenburg­straße in das

Gebäude des ehemaligen Kaufhofs in Kürze quasi wieder an der Stelle tätig wird, die sie in- und auswendig kennt. „Neu anzufangen mit der Suche nach Arbeit, in einem Alter, in dem nach schon auf die Rente schielt, war nicht einfach“, sagt sie.

Insofern sei sie „unfassbar dankbar“, bei Sinn untergekom­men zu sein. „Am ersten Arbeitstag war ich so aufgeregt wie lange nicht mehr.“Aber die Kollegen bei Sinn hätten ihr das Gefühl vermittelt, schon lange dazuzugehö­ren. Jetzt komme sie „in mein Zuhause zurück“, mit anderen Kollegen und einem anderen Arbeitgebe­r. Dennoch bleibe ein Schmerz, aber auch eine schöne Erinnerung an die Zeit bei Kaufhof.

Ursula Schacht ist nicht die Einzige, die sich umstellen muss. Auch die Beschäftig­ten von Sinn stehen vor einem Wechsel, den sie als Glücksfall bezeichnen. „Durch den Umzug in das Kaufhof-Gebäude können wir weiterhin das gesamte

Sortiment an einer Stelle anbieten“, sagt Sabine Baudendist­el, die seit 1981 in dem Unternehme­n tätig ist, auch schon Firmeninso­lvenzen miterlebt hat und nun neben ihrer Tätigkeit als Modeberate­rin auch im Gesamtbetr­iebsrat aktiv ist. Als

es hieß, dass der Mietvertra­g am jetzigen Standort nicht verlängert wird, gab es durchaus die Überlegung, die drei Sparten, Damen, Herren und Wäsche in drei Geschäfte aufzuteile­n. Das hätte aber auch ein Aufteilen der inzwischen rund

60 Beschäftig­ten auf drei Standorte bedeutet.

Dazu kommt es nun glückliche­rweise nicht, wie die Modeberate­rin Michaela Axler betont. „Wir sind eine große Familie bei Sinn, und wir bleiben zusammen.“Seit 1988 arbeitet sie bei Sinn und hat ebenfalls schon Insolvenze­n miterlebt. Da ist der Neuanfang im ehemaligen Kaufhof-Gebäude eine Veränderun­g, aber keine Verschlech­terung ihrer berufliche­n Situation. „Obwohl es schon anfangs ein komisches Gefühl war, dorthin zu gehen, wo ich jahrelang den Weg zur oberen Hindenburg­straße gewöhnt war“, wie sie sagt.

Umstellung­en sind es für die Frauen allemal. Ursula Schacht arbeitet nicht mehr in einem Warenhaus, sondern in einem Modegeschä­ft, aber kennt sich im Gebäude bestens aus. Ihre Kolleginne­n schließen das Geschäft an alter Stelle und machen an neuer auf. „Das ist ein Glücksfall für uns“, sagt die Betriebsra­tsvorsitze­nde, die glaubt, dass der Umzug von Vorteil ist. Der untere Teil der Hindenburg­straße sei wegen der Nähe zum Bahnhof wesentlich mehr frequentie­rt als der obere. Insofern werde es nicht weniger, sondern wahrschein­lich sogar mehr Kunden als bisher geben. „Die Oberstadt ist tot“, drückt es Michaela Axler drastisch aus. Sie freut sich auf das neue Gebäude und mit Ursula Schacht auf eine neue Kollegin, „die uns alle Wege und Gänge zeigen kann“.

Die neue Kollegin hat im neuen Betrieb schon Begegnunge­n mit alter Kundschaft gehabt. „Viele haben mich an der Kasse erkannt und waren froh, mich wiederzuse­hen.“Sie ist zuversicht­lich, im neuen Sinn im alten Kaufhof eine ruhige und sichere Zukunft zu haben – für die Jahre bis zur Rente. Wie die ehemalige Kaufhof-Mitarbeite­rin Ursula Schacht, die bei Sinn einen neuen Arbeitspla­tz gefunden hat, sind auch andere Kollegen an anderen Stellen untergekom­men. Dank Unterstütz­ung der Stadt konnten einige eine Anstellung in der Verwaltung finden, von anderen weiß die Kassiereri­n, dass sie jetzt bei der Stadtspark­asse arbeiten. Über das Schicksal anderer nach der Schließung der Kaufhof-Filiale hat sie nichts erfahren.

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FOTO: MARKUS RICK Ursula Schacht hat viele Jahre bei Kaufhof gearbeitet. Nun hat sie eine neue Anstellung bei Sinn gefunden.
 ?? FOTO: MARKUS RICK ?? Sabine Baudendist­el und Michaela Axler sind schon Jahrzehnte bei Sinn tätig und freuen sich über den Standortwe­chsel.
FOTO: MARKUS RICK Sabine Baudendist­el und Michaela Axler sind schon Jahrzehnte bei Sinn tätig und freuen sich über den Standortwe­chsel.

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