Wie eine junge Mutter das Trauern lernte
Marion Dahners ist gerade zum zweiten Mal schwanger, als bei ihrem Mann Darmkrebs entdeckt wird. Die Heilungschancen stehen schlecht, doch die junge Familie gibt die Hoffnung nicht auf. „Unser Optimismus hat viele verwundert. Aber wir wollten das Leben nicht betrauern“, sagt Dahners vier Jahre später. Zwischen Chemotherapie, Terminen beim Frauenarzt und allem Alltäglichen bleibt damals sowieso keine Zeit, um sich mit dem Tod zu beschäftigen. Erst als ihr Mann ins Krankenhaus kommt, setzt sich die Mutter bei der Seelsorge mehr mit dem Thema auseinander. Das fällt ihr schwer. Wie sollte es mit Anfang 30 anders sein.
Ihrer Tochter sagt Dahners nicht, dass der Vater sterben wird. „Aber ich habe die Situation nie verherrlicht und mit ihr darüber gesprochen, dass es Papa nicht gut geht und er nicht mehr gesund werden wird“, erinnert sich die Mönchengladbacherin. Sie spazieren gemeinsam über den Friedhof, lesen Kinderbücher, die das Sterben in Worte und Bilder fassen. Dahners selbst ist froh, dass sie einen Ansprechpartner hat, dem sie alle Fragen stellen kann, die durch ihre Gedanken geistern. Auch, wenn es auf viele keine Antworten gibt. „Geschulte Hilfe von Außen ist in solchen Momenten sehr wichtig. Manchmal braucht es einfach jemanden, der da ist, Fragen aushält und selbst die richtigen stellt“, sagt Beatrix Hillermann, Beauftragte für die Trauerseelsorge in der Region Mönchengladbach.
Sie sitzt im Trauerzentrum der Grabeskirche St. Elisabeth Marion Dahners gegenüber. Es ist der erste wirklich warme Frühlingstag in diesem Jahr. Auf dem Tisch in der Mitte stehen Tassen mit heißem Kaffee und ein brennendes Teelicht, daneben liegt eins der Bilderbücher, die Kinder den Tod so gut es eben geht erklären und das Programmheft Trauerzeit. Es ist voller Angebote in Mönchengladbach, die von Einzelbegleitungen über
Vor anderthalb Jahren verlor Marion Dahners ihren Mann. Er starb mit 32 Jahren. Lange fand die Mönchengladbacherin im Alltag zwischen Job und der Erziehung von zwei Kindern keinen Platz für Trauer. Seelsorger in der Stadt unterstützten sie und zeigten Wege auf, mit der schwierigen Situation umzugehen. Worauf es dabei ankommt und wie es Dahners heute geht.
Gesprächsgruppen bis zu einem Trauerfrühstück reichen. An so etwas denkt Marion Dahners nicht, als ihr Mann im Sommer 2022 den Kampf gegen den Krebs verliert. Er stirbt in der Nacht von Samstag auf Sonntag. Am Montag hat der Sohn, damals anderthalb, seinen Eingewöhnungstag im Kindergarten. Das Leben muss irgendwie weitergehen. Trauern kann Dahners noch nicht. Sie fragt sich warum,
hat Angst, etwas falsch zu machen und unerwartet in ein tiefes Loch zu fallen. „In eine Trauergruppe wollte ich nicht gehen. Ich dachte, das ist eher etwas für ältere Menschen“, sagt die 34-Jährige. Sechs Monate später nimmt sie an einer MutterKind-Kur teil – und spricht dort mit Fremden über den Verlust. „Ich habe gemerkt, dass das Alter keine Rolle spielt. Jeder hat sowieso eine andere Ausgangslage“, sagt Dahners.
Nach der Kur meldet sie sich für eine Trauergruppe in Rheydt an. Zum ersten Mal gibt sich die junge Mutter hier den Raum und die Zeit, um sich wirklich mit dem Tod ihres Mannes auseinanderzusetzen. Ein Thema berührt sie besonders. Es geht um Plätze der Erinnerung. Orte, die Dahners mit dem gemeinsamen Leben verbindet. „Das hat mich wirklich gepackt“, sagt sie und zum ersten Mal während des Gesprächs
bricht ihre vorher so feste Stimme. Insgesamt dauert es so neun Monate, bis die Mönchengladbacherin wirklich trauern kann.
Ein wichtiger Teil der Trauerseelsorge besteht darin, die Menschen zu begleiten und ihnen die Möglichkeit zu geben, ihre Gefühle auszudrücken, sagt Beatrix Hillermann. „Und sie sollen mit ihren Ressourcen in Kontakt kommen. Es geht darum, herauszufinden, woraus sie selbst Kraft ziehen.“Das kann eine Joggingrunde im Park, ein gutes Buch oder ein tiefgehendes Gespräch sein und ist bei jedem unterschiedlich. Wichtig sei, sich aktiv mit der Trauer auseinanderzusetzen – und sich dabei Unterstützung zu holen, so Hillermann. Das könne viel verändern: „Ich habe in den vergangenen Jahren oft erlebt, dass Menschen auch aus extremen Tiefen wieder herausfinden.“
Eine wichtige Säule der Trauerseelsorge in Mönchengladbach sind die zahlreichen Ehrenamtler. Zu ihnen gehört Beate Kaltefleiter. Sie verlor jung ihren Mann bei einem Unfall. „Ich hatte aber die Zeit, wirklich zu trauern. Da konnte ich mich wirklich glücklich schätzen und wollte Menschen in ähnlichen Lebenslagen helfen“, sagt die 59-Jährige, die auch das Trauercafé mit gegründet hat. Jeder habe seine eigene Geschichte – und die Dankbarkeit für die Trauerbegleitung sei oft groß.
Auch, wenn das Trauerprogramm in Mönchengladbach umfangreich sei, wissen viele nicht davon, sagt Beatrix Hillermann. Es gebe an unterschiedlichen Stellen Bedarf, der noch nicht gedeckt sei. Zum Beispiel im Kinder- und Jugendbereich. So arbeite man auch daran, weitere Angebote zu schaffen. Marion Dahners wünscht sich ein Format für Eltern mit Kindern. Schließlich bleibt ihr als Mutter oft nicht die Zeit, die sie eigentlich braucht. „Ich habe aber in den vergangenen anderthalb Jahren gelernt, die Trauer der Kinder auszuhalten und meiner eigenen nicht auszuweichen“, sagt sie. „Es ist alles okay, wie es gerade ist. Die Trauer kommt und geht. Und sie besteht nicht nur aus Traurigkeit, sondern ist voller Erinnerungen und Liebe, die ich festhalte.“
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