Rheinische Post - Geldern an Kevelaer
Lockdown half beim Deutsch lernen
Der 17-jährige Argentinier Felipe Rodolfo verbrachte als Gast des Rotary-Clubs Geldern ein Austauschjahr am Niederrhein. Er berichtet, wie er die Zeit verbracht hat und warum er sie trotz Corona toll fand.
GELDERN/KEVELAER Zwischen kahlen Bäumen mitten im kalten deutschen Winter sitzt ein Junge auf einer Bank vor dem Lise-Meitner-Gymnasium, der viel lacht und gestikuliert beim Erzählen. „Wir haben in der Schule einen deutschen Film mit Untertiteln geguckt. Ich habe gedacht: Das klingt super schwierig, ich will das lernen“, erinnert er sich an den Anfang von allem. Der 17-jährige Felipe Rodolfo kam im Januar als Rotary-Austauschschüler aus Argentinien nach Geldern. Nach nur einem Jahr Deutschunterricht in seinem Heimatland nimmt er jetzt mit seinen Mitschülern regulär am Unterricht der elften Klasse teil. Sein Austauschjahr neigt sich nun dem Ende zu, am 8. Januar soll es wieder zurückgehen. In fehlerfreiem Deutsch erzählt er von seinen Erfahrungen in Deutschland — und wie Corona sie prägte.
Schon immer habe er Deutschland interessant gefunden, sagt er, nicht nur die Sprache, sondern auch, dass das Land schon so viele Krisen überwunden habe. In einer Sprachschule in seiner Heimatstadt Santa Fe nahm er deshalb in seiner Freizeit Deutschunterricht. Mit Rotary bot sich dann die Möglichkeit für einen Austausch. Nach einigen Monaten des Entgegenfieberns war es dann so weit: Felipe flog nach Deutschland und lernte seine erste von drei Gastfamilien endlich persönlich kennen. „Bei Rotary ist es so, dass man die Gastfamilie mehrmals wechselt, damit man eine größere Idee von der Kultur bekommt“, erklärt er, „und das stimmt echt. Ich habe dadurch viele tolle Menschen getroffen und konnte verschiedene Seiten der deutschen Kultur kennenlernen.“Seine ersten beiden Gastfamilien kamen aus Geldern, momentan lebt er bei seiner dritten Familie in Kevelaer. Kontakt hält er mit allen.
„Die erste Zeit in der Schule war ein bisschen schwierig, weil ich noch nicht so viel Deutsch konnte“, erinnert sich Felipe. „Jetzt habe ich aber viel dazu gelernt und habe viele tolle Freunde, alle sind sehr nett hier.“
Das Deutsch lernen wurde ihm durch einen auf den ersten Blick nicht so erfreulichen Zustand ermöglicht: Als im März der erste Lockdown kam, konzentrierte sich der Schüler voll und ganz auf die neue Sprache. „Ich habe mich wirklich angestrengt“, sagt er stolz. „Und meine Gastfamilie hat mir auch viel geholfen, weil wir ja alle zu Hause waren. Ohne den Lockdown hätte ich nicht so gut Deutsch gelernt.“
Seine Familie in Argentinien habe sich keine Sorgen gemacht, erzählt er, „die meinten, dass es mir hier besser geht.“Felipe konnte seinen Austausch also trotz Corona genießen, sieht das Ganze positiv. „Alle denken, dass mein Austausch traurig war wegen Corona, aber ich finde
das gar nicht. Ich konnte trotzdem viele tolle Erfahrungen machen und habe viele Leute aus der ganzen Welt kennengelernt.“
So unternahm er in den Sommerferien mit seiner Gastfamilie eine Deutschlandreise, und einige Rotary-Veranstaltungen, wie gemeinsame Museumsgänge mit den Austauschschülern in NRW, waren trotz Corona möglich. Während des Lockdowns spielte er viel mit seiner Gastfamilie. „Und wir haben so viel gekocht, es war wie im Hotel. Ich liebe deutsches Essen.“
Begeistern kann sich der Argentinier vor allem für deutsches Brot, am besten mit Wurst. Auch von Sauerbraten, Gulasch und allen verschiedenen Kohlsorten schwärmt er. Nur der Kartoffeln sei er mittlerweile überdrüssig.
Was ihn an Deutschland überrascht habe? „In Argentinien denken viele: Deutsche sind kalt wie Steine und machen keine Witze“, erzählt Felipe. „Und dann bin ich hierhin gekommen, und direkt im Februar war Karneval, da habe ich gemerkt: Die haben eine ganz falsche Idee von den Menschen hier.“Auch in der Schule fand er viele Freunde, vor allem über seine beiden Gastbrüder, mit denen er in einer Stufe ist. Auch wenn es ein bisschen gedauert hat: „In Argentinien kommen direkt alle Leute zu einem neuen Schüler und stellen ihm Fragen. Hier hält man erstmal Abstand und braucht ein bisschen mehr Zeit, um Beziehungen aufzubauen.“
Und obwohl er so enthusiastisch von seinem Austausch erzählt: Ein bisschen Heimweh habe er schon. Vor allem vermisse er seine große Familie, die sich jeden Sonntag zum Grillen trifft. Die wird er wohl erst im nächsten Jahr wiedersehen. Erst einmal steht noch ein deutsches Weihnachten und Silvester auf dem Plan – für ihn ganz untypisch, die Feste im Kalten zu feiern.
Doch für Felipe steht fest: Er wird wiederkommen. „Ich will auf jeden Fall alle Leute hier wiedersehen. Und vielleicht kann ich ja mal ein Auslandssemester hier machen, wenn ich studiere.“