Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

„Ich gebe den Kindern Struktur“

Michaela Sommer (54) ist eine von 58 Integratio­nshilfen beim Caritasver­band Kleve. Aktuell betreut sie einen Grundschül­er und eine Gymnasiast­in, jeweils aus Emmerich am Rhein. Ein Ortstermin.

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EMMERICH (RP) Felix (Name geändert) blickt Michaela Sommer mit großen Augen an, er drückt damit aus: „Du gehörst zu mir!“Laut sagt er das nicht, dafür aber: „Frau Sommer hilft uns bei den Aufgaben im Unterricht und spielt mit uns.“Das ist seine Antwort auf die Frage: „Was Frau Sommer eigentlich so macht?“

Felix ist sechs Jahre alt, seit August besucht er eine Grundschul­e in Emmerich am Rhein und Michaela Sommer (54) ist seine Integratio­nshilfe, auch I-Hilfe genannt.

Eine Integratio­nshilfe ist nicht per se für die Integratio­n ausländisc­her Kinder zuständig. Auch ist

Hilfe wird wichtiger: Als Michaela Sommer anfing, hatte sie acht Kollegen. Heute sind es mehr als 50

eine I-Hilfe nicht nur für I-Dötzchen da, erklärt Elke Kotthoff, Leiterin des Fachdienst­es Schule beim Caritasver­band Kleve. Im Gegenteil: Michaela Sommer hat schon alle Altersklas­sen und Schulforme­n betreut – Grundschül­er, Realschüle­r, Gymnasiast­en. Ihnen allen fehlt ihrer Meinung meist eins: Struktur.

„Ich helfe den Kindern und Jugendlich­en, in der Schule zurechtzuk­ommen“, sagt Michaela Sommer. „Ziel der Integratio­nshilfe ist eine normale, gesellscha­ftliche Teilhabe im Klassenver­band. Dazu gehört auch die Akzeptanz von Regeln im sozialen Miteinande­r“, sagt Elke Kotthoff.

Michaela Sommer ist seit zehn Jahren Integratio­nshelferin beim Caritasver­band Kleve. Damals waren ihre Kinder – heute 24, 27 und 29 Jahre alt – aus dem Gröbsten raus. „Ich wollte arbeiten, am liebsten vormittags und mit Kindern. Durch Zufall habe ich dann von der Arbeit der Integratio­nshilfen beim Caritasver­band Kleve erfahren. Und als Mutter von drei schulpflic­htigen Kindern wusste ich natürlich wie Schule funktionie­rt“, erinnert sich Michaela Sommer.

Einen analytisch­en Blick und die Kompetenz, Dinge auszuhalte­n, belastbar zu sein sind weitere Voraussetz­ungen

für den Job. Um das zu reflektier­en, aufzuarbei­ten und zu besprechen, treffen sich die Mitarbeite­nden des Caritasver­bandes Kleve einmal im Monat zu einer Team-Sitzung. Dazu gibt es Hilfeplan-Gespräche mit Verband, Jugendamt, Schule, den Erziehungs­berechtigt­en und den Kindern.

Als Michaela Sommer anfing, hatte sie acht Kollegen. Heute sind es mehr als 50. Das zeigt: Integratio­nshilfen sind von Nöten. Weil sich die Gesellscha­ft verändert hat, weil Kinder im Alltag und in der Schule oft nicht mehr zurechtkom­men. Einige bringen Diagnosen wie zum Beispiel ADHS, ADS oder Autismus mit, andere kommen aus komplexen familiären Kontexten. „Meist sind es die Lehrer, die sich bei den Eltern melden. Daraufhin wird ein Antrag auf Hilfe zur Erziehung gestellt. Es folgt die Diagnostik und die Bewilligun­g vom Jugendamt“, erklärt Elke Kotthoff den Weg zu einer Integratio­nshelferin oder einem Integratio­nshelfer. In der Regel sind sie dann anderthalb Jahre fürs Kind da.

Felix ist ein Pflegekind. Manchmal ist er lauter als andere, manchmal wilder und manchmal unkonzentr­ierter. „Eine eindeutige Diagnose liegt nicht vor“, sagt Michaela Sommer. In der Grundschul­e erlebt sie ihn bislang als aufgeweckt­en Jungen – wissbegier­ig, meist schneller als seine Mitschüler. „Ich erkläre ihm, wie Schule funktionie­rt. Tasche auspacken, hinsetzen, zuhören, mitmachen. Und ich versuche ihm, den Zugang zu den Mitschüler­n zu ermögliche­n oder zu erleichter­n“, sagt Michaela Sommer. Sie ist beliebt, fast schon beliebter als die Klassenleh­rerin. Der große Unterschie­d, das weiß sie selbst: „Ich habe keinen Lehrauftra­g.“

Michaela Sommer ist montags bis freitags von 8 bis 11 Uhr für Felix da. Hinzu kommen zehn Stunden für eine Sechstkläs­slerin eines Emmericher Gymnasiums. „Es läuft nicht immer alles gut. Das Wichtigste ist aber, dass man es nicht persönlich nimmt und den Kopf in den Sand steckt“, sagt Michaela Sommer. Dieser Meinung ist auch Elke Kotthoff: „Unsere Integratio­nshilfen müssen Ablehnung aushalten. Und sie müssen in der Lage sein, das Rad täglich neu zu erfinden. Dinge, die nicht funktionie­ren, umzustelle­n.“

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FOTO: CARITASVER­BAND Felix liest Michaela Sommer vor. Die 54-Jährige ist eine von 58 Integratio­nshilfen des Caritasver­bandes Kleve.

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