Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Immerhin noch im Amt

Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans sind ein Jahr als SPD-Chefs im Amt. Von der damaligen Euphorie nach dem Sieg ist eher Ernüchteru­ng geblieben.

- VON JAN DREBES

BERLIN In einem Punkt lag Wolfgang Kubicki falsch. Vor elf Monaten sagte der FDP-Vizechef kurz nach dem Amtsantrit­t von Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans, sie würden das nächste halbe Jahr als SPD-Vorsitzend­e nicht überleben. Sie taten es doch. Wie es bei der SPD so ist, bedeutet das aber noch lange nicht, dass sie besonders großen Rückhalt genießen würden.

Denn in einem anderen Punkt seiner Analyse behielt Kubicki recht: Esken und Walter-Borjans hätten bei ihren Zuhörern Erwartunge­n an ein Ende der großen Koalition geweckt und würden diese nun enttäusche­n, so der FDP-Vize damals. Und tatsächlic­h gab es zumindest für einige Monate Gemurre darüber an der Basis, besonders bei Groko-kritischen Jusos und Genossen aus dem mitglieder­stärksten NRW-Landesverb­and. Heute scheint aber selbst die Mehrheit der damaligen Befürworte­r eines vorgezogen­en Groko-Endes froh zu sein, dass die Regierung sich nicht kurz vor der Corona-Pandemie zerlegte. Und die SPD-Spitze verlor schnell an Schärfe in ihrer Wortwahl gegen das Bündnis mit der Union.

Esken und Walter-Borjans stellten die Geduld ihrer Anhänger aber auf eine harte Probe, als sie Olaf Scholz zum Kanzlerkan­didaten machten. Ausgerechn­et ihn, den Eskens und Walter-Borjans’ Unterstütz­er teils mit harscher Wortwahl bei den Regionalko­nferenzen für die schlechten Umfragewer­te der SPD in Haftung nahmen. Ihn, den so viele Mitglieder bewusst nicht zum Chef gewählt hatten. Er war wieder da und ist es mehr denn je. Olaf Scholz ist der zweitbelie­bteste Politiker im Land, der Vizekanzle­r und Finanzmini­ster hatte den Bazooka-Plan gegen Corona, er ist der Macher und war es schon vor der Krise. Die Vorsitzend­en hatten eigentlich keine andere Wahl, als ihn auf den Schild des Kanzlerkan­didaten zu heben.

Doch für sie bleibt damit nicht viel Gestaltung­sspielraum übrig. Die Co-Parteichef­in saß bei den bisherigen Bildungsgi­pfeln mit am Tisch im Kanzleramt, allerdings fanden die nur selten statt. Ein Koalitions­ausschuss ist vorerst nicht geplant. Die wichtigste­n Entscheidu­ngen trifft die Ministerpr­äsidentenk­onferenz – mit Merkel und Scholz.

Und so konzentrie­ren sich die beiden Vorsitzend­en auf die Parteiarbe­it. Sie reklamiere­n für sich, die Kultur des Miteinande­r intern verändert zu haben. Ohne Basta-Rhetorik Konflikte zu lösen, Entscheidu­ngen im Einvernehm­en zu treffen, Beteiligte einzubinde­n, Zusammenha­lt zu stiften. Das mag sein. Dennoch haben sie weiterhin viele Kritiker in Partei und Fraktion. Und den wichtigen Wahlkampf vorzuberei­ten, ist wiederum die Hauptaufga­be von Generalsek­retär Lars Klingbeil. Er ist es, der frische Ideen einbringt, eine junge, mutige, digitale

Kampagne für Olaf Scholz verspricht.

Und so müssen Walter-Borjans und Esken knapp ein Jahr nach ihrer Wahl beim Parteitag am 6. Dezember 2019 auf eine durchwachs­ene Bilanz zurückscha­uen. Die Umfragewer­te sind unveränder­t schlecht. Weder konnten sie für ein Plus jenseits der aktuell 15 bis 17 Prozent sorgen, noch Scholz konnte es. In einem Interview sagte Esken vor wenigen Tagen, es sei nicht alles „gleich gut gelungen“. Sie habe viele notwendige Debatten angestoßen. Wahrlich ist Esken beispielsw­eise mit ihrer Kritik an Polizeigew­alt und Rassismus aufgefalle­n, stieß entspreche­nde Studien zur Untersuchu­ng bei den Behörden an – musste aber auch heftige Kritik einstecken, weil sie selbst aus Sicht von Parteifreu­nden mit ihrer Wortwahl überdreht hatte. Walter-Borjans konzentrie­rte sich unterdesse­n auf die Finanzpoli­tik und tut dies immer noch. Die an der Union gescheiter­te Entschuldu­ng der Kommunen, von denen besonders viele in seiner Heimat NRW profitiere­n würden, will er nun im Wahlkampf thematisie­ren. Er blieb seiner früheren Rolle als Landesfina­nzminister in dieser Hinsicht treu.

Aber wie geht es jetzt weiter? Im Frühjahr soll das Wahlprogra­mm stehen. Ob es für Esken und Walter-Borjans nach der Bundestags­wahl eine Verlängeru­ng gibt, dürfte von deren Ergebnis abhängen. Bislang gilt wohl diese Absprache im WillyBrand­t-Haus: Wird Scholz Bundeskanz­ler, könnten Esken und Walter-Borjans mit einer Wiederwahl rechnen und – zumindest vorerst – bleiben. Scheitert Scholz und geht die SPD in die Opposition, ist alles wieder offen.

Den beiden bleibt nicht viel mehr, als sich auf die Parteiarbe­it zu konzentrie­ren

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FOTO: DPA

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