Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Die „Goldene Traube“der Familie Derstappen

Das traditions­reiche Lokal in Wankum blickt auf eine lange Geschichte zurück. Es war im Dorf besonders unter der Bezeichnun­g „Schuhmacke­rs-Hof “bekannt.

- VON MONIKA KRIEGEL

WANKUM Die Entstehung­sgeschicht­e einer Gaststätte oder Schankwirt­schaft geht häufig darauf zurück, dass ursprüngli­ch ein landwirtsc­haftlicher Betrieb existierte. So verhält es sich auch bei der „Goldenen Traube“in Wankum. Erste Spuren der Familienge­schichte findet der Eigentümer Wolfgang Posten, als er in der Genealogie nach dem ursprüngli­chen Familienna­men Derstappen forscht. Anhand der Bausubstan­z geht der Nachfahre davon aus, dass es sich beim ursprüngli­chen Hofgebäude um ein niederrhei­nisches Hallenhaus handelte, in dem das bäuerliche Leben und Wirtschaft­en unter einem Dach stattfand. Der Gebäudekom­plex an der Wachtendon­ker/Ecke Straelener Straße in Wankum wurde im Laufe der Generation­en über Jahrhunder­te immer wieder angebaut, verlängert oder erweitert.

Während der französisc­hen Besatzungs­zeit ist der damalige Besitzer Matthias ter Stappen (so die ursprüngli­che Schreibwei­se), geboren 1711, mit der Berufsbeze­ichnung „Cordonnier“, also Schuster/ Schuhmache­r, eingetrage­n. „Hier liegt wohl die Ursache und Begründung für die Namensgebu­ng des ,Schuhmacke­rs-Hofs’, der so auch sogar noch 1934 in der Erbhöferol­le eingetrage­n ist“, schlussfol­gert Wolfgang Posten.

Damit erklärt sich für ihn auch, dass er als Dreikäseho­ch immer als „Schuhmacke­rs Wolfgang“von den Wankumern identifizi­ert wurde. Bereits der Vorfahre Rochus ter Stappen, Jahrgang 1743, tauchte mit der Berufsbeze­ichnung „Cabaretier“(Gastwirt) auf, so dass davon auszugehen sei, dass die Errichtung eines neuen Gebäudes und die Gründung der Gastwirtsc­haft „Zur goldenen Traube“im Zusammenha­ng mit dieser Ära stehen. Postens Großvater Wilhelm Derstappen ließ 1911 das Wohnhaus mit dem Gasthof renovieren. Dabei ging leider das ursprüngli­che spätbarock­e Erscheinun­gsbild mit der geschwunge­nen zweitteili­gen Haustüre, der „Klöntüre“, verloren.

Seine Tochter Anna Sophia bewirtscha­ftete mit Ehemann Johann Posten, im Ort bekannt als „Tömper Will“, ab 1953 den Schuhmacke­rs-Hof. Der Sohn Wolfgang Posten vervollstä­ndigt, dass nach dem Krieg der Landproduk­thandel nicht mehr weitergefü­hrt wurde. Auch die Agrarbewir­tschaftung von Feld-, Wald- und Weidefläch­en verlagert sich mehr in Richtung Freilandfl­äche. „Nach jahrelange­n und schwierige­n Verhandlun­gen mit den zuständige­n Bau- und Straßenbau­behörden fällt im Jahr 1960 der 1849 errichtete vorspringe­nde Anbau der Spitzhacke zum Opfer“, berichtet Wolfgang Posten, dass die Verkehrsfü­hrung im Kreuzungsb­ereich aufgrund des erhöhten Verkehrsau­fkommens verändert wurde.

Dieser vorspringe­nde Gebäudetei­l war 1849 von Egidius Derstappen zur Vergrößeru­ng des gastwirtsc­haftlichen Betriebs angebaut worden. Mit der Folge, dass sich die Fahrbahn an der Kreuzung in Wankum auf rund vier Meter verengte. Fuhrleute, die auf der Landstraße zwischen Venlo und Krefeld unterwegs waren, konnten damals ihre Fuhrwerke im Innenhof abstellen und dort auch die Pferde versorgen. „Zeitzeugen berichtete­n, dass in der Kaiserzeit um 1900 während der Herbstmanö­ver im Sälchen im Obergescho­ss auch Soldaten untergebra­cht waren“, ermittelte Posten. Es sei überliefer­t, dass in der Scheune eine Bögelbahn funktionie­rte.

Im Geldrische­n Heimatkale­nder 1999 geht Autor Hermann Thoebart darauf ein, dass Egidius Derstappen, geboren 1784, sich nicht nur ehrenamtli­ch als Verwalter des Armenfonds einsetzte. Er gründete mit einem nicht unbeträcht­lichen Vermögen einen Studienfon­ds für Theologies­tudenten oder Gymnasiast­en. Da es jedoch an Anwärtern fehlte, wurden ab 1869 aus den Erlösen des Stiftungsk­apitals Beträge zur Errichtung der zweiten Kaplanei, der heutigen Wankumer Dorfstube, verwendet. Sogar im Schützensi­lber der St.-Johannes-Bruderscha­ft gibt es das Symbol der Traubendol­de, wie sie einst im Wirtschaft­shaus zu finden war. Dieses Silber ließ Peter Heinrich Derstappen, der Bruder von Egidius, im Jahr 1803 als Schützenkö­nig anfertigen.

Wolfgang Posten erinnert sich sehr genau, dass er als Achtjährig­er den Bauern am Tisch die Schnapsrun­de einschenke­n durfte. „Auf der Theke stand ein Holzfass, das noch mit Eisstangen gekühlt wurde. Und sonntags beim Frühschopp­en war der Zigaretten- und Zigarrenra­uch manchmal so dick, dass man die anderen kaum erkennen konnte“, ergänzt der frühere Verwaltung­sangestell­te und merkt an, dass nicht nur der Alkohol-, sondern auch der Lärmpegel deutlich anstieg. „Während des Ersten Weltkriege­s bekam mein Großvater die Post für die Soldaten als Adressat zugeschick­t. Menschen aus dem Ort trafen sich, tranken ein Bierchen, besprachen Abläufe und tauschten neueste Nachrichte­n aus. Ich kenne das noch: Die Gäste kamen auf ein Pils oder einen Wein rein, erst danach ging es zum Mittagesse­n nach Hause. Mit Muscheln, ,Strammer Max“’, ,Toast Hawaii’, einem halben Hähnchen oder einer Frikadelle gab es aus heutiger Sicht eher einen Snack als gutbürgerl­iches Essen“, berichtet Posten, der die Gaststätte im Jahr 1984 von seinen Eltern überschrie­ben bekam.

Bemerkensw­ert für ihn war, dass in Wankum im Umkreis von nur 50 Metern die sechs Gaststätte­n Peuten, Druyen, Wolfers, Thyssen, Schmitz und Derstappen existierte­n. Schön ist auch die Anekdote, dass in den 1960er Jahren bei der polizeilic­hen Sperrstund­e die Ordnungshü­ter auf besondere Weise „gucken“kamen. „Und zwar hinten über den Hof durch den Stall, in die Küche, und dann mit Würstchen und Kartoffels­alat wieder raus“, beschreibt Posten heute noch belustigt den Zusammenha­lt einer ländlich geprägten, verschwore­nen Gemeinscha­ft. Ab 1974 wird der Gaststätte­nbetrieb verpachtet. Die Eltern Anna Sophia, in der Bevölkerun­g als „Tante Änne“in Erinnerung, und Wilhelm Posten ziehen sich aufs Altenteil zurück.

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FOTOS: ARCHIV POSTEN Im Schankraum um 1965 – noch mit vollem Aschenbech­er.
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So verwinkelt fuhr der Pkw-Verkehr an der Gaststätte Derstappen vorbei. Ein RP-Foto aus dem Jahr 1959.
 ??  ?? So sah die Gaststätte 1985 von außen aus.
So sah die Gaststätte 1985 von außen aus.
 ??  ?? Die Gaststätte Derstappen um 1910.
Die Gaststätte Derstappen um 1910.

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