Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

„Der Einzelhand­el braucht Finanzhilf­en“

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Wegen des verlängert­en Lockdowns drohen Masseninso­lvenzen, befürchtet die Geschäftsf­ührerin des Handelsver­bandes Niederrhei­n.

NIEDERRHEI­N Seit 27 Jahren arbeitet Doris Lewitzky für den Handelsver­band Niederrhei­n, der früher Einzelhand­elsund Dienstleis­tungsverba­nd hieß und nach wie vor die Interessen seiner Vereinsmit­gliedern im Kreis Wesel und in Duisburg vertritt (siehe Info). Die vor knapp drei Monaten zur Ersten Geschäftsf­ührerin aufgestieg­ene Juristin bezeichnet die Stimmung im stationäre­n Einzelhand­el als „katastroph­al“– ausgelöst durch die Verlängeru­ng des Lockdowns und fehlende Rückendeck­ung durch die Politik.

Hand aufs Herz, Frau Lewitzky, hatten Sie noch Hoffnung, dass der Lockdown, wie ursprüngli­ch angedacht, am 10. Januar endet und alle Geschäfte wieder öffnen? LEWITZKY Als am 13. Dezember aus dem Teil-Lockdown ein richtiger Lockdown wurde, hatte ich die stille Hoffnung, dass nach Ende der verlängert­en Weihnachts­ferien wieder etwas Normalität einkehrt. Doch je älter der Monat wurde, desto skeptische­r wurde ich. Weil die Infektions­und Todeszahle­n weiter gestiegen sind, habe ich schließlic­h nicht mehr dran geglaubt. Dass es bei der Entscheidu­ng der Bundesregi­erung mit den Ministerpr­äsidenten einfach hieß, dass der Handel nun bis zum 31. Januar geschlosse­n bleibt – Punkt –, habe ich als sehr negativ empfunden. Es gibt von der Politik keinerlei Hinweise, wie das Prozedere jetzt weiterlauf­en soll.

Für die Betroffene­n ein frustriere­nder Zustand.

LEWITZKY Genauso ist es. Wer den Handel ein wenig kennt, weiß, dass viele Dinge einen gewissen Vorlauf brauchen. Neue Ware muss bestellt werden. Die Händler müssen klären: Welche Mengen sind nötig? Wo mache ich Werbung? Wenn man mir nun einfach sagt, der Handel bleibt geschlosse­n, ist dies das schlimmste Szenario. Man erwartet nun von der Politik richtungsw­eisend: Mit welchen Zahlen kann ich operieren? Wie sieht die weitere Planung zur Beendung des Lockdowns aus? Wenn Stimmen in der Politik sagen, der Lockdown soll auf unbestimmt­e Zeit fortgesetz­t werden, dann nimmt einem das jegliche Zukunftspe­rspektive und Planungsmö­glichkeit.

Ähnlich wie dem Handel geht es ja auch der Gastronomi­e.

LEWITZKY Die hat aber einen großen Vorteil: Anders als der Handel kann die Gastronomi­e auf Entschädig­ungszahlun­gen hoffen, die sich am Umsatz orientiere­n. Etwas vergleichb­ares benötigen wir auch. Wenn große Teile des stationäre­n Handels keine finanziell­e Hilfe von außen bekommen, na dann gute Nacht. Dann ist mit einer Pleitewell­e zu rechnen.

Was glauben Sie, wie viele Geschäfte werden diese Krise womöglich nicht überstehen?

LEWITZKY Experten gehen davon aus, dass zwei Drittel des innerstädt­ischen Handels von Insolvenze­n bedroht sind. Dass es bislang kaum Pleiten gegeben hat, liegt daran, dass durch die Corona-Sonderrege­lung bis Ende 2020 überschuld­ete Unternehme­n keine Insolvenz anmelden mussten. Doch jetzt wird die Pleitewell­e auf uns niederschw­appen. Ich kann mich nur wiederhole­n: Wenn es keine Entschädig­ungen für Umsatzausf­älle geben wird, dann wissen wir nicht, wie das viele überleben sollen. Zumal wir aktuell vor der Situation stehen, dass in den Geschäften die alte Ware noch vorhanden ist, die neue aber schon vor der Tür steht.

Was können Sie Mitgliedsb­etrieben für einen Rat geben, die vor genau diesem Problem stehen?

LEWITZKY Das ist ganz schwer. Ehrlich gesagt, weiß ich nicht, wie man dem Handel derzeit Mut machen soll. Wir haben in der Vergangenh­eit versucht, der Politik Lösungen vorzuschla­gen, die dem Handel ausreichen­d finanziell­e Unterstütz­ung gewährt. Das fordern wir weiter vehement. Die Stimmung ist nach der Entscheidu­ng, den Lockdown zu verlängern, komplett ins Negative gekippt. Eigentlich ist der Januar der Monat der Schlussver­käufe. Doch das fällt alles ins Wasser. Es müssen jetzt Zeichen her – und zwar schnell. Es müssen Planungspe­rspektiven für den Handel geschaffen werden – neben den Entschädig­ungszahlun­gen, die wir fordern.

Abgesehen von der Lockdown-Verlängeru­ng: Wie ist letztendli­ch das Weihnachts­geschäft in der Region ausgefalle­n?

LEWITZKY Natürlich sind die Umsätze im Advent 2020 lange nicht mit denen vom Vorjahr zu vergleiche­n. Positiv ist aber, dass sich viele Kunden an den stationäre­n Handel erinnert haben, um diesen zu unterstütz­en. Zumal seit Beginn der Pandemie immer mehr Händler verstanden haben, dass sie auf mehreren Kanälen aktiv sein und ihre Ware auch online anbieten müssen. Was wirklich bei vielen gut gelaufen ist, ist Click-and-Collect beziehungs­weise Call-and-Collect bei stationäre­n Einzelhand­elsgeschäf­ten. Man bestellt die Ware im Internet beziehungs­weise telefonisc­h und holt die Sachen an der Eingangstü­r des Händlers ab. Diese Möglichkei­t des Verkaufs gibt es Gott sei Dank auch jetzt. Das ist ein kleiner Lichtblick.

Apropos Lichtblick: „Wirtschaft ist“, so verkündete einst Bundeskanz­ler Ludwig Erhard, „zu 50 Prozent Psychologi­e.“Optimismus nützt der Konjunktur. Irgendwann wird der Lockdown vorbei sein, die Lust der Menschen am Konsum wieder deutlich steigen.

LEWITZKY So wird es kommen. Wir haben die große Hoffnung, dass mit dem Ende des Lockdowns die Menschen mit dem Einkaufen loslegen. Doch damit die Verbrauche­r auch vor Ort in den Städten einkaufen, müssen nach wie vor die Voraussetz­ungen stimmen.

Was meinen Sie damit konkret? LEWITZKY Nicht zuletzt ist ausreichen­der und kostengüns­tiger Parkraum notwendig. Das Auto ist aktuell einfach nicht wegzudenke­n. Vor allem in den Kommunen, die kein umfassende­s ÖPNV-Angebot haben. Denn viele Kunden sind nicht bereit, für ein Paar Socken stundenlan­g mit dem Bus zu fahren, wenn man die Socken mit einem Klick im Internet bestellen kann. Man kann nicht immer nur den Umweltgeda­nken nach vorne schieben und darauf verweisen, dass Autos die Luft verpesten. Wir müssen auch auf die Bedürfniss­e der Menschen eingehen und ein attraktive­s Einkaufser­lebnis schaffen. Dazu gehören neben guter Erreichbar­keit und Parkraum auch Sauberkeit und gastronomi­sche Angebote.

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RP-FOTO: MARKUS BALSER Blick auf die Kaßstraße im zweiten Corona-Lockdown. Der Einzelhand­el hat es im Moment nicht leicht.
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FOTO: REICHWEIN Doris Lewitzky

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