Rheinische Post - Geldern an Kevelaer
Anklage wegen sexuellen Missbrauchs in 275 Fällen in Kleve
KLEVE Ein Angeklagter, der sich so gewählt ausdrückt wie der 46-jährige Mann aus Kleve, gegen den am Dienstagvormittag der Prozess unter anderem wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in 275 Fällen eröffnet wurde, ist vor dem Landgericht Kleve eine Seltenheit. Die Anwesenden sprach er mit „Hohes Gericht“an, den Vorsitzenden Richter mit „Euer Ehren“. Ohnehin gab sich der türkische Staatsbürger bemerkenswert redselig – und schuldbewusst. Die Anklage der Staatsanwaltschaft entspräche der Realität, die Taten räume er ein. „Das, was mit meinen Kindern passiert ist, wünsche ich niemandem – nicht einmal meinen schärfsten Feinden“, sagte der Mann.
Der dreifache Vater soll von Februar 2014 bis Mai 2019 seine älteste Tochter in mindestens 273 Fällen sexuell missbraucht haben. Beim ersten Übergriff soll das Mädchen gerade einmal sechs Jahre alt gewesen sein. Zudem soll der Mann einen Tathergang gefilmt haben. Darüber hinaus soll er im Mai 2017 seine andere, damals ebenfalls sechsjährige Tochter zweimal sexuell missbraucht haben. Im Mai 2019 wurde der Unternehmer in seinen Geschäftsräumen in Oberhausen festgenommen, nachdem die Mutter der Kinder Anzeige erstattet hatte.
Bei der Durchsuchung wurden auf dem Laptop des Angeklagten zudem kinder- und jugendpornografische Bilder und Videos sichergestellt. Neben seinem Bett fanden die Beamten ein verbotenes Butterflymesser.
Vor Gericht bezeichnete der Beschuldigte seinen eigenen Lebensweg als einen „voller Leid und Qual.“Die ersten Lebensjahre habe er in einer Pflegefamilie in Süddeutschland verbracht, ehe er zurück in die Obhut seiner biologischen Eltern kam. „Mein Vater war ein Tyrann, der uns Kinder missbraucht hat“, sagte der 46-Jährige. Mit der Familie sei er als Jugendlicher zurück in die Türkei gegangen, wo er jedoch als „Deutsch-Türke“beschimpft und ausgegrenzt worden sei. Für eine Verflossene sei er dann einige Jahre später zurück nach Deutschland gekommen. Doch in der Liebe hatte er offenkundig nur wenig Glück. So hätten Partnerinnen ihn etwa betrogen oder nicht geliebt. Zudem stürzte sich der Mann eigenen Angaben zu Folge in immer neue Berufe, Aus- und Weiterbildungen, zwischenzeitlich sei er spielsüchtig
Angeklagter gewesen. „Ich bin immer wieder gefallen, kämpfte mich danach aber auch immer wieder hoch“, sagte der Beschuldigte.
Mit den Geburten seiner Kinder sei das Verhältnis zu seiner Lebensgefährtin zunehmend erkaltet. 2014 dann kam es zum ersten Übergriff. „Anfangs waren es nur Kuscheleinheiten, doch es geriet irgendwann außer Kontrolle“, sagte der Mann, während er mit den Tränen kämpfte. Seinen Töchtern habe er sich immer dann unsittlich genähert, wenn die Mutter auf Konzerten oder auf Reisen gewesen sei. Der Anklage nach habe er seine älteste Tochter bis zu seiner Verhaftung beinahe im Wochenrhythmus missbraucht.
Die kinderpornografischen Schriften habe er jedoch nicht etwa für sich selbst besessen. „Ich habe im Internet nach Pädophilie recherchiert. Da stieß ich auf die Videos. Ich habe die Internet-Adressen dann anonym an die Polizei weitergeleitet“, sagte der Angeklagte.
Am Tag seiner Festnahme habe er sich mit einem Teppichmesser das Leben nehmen wollen, ehe die Polizei ihn in Gewahrsam nahm. Ein Akt der Selbstjustiz sei das gewesen, so erklärte sich der 46-Jährige. Doch der Versuch scheiterte, der Mann überlebte, nun sitzt er in Kleve auf der Anklagebank. Am kommenden Freitag wird der Prozess fortgesetzt.
„Anfangs waren es nur Kuscheleinheiten, doch es geriet außer Kontrolle“