Rheinische Post - Geldern an Kevelaer
Tricks für mehr Erfolg im Online-Shop
Das Start-up „Bounce Experts“von Torsten Zühlsdorff aus Geldern soll Webseiten-Betreibern dabei helfen, weniger Kunden zu verlieren. Für seine Idee hat der 37-Jährige im vergangenen Jahr das NRW-Gründerstipendium bekommen.
GELDERN Eine schwarze Hose soll es sein. Doch wie genau sie aussehen soll? Das steht noch nicht fest. Der Nutzer tippt den Suchbegriff bei Google ein und schaut, was ihm vorgeschlagen wird. Dann klickt er auf die erste Seite. Er scrollt ein bisschen, nur ein paar Sekunden, aber nein – hier ist noch nicht das Richtige dabei. Also wird er angeklickt – der Zurück-Button, der den Nutzer wieder zu den Google-Suchergebnissen und weg von dem Online-Shop führt. So geht das weiter, ein Shop nach dem anderen. Weil der Nutzer nicht sofort finden kann, was er sucht.
„Bounce“nennt man diesen Klick auf den Zurück-Button auch, was ungefähr so viel wie „Absprung“bedeutet. Für den Nutzer ein normaler Vorgang: Wird seine Erwartung auf einer Seite nicht erfüllt, dann sucht er eben woanders weiter. Für den
„Ich bin schon immer ein typisches ,Keller-Kind’ gewesen“Torsten Zühlsdorff „Bounce Experts“
Betreiber des Online-Shops aber ist genau dieser eine Klick ein Problem: Etwa die Hälfte der potenziellen Kunden, sagt Torsten Zühlsdorff, würde auf diese Weise für den Betreiber der Seite verloren gehen – weil sie sofort wieder „abspringen“, bevor es auch nur ansatzweise zu einem Kauf kommen konnte. Und das, obwohl der Shop vielleicht sogar eine große Auswahl an schwarzen Hosen gehabt hätte.
Das Start-up „Bounce Experts”, mit dem der Entwickler Torsten Zühlsdorff im November nach Geldern gezogen ist, soll genau dieses Problem der Internetseiten-Betreiber lösen. Die Idee: Besucht ein Nutzer eine Seite und klickt auf den Zurück-Button, landet er nicht sofort wieder bei den Google-Ergebnissen, sondern zunächst einmal auf einer sogenannten „2te Chance Seite“mit einer Reihe von Produktvorschlägen, die durch künstliche Intelligenz gestützt werden. Im Falle der schwarzen Hose könnte das eine Art Übersichtsseite sein: Hat die Farbe nicht ganz gepasst? Die Form? Die Größe? Der Preis?
Durch diese „zweite Chance“soll laut Zühlsdorff die Absprungrate der Seite verringert werden – gerade bei Anzeigen auf Google, für die der Betreiber viel Geld bezahlt hat, sei das wichtig. Bei Job-Portalen könnten so etwa weitere Angebote in anderen Städten angezeigt werden, bei Internetseiten mit Hotels eine erweiterte Suche mit zusätzlichen Kriterien
wie „Mitnahme von Haustieren erlaubt“und bei Online-Shops zum Beispiel ein bestimmtes Rabatt-Angebot. Überzeugt all das den Nutzer nicht und er klickt trotz allem erneut auf den Zurück-Button, so landet er wieder bei den Google-Suchergebnissen. Ein Spam-Schutz soll dabei laut Zühlsdorff dafür sorgen, dass der Nutzer bei einem weiteren Besuch der Internetseite in den nächsten Stunden, Wochen oder Monaten kein weiteres Mal umgeleitet – und so beim Online-Shopping auf Dauer nicht zu sehr genervt wird.
Torsten Zühlsdorff ist 37 Jahre alt und kommt ursprünglich aus Mecklenburg-Vorpommern. Das Internet ist alles andere als Neuland für ihn: Er sei schon immer ein typisches „Keller-Kind“gewesen, sagt er und lacht. Bereits mit 13 Jahren habe er mit dem Programmieren angefangen: Er habe damals gerne Computer gespielt und sei davon überzeugt gewesen, bessere Spiele programmieren zu können als all diejenigen, die schon auf dem Markt waren. Zühlsdorff fing daraufhin an, selbst Rollenspiele und Weltraumspiele zu entwickeln – und kam schon nach kurzer Zeit zu zwei Erkenntnissen. Erstens: Dass seine Spiele nicht im Ansatz so gut wurden, wie erwartet („Sie waren totaler Schrott“). Und zweitens: Dass das Programmieren an sich ihm aber definitiv lag. Zühlsdorff wechselte also von Computerspielen zu Internetseiten. Und blieb seitdem dabei.
2004 zog Zühlsdorff dann das erste Mal nach Geldern. Seine Freundin wohnte dort, und damit er bleiben und sich eine eigene Wohnung leisten konnte, musste er sich eine Ausbildung in der Nähe suchen. So kam er im selben Jahr zu der Firma „Clicktivities“in Düsseldorf, bei der er drei Jahre später seinen Abschluss als Fachinformatiker in Anwendungsentwicklung machte. In den folgenden Jahren arbeitete Zühlsdorff als Entwickler bei verschiedenen Unternehmen, zog zwischenzeitlich nach Mönchengladbach. Immer mit dabei: Der Traum von der Selbstständigkeit, für dessen Erfüllung er bereits Buchhaltungskurse an der Volkshochschule belegte. Er wollte frei sein von Hierarchien und festen Arbeitszeiten und gleichzeitig mehr Zeit für seine Kinder – heute zwei und sechs Jahre alt – haben. Als er und die Firma, für die er im Jahr 2019 arbeitete, sich trennten, bewarb er sich erst noch bei anderen Unternehmen und beschloss dann doch, es mit seinem alten Wunsch einmal zu probieren. „Irgendwann muss man es wagen“, sagt er.
Von Juni bis Dezember 2019 besuchte Zühlsdorff darum so viele Netzwerk-Events wie möglich, holte sich Feedback zu seiner Idee ein und fragte Investoren – anstatt sie um Geld zu bitten – auf Veranstaltungen, „wie man sie denn glücklich machen“könne. Im April 2020 gründete er schließlich mit 5000 Euro Startkapital „Bounce Experts“. Er ließ die Firma beim Amtsgericht in Mönchengladbach eintragen, geplant war das Unternehmen von Anfang an ganz ohne Büros und festen Standort. Er habe aktuell ein Kernteam von sieben Freiberuflern, sagt Zühlsdorff, die von zuhause aus für ihn arbeiteten. Ob in Köln, Österreich oder den Niederlanden.
Mit seiner Idee des „Bounce Managements“bewarb sich Zühlsdorff 2020 für das NRW-Gründerstipendium. Er bekam die Förderung. In der Jury saß Hanns Tappen, Initiator und Gründungsvorsitzender des unabhängigen Gründernetzwerks „StartupDorf“. Tappen sagt, ihm habe an der Idee vor allem gefallen, dass sie im täglichen Leben einsetzbar sei und ein tatsächliches Problem von Webseiten-Betreibern löse. Seit der Entscheidung, „Bounce Experts“mit dem Gründerstipendium zu unterstützen, ist Tappen Zühlsdorffs Coach – eine Förderung,
die in dem Programm enthalten ist. Alle paar Monate tauschen sich die beiden aus: Was sind die momentanen Herausforderungen? Wie kann Tappen Zühlsdorff gerade am meisten helfen? Und wie hat die Pandemie das Start-up gezwungen, sich auf neue Zielgruppen einzustellen?
Denn auch Zühlsdorff traf das Virus direkt zum Start seines Unternehmens hart. Alle großen Verträge, die er vorbereitet hatte, seien storniert worden – sein größter Kunde insolvent gegangen. Gleich zu Beginn habe so erst einmal Geld in der Kasse gefehlt. Zühlsdorff machte trotzdem weiter. Seit November lebt er mit seiner Familie wieder in Geldern, seine Technik sei mittlerweile auf etwas über 100 verschiedenen Internetseiten im Einsatz, die mal eine Reichweite von ein paar Hundert und mal von ein paar Hunderttausend Besuchern am Tag hätten.
Und jetzt? Wie soll es laut Zühlsdorff weitergehen? Unambitioniert kann man ihn jedenfalls nicht nennen. Er wolle aus seinem Start-up ein so genanntes „Einhorn“machen, sagt er – ein Unternehmen mit einem Marktwert von über einer Milliarde US-Dollar. Ob das möglich ist? Das wisse er nicht. „Aber die Leute hören dir gleich viel mehr zu, wenn du das sagst.“