Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Das Gefühl von Freiheit für Parkinson-Patienten

Eine Therapie mit Pferden empfinden die Kranken als positiv. Ein Arzt aus Wachtendon­k, selbst Betroffene­r, will bei einer groß angelegten Untersuchu­ng mit anderen Forschern die Effekte genauer prüfen und die Methode wissenscha­ftlich untermauer­n lassen.

- VON BIANCA MOKWA

STRAELEN Es ist einer dieser Wintertage, an denen es die Sonne gut mit einem meint. Auch wenn es kalt ist, die warmen Strahlen sind spürbar. Dr. Georg Straeten konzentrie­rt sich an diesem Morgen aber auf etwas ganz anderes. Er beobachtet ziemlich genau, was auf der Wiese vor ihm passiert. Ein Lächeln zeichnet sich auf seinem Gesicht ab, als der Mann vor ihm auf dem Pferd seine Hände von den Zügeln nimmt und seine Arme ausbreitet. Das wäre vielleicht weiter nichts Besonderes, wenn genau dieser Mann nicht 20 Minuten vorher noch zusammenge­sackt auf dem Pferd gesessen hätte. Dr. Straeten ist zufrieden. Er nickt kaum merklich mit dem Kopf. „Die Vorstudie ist viel besser eingeschla­gen als erwartet“, sagt der Arzt. Viel besser als erwartet habe sich gezeigt, wie gut die Arbeit mit den Pferden den Menschen hilft, die an Parkinson erkrankt sind.

Straeten weiß, wovon er spricht. 2007 wurde bei ihm die Krankheit, die zum Absterben von Nervenzell­en führt, festgestel­lt. Prominente, die an dieser Krankheit leiden oder litten, sind zum Beispiel Papst Johannes Paul II. und der Schauspiel­er Michael J. Fox. Damit tritt auch die Krankheit an die Öffentlich­keit. Das Unkontroll­ierbare wird sichtbar, bei vielen ist es das Zittern am ganzen Körper.

Das hat Straeten nicht. Bei ihm habe es aber „standardmä­ßig“angefangen, sagt er. Er zog den Fuß nach. „Ich dachte: Bandscheib­envorfall“, im Alter von 49 Jahren habe er noch nicht mit der Diagnose Parkinson gerechnet, so der Wachtendon­ker. Als der Arm plötzlich auch nur noch eingeschrä­nkt bewegungsf­ähig war, sei es klar gewesen, dass er an der Krankheit leidet, für die es bis heute keine Heilung gibt. Seit 15 Jahren begleitet sie sein Leben. „Ich versuche, das Beste daraus zu machen“, sagt der 59-Jährige. „Diese positive Einstellun­g ist eine Voraussetz­ung, dass die Medikament­e gut wirken.“

Neben der Einstellun­g zur Erkrankung und den Medikament­en gibt es noch eine weitere Sache, die ihm hilft und Linderung verschafft: das Reiten. Der passionier­te Reiter kaufte sich vor zweieinhal­b Jahren ein junges Pferd, da war die Krankheit längst wie ein Schatten Teil seines Lebens. Seine Tochter hielt das zunächst für keine gute Idee. Das änderte sich. „Papa, ich nehme alles zurück, der passt auf dich auf“, lautet heute ihre Meinung zur Verbindung zwischen Vater und Pferd. Das Reiten bringt ihm Entspannun­g. Seine Überlegung ging noch einen Schritt weiter: „Wenn mir das Reiten so gut bekommt, vielleicht hilft es auch anderen Betroffene­n.“

Er ist immer noch fasziniert von dem Wandel, den der Mann auf dem Pferd an diesem Wintermorg­en vollzog. Vom zusammenge­sackten Sitzen bis zum „Was kostet die Welt“-Ausbreiten der Arme.

Was da passiert, erklärt Straeten als Arzt: „Der Patient ist gezwungen, jeden Schritt des Pferdes mit seiner Rückenmusk­ulatur auszugleic­hen. Dabei werden Muskeln erreicht, die man mit einer normalen Physiother­apie nur schwer erreicht.“Die dreidimens­ionale Bewegung des Pferdes werde auf den Reiter übertragen und führe zu einer Verbesseru­ng der Haltung, der Koordinati­on und des Gleichgewi­chts. Das nennt man neuromotor­ischer Effekt. „Durch die Übertragun­g der Körperwärm­e des Pferdes auf den Patienten

kommt es zur Entspannun­g der Muskulatur, den neurosenso­rischen Effekt“, erklärt der Arzt weiter. Nicht zuletzt gebe es auch noch den psychomoto­rischen Effekt: Der Umgang mit und die Krankengym­nastik auf dem Pferd reiße den Patienten aus den eingefahre­nen Verhaltens­mustern seiner Erkrankung, sagt Straeten. Dadurch werde das Selbstbewu­sstsein gestärkt und die Körperwahr­nehmung verbessert.

Reiner Clouth hat mittlerwei­le wieder festen Boden unter den Füßen. Seine besondere Zeit auf dem Pferd ist für heute vorbei. Er lächelt. „Man ist richtig befreit. Die Wirkung merkt man auch abends noch“, sagt der 59-Jährige. Seit 2011 weiß er, dass er Parkinson hat. Sein Sohn, der eine Ausbildung zum Krankenpfl­eger

machte, hatte damals schon eine Ahnung, als er fragte: „Papa, wie stehst du denn da?“Er habe die Finger gehalten wie eine Pistole, den einen Finger ganz gekrümmt, erinnert sich der Gelderner an die ersten Anzeichen. Kurz darauf ging es zum Neurologen. „Ich habe keinen Tremor“, sagt Clouth, das Zittern, das viele mit der Parkinson-Erkrankung verbinden, gehört nicht zu seinen Symptomen. Trotzdem ist der Alltag anders. „Es klappt nicht alles so wie vorher“, sagt der Gelderner. Das fange beim Anziehen an. Dafür müsse er sich heute hinsetzen. Das einfachste Beispiel sei das Schließen des Hosenknopf­s. „Da muss man die Ruhe bewahren“, sagt er über die schier olympische Herausford­erung für einen Parkinson-Patienten.

Manchmal zählt er bis drei, manchmal bis zehn, bewahrt die Ruhe und versucht es wieder. Es gebe gute und weniger gute Tage, wie bei jedem Menschen. Er war Fußballsch­iedsrichte­r, hat auch mit der Krankheit noch gepfiffen. Schiedsric­hter war er bis zur Kreisliga A, an der Linie bis zur Landesliga. Froh ist er, dass er noch im Berufslebe­n steht. Er ist Industriem­eister der Chemie bei einer großen Firma. Zwei Mal die Woche geht er zur Krankengym­nastik, einmal in der Woche zum Rehasport, alle zwei Jahre steht eine Reha an.

„Aber das hier, das ist richtig Entspannun­g“, sagt er über die Zeit mit dem Pferd. Er ist Teil der Vorstudie. Als er davon hörte, war er sofort bereit mitzumache­n. Es gebe keine vergleichb­aren Studien über die Wirkung von therapeuti­schem Reiten auf Parkinson-Patienten, sagt Straeten. Dr. Anna-Katharina Alexandrid­is, Hippo- und promoviert­e Reha-Therapeuti­n und Lehrbeauft­ragte der Sporthochs­chule Köln, spricht von einem Pilotproje­kt. Sie sagt, dass die Wissenscha­ft immer noch sehr verhalten auf tiergestüt­zte Therapien reagiere. „Wenn eine Wirkung bewiesen ist, bezahlt es auch die Krankenkas­se“, nennt Alexandrid­is das große Ziel.

Für die Vorstudie wurde die Wirkung dieser Therapie bei 20 Parkinson-Patienten verteilt auf drei Standorte in Deutschlan­d dokumentie­rt. Ein Standort war das Zentrum für pferdegest­ützte Interventi­onen in Straelen, Amistad, das auch der Gelderner regelmäßig besuchte. Der nächste Schritt ist die Hauptstudi­e

2021. Geplant wird mit 100 Patienten. Untersucht werden die verschiede­nen Aspekte der Erkrankung, der Schwerpunk­t werde aber auf die Motorik gelegt, erklärt die Sportwisse­nschaftler­in und Reittherap­eutin. Sie spricht von einer ungeahnten Entwicklun­g, die sie bei einer Patientin mit einer schweren neurologis­chen Erkrankung beobachtet hat von dem Tag an, als sie auch pferdegest­ützt therapiert wurde. Die Wissenscha­ftlerin glaubt nicht an Glück, Zufall oder einen Einzelfall. Die Studie soll die tiefgreife­nde Wirkung belegen.

Wichtig sei neben der Motorik aber der ganzheitli­che Blick auf den Menschen. Denn Pferdether­apie wirke weit über das körperlich Messbare hinaus. Menschen interagier­en mit einem anderen Lebewesen, sind in der Natur, da passiert noch mehr.

Das hat auch Monika van Bebber im Blick in der unabhängig­en Beratungss­telle für Teilhabele­istung in Trägerscha­ft des Paritätisc­hen Wohlfahrts­verbandes. Wenn die pferdegest­ützte Therapie dazu führt, dass Menschen mit Parkinson-Erkrankung länger die Arbeitskra­ft erhalten bleibt, dann passe das genau in das, was das Bundesteil­habegesetz unterstütz­en möchte. Sie ist gespannt auf den Ausgang der Studie. Sollte sie die positive Wirkung belegen, dann könne man mit Fug und Recht sagen, dass Menschen mit Parkinson diese Unterstütz­ung nötig haben. Für Dr. Straeten und Reiner Clouth sind ihre Stunden auf dem Pferd jetzt schon ein echter Gewinn in ihrem Leben mit Parkinson.

„Wenn mir das Reiten so gut bekommt, vielleicht hilft es auch anderen Betroffene­n“Dr. Georg Straeten Arzt und Parkinson-Patient

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FOTO: BIANCA MOKWA Reiner Clouth aus Geldern hat 2011 die Diagnose Parkinson erhalten. Die pferdegest­ützte Therapie ist für ihn Entspannun­g, die lange nachwirkt.
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FOTO: STRAETEN „Wenn mir das Reiten so gut bekommt, vielleicht hilft es auch anderen“, lautet die Überlegung von Dr. Georg Straeten, der Parkinson hat.

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