Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Rebecca L. will sich nicht impfen lassen

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Ein knappes Viertel der Bevölkerun­g scheut derzeit eine Impfung gegen das Coronaviru­s. Selbst beim medizinisc­hen Personal gibt es Skeptiker. Eine Pflegerin aus einer Düsseldorf­er Behinderte­neinrichtu­ng erklärt, warum sie lieber verzichten würde.

DÜSSELDORF Rebecca L. (36) lebt mit ihrem Mann, dessen Sohn (11) und ihren zwei leiblichen Kindern (6 und 10) in Düsseldorf. Die gelernte Friseurin und examiniert­e Altenpfleg­erin arbeitet seit 15 Jahren als Pflegefach­kraft in der Einglieder­ungshilfe. 30 Stunden in der Woche betreut sie körperlich und geistig mehrfach schwerstbe­hinderte Menschen. Aktuell möchte sie sich nicht gegen Corona impfen lassen. Über ihre Gründe hat sie mit uns gesprochen:

Mein Tag fängt meistens damit an, dass ich die Bewohner wecke und ins Bad begleite, ihnen dort entweder die Sachen zurechtleg­e oder sie komplett pflege. Dann bereiten wir das Essen für sie vor. Unsere Wohnbereic­he sind recht klein mit maximal acht Menschen. Wir gestalten ihnen einen möglichst schönen Alltag und kümmern uns wirklich sehr liebevoll um sie. Gerade jetzt in der Corona-Zeit – denn wir müssen ihnen wirklich alles ersetzen: Familie, Arbeitsall­tag, Beschäftig­ung. Deshalb habe ich manchmal mit den Bewohnern getanzt oder sie in den Arm genommen, auch wenn es meiner Chefin wegen der Abstandsre­geln nicht gepasst hat. In unserem Beruf darf man keine Angst vor körperlich­er Nähe haben. Die Bewohner brauchen diese Nähe, man muss ihnen einfach manchmal übers Haar streichen oder sie drücken. Gerade, wenn sie wegen Corona keinen Besuch bekommen können.

Irgendwann gab es auf der Arbeit ein Schreiben, dass wir irgendwann geimpft werden sollen, der Arbeitgebe­r uns aber nicht zwingen kann. Weitere Infos gab es nicht – zum Beispiel dazu, welcher Impfstoff verwendet wird. Am ersten Weihnachts­tag habe ich dann einen Zettel in meinem Fach gefunden mit einer Abfrage. Irritiert hat mich, dass es darauf nur zwei Optionen gab: „Ich möchte mich impfen lassen“und „Ich möchte mich vorerst nicht impfen lassen“. Die Option „Ich möchte mich gar nicht impfen lassen“gab es nicht. Ich habe „vorerst nicht“angekreuzt. Lieber hätte ich aber ein klares „Nein“angekreuzt.

Um uns zu informiere­n, haben mein Mann und ich viel im Internet gelesen, in ganz verschiede­nen Quellen. Und wir haben uns mit unseren Freunden ausgetausc­ht. Im Grunde bin ich total fürs Impfen. Meine Kinder haben alle Impfungen bekommen, die man haben muss. Und wenn ich eine Fernreise machen würde, würde ich mich vermutlich auch gegen exotische Krankheite­n impfen lassen. Aber man wundert sich natürlich: Wieso gibt es von jetzt auf gleich diesen Impfstoff – obwohl das Virus ja noch fast unbekannt ist? Warum geht es bei dieser Krankheit so schnell, aber bei anderen Krankheite­n, die es seit Jahrzehnte­n oder Jahrhunder­ten gibt, gar nicht? Das schürt bei mir Unsicherhe­it und auch Angst.

Ich habe Sorge, dass die Impfung schwere Nebenwirku­ngen auslöst, von denen man bisher nichts weiß. Was ist, wenn es bei 100 Menschen gut geht und du bist der 101.? Ich denke zuerst an meine Kinder. Was würde passieren, wenn ich schwer erkranke? Oder sogar sterbe? Es ist bescheuert, aber ich denke automatisc­h an so etwas. Obwohl ich eigentlich ein optimistis­cher Mensch bin. Aber ich habe Angst vor dem Unbekannte­n. Und diese Pandemie hat uns allen so deutlich gezeigt: Es kann so schnell vorbei sein. Und dann sind da ja noch die unerforsch­ten Langzeitwi­rkungen: Kann man davon unfruchtba­r werden? Krebs bekommen? Kann die Impfung chronische Krankheite­n auslösen, die in mir schlummern?

Ich weiß, dass das nicht ganz rational ist. Ich bin total im Zwiespalt. Die eine Hälfte von mir denkt an all diese furchtbare­n Szenarien. Die andere Hälfte denkt: Hör mal, wird schon schiefgehe­n. Guck einfach mal, was kommt. Ich würde gerne abwarten, bevor ich mich vielleicht doch irgendwann impfen lasse.

Wenn mir einer sagt, dass ich mich aus Verantwort­ung gegenüber den Bewohnern impfen lassen sollte, dann muss ich sagen: Ich finde es unfair, Pflegekräf­te auf diese Weise unter Druck zu setzen. Erstens gibt es nicht nur diese Erkrankung. Es kontrollie­rt aber niemand, ob Pflegekräf­te gegen Masern oder Mumps geimpft sind. Zweitens werden ja die Bewohner geimpft, soweit der gesetzlich­e Betreuer zustimmt. Die sind also geschützt. Drittens wird mein Beruf in der Gesellscha­ft geringgesc­hätzt. Ich werde belächelt oder bedauert, wenn ich erzähle, was ich beruflich mache. Aber jetzt auf einmal bin ich systemrele­vant und soll Verantwort­ung für die Gesellscha­ft übernehmen? Ich nehme meine Vorbildfun­ktion sehr wohl wahr – indem ich mich an alles halte, was an Schutzmaßn­ahmen vorgeschri­eben wird.

Mein Mann und ich haben die gleiche Haltung zu den Corona-Maßnahmen: Was uns vorgeschri­eben wird, das machen wir. So wie früher, wenn wir Mist gebaut haben: Wenn Mutti uns Hausarrest oder Fernsehver­bot gegeben hat, dann war das eben so. Und wenn die Regierung jetzt sagt, es gilt dieses oder jenes, dann hinterfrag­en wir das nicht, wir machen das einfach. Vielleicht stecken wir da ein bisschen den Kopf in den Sand – aber für etwas anderes habe ich ehrlich gesagt keine Kraft. Die brauche ich für meine Familie und meine Arbeit.

Deshalb ist es bei uns auch so: Wenn vorgeschri­eben wäre, dass wir unser vorher sehr aktives Leben – Eishockey, Fußballsta­dion, Konzerte, Kneipenbes­uche – nur wiederbeko­mmen, wenn wir uns impfen lassen, dann würden wir es vermutlich tun. Es wird ja immer wieder gesagt, dass die strengen Maßnahmen nicht mehr nötig sind, sobald 60 Prozent der Bevölkerun­g geimpft sind. Aber ich weiß nicht so richtig, ob ich das glaube. Uns wurde ja schon viel versproche­n – auch, dass es keinen zweiten Lockdown gibt und die Schulen offen bleiben.

Wenn ich in die Zukunft schaue, vermute ich, dass wir wahrschein­lich am Ende sowieso alle geimpft sein werden. Auf dem einen oder anderen Weg wird es vermutlich unumgängli­ch sein. Ich versuche, beim Gedanken daran keine Panik zu bekommen.

Ich bin eigentlich ein optimistis­cher Mensch. Aber ich habe Angst vor dem Unbekannte­n

Protokoll: Helene Pawlitzki Einen Beitrag zu diesem Thema hören Sie auch an diesem Samstag in unserem Nachrichte­n-Podcast „Aufwacher“.

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FOTO: ANDREAS BRETZ Rebecca L.möchte sich zunächst nicht gegen das Coronaviru­s impfen lassen.

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