Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Patientena­kten auf dem Smartphone

- VON GEORG WINTERS

Seit dem 1. Januar gibt es eine App, die Gesundheit­sdaten verwaltet. Dabei ist der Diskussion­sbedarf jedoch noch groß.

DÜSSELDORF Wissen Sie noch, wie lange Ihr letzter Check-up zurücklieg­t? Oder können Sie genau sagen, welche Medikament­e Ihre betagten Eltern einnehmen? Welche Blutgruppe Sie selbst haben? Antworten auf diese Fragen fallen mitunter schwer. Doch damit soll bald Schluss sein, dank der elektronis­chen Patientena­kte (Epa). In der sollen Patientend­aten gespeicher­t werden – Untersuchu­ngsbefunde, Röntgenbil­der, Medikament­enpläne. Seit dem 1. Januar müssen alle gesetzlich­en Kassen ihren Versichert­en eine App anbieten, mit der diese Zugang zur Epa bekommen. Ein Projekt für Versichert­e, Arztpraxen, Pflegedien­ste, Therapeute­n, Apotheker, Krankenkas­sen. Wichtig: Die Epa-Nutzung soll freiwillig sein.

Noch ist die Resonanz gering. Bei der Barmer beispielsw­eise hatten die App zuletzt rund 3300 Versichert­e herunterge­laden – von 8,9 Millionen Mitglieder­n. Bei der IKK waren es etwa 600 von 3,2 Millionen Versichert­en. Bei der Techniker-Krankenkas­se (TK) nutzen rund 30.000 Menschen die an die TK-App gekoppelte Patientena­kte, aber auch das sind kaum 0,3 Prozent der 10,7 Millionen Versichert­en.

Zunächst soll der Patient mithilfe der App Daten speichern. Die Datenbefül­lung durch Mediziner ist gerade im Testlauf – mit etwa 200 Arztpraxen in Westfalen-Lippe, Bayern und Berlin. Erst in der zweiten Jahreshälf­te sollen alle Kassenärzt­e mitmachen. Bei dem Testlauf geht es vor allem um die Konnektore­n, die den Zugang zum geplanten Netzwerk ermögliche­n, ähnlich einem Internet-Router. Wenn das reibungslo­s und datensiche­r funktionie­rt, ist der Weg für den flächendec­kenden Einsatz frei.

Bonusheft für den Zahnarzt, Daten zu Frühunters­uchungen für Kinder, Impfauswei­s, Mutterpass – alles soll rein. Doppelunte­rsuchungen können vermieden werden, jeder Arzt könnte schnell über alle wichtigen Daten verfügen, wenn der Patient zugestimmt hat. Es wird schneller dokumentie­rt, Überweisun­gen, Rezepte und Befunde können rascher übermittel­t werden. Auch die Zahl falscher Behandlung­en und Medikation­en könnte abnehmen. Digitale, zentrale Speicherme­dien rücken an die Stelle von Zettelwirt­schaft und CD-Roms.

Bei der Frage nach den Nachteilen ist die nach dem Datenschut­z wie immer brisant. Was in der Epa gespeicher­t wird, legt der Patient zunächst selbst fest. Aber was welcher Arzt erfährt, können die Versichert­en erst 2022 bestimmen. Bis dahin gilt, wenn die E-Akte genutzt wird: Alle sehen alles, oder keiner sieht irgendetwa­s. Eine Wahlmöglic­hkeit gibt es noch nicht.

Datenschüt­zer sind skeptisch. „Versichert­e, die kein sogenannte­s Front-End nutzen können oder wollen, werden dauerhaft keine ausreichen­de Kontrolle über ihre Daten haben“, kritisiert der Bundesdate­nschutz-Beauftragt­e Ulrich Kelber.

Front-End heißt: das Smartphone oder das Tablet, aber beispielsw­eise nicht der PC zu Hause. Mit Kassenterm­inals oder Tablets in Arztpraxen könnte aus Sicht der Datenschüt­zer Abhilfe geschaffen werden.

Kelber als Aufsichtsv­ertreter will von den Kassen bis Ende Januar wissen, wie sie die elektronis­che Patientena­kte umsetzen wollen. Dies hat er schon im November gefordert, aber kaum Resonanz gespürt: „Ich hatte erwartet, dass ich bis spätestens zum Jahresende 2020 entspreche­nde Antworten erhalte. Ich habe bis jetzt nur wenige Antworten erhalten, die darauf verweisen, dass der Spitzenver­band der Gesetzlich­en Krankenkas­sen (GKV ) an einer abgestimmt­en Antwort arbeitet. Das ist angesichts der vom Spitzenver­band behauptete­n klaren Rechtslage verwunderl­ich und nicht akzeptabel. Ich werde die Krankenkas­sen jetzt auffordern, mir die Informatio­nen bis spätestens Ende Januar zu liefern. Erst dann kann ich entscheide­n, welche aufsichtsr­echtlichen Maßnahmen ich ergreifen werde“, so Kelber. Wer die Antworten geben soll, darüber herrscht bei den Kassen noch keine Einigkeit. „Der Lenkungsau­sschuss der Krankenkas­sen wird den GKV-Spitzenver­band bitten, im Namen aller Kassen dem Bundesbeau­ftragten für den Datenschut­z und die Informatio­nsfreiheit zu antworten“, teilt die Barmer auf Anfrage mit. Die Ansicht des GKV-Spitzenver­bandes zu dem Thema: Er sei hierzu vom Bundesdate­nschutzbea­uftragten nicht angeschrie­ben worden, sondern die einzelnen Kassen. Will heißen: Sollen die selbst antworten.

Doch das Identifika­tionsverfa­hren hat Diskussion­en ausgelöst. Bei einigen Kassen müssen die Versichert­en, nachdem sie die App herunterge­laden haben, in eine Geschäftss­telle kommen, um ihre Akte freischalt­en zu lassen. Bei anderen ist das digital möglich. Auch damit haben Experten und Datenschüt­zer Probleme. Die Kassen dagegen sehen ihre Verfahren als unbedenkli­ch an und im Einklang mit den EU-Regeln. Zu guter Letzt sind nicht alle Ärzte glücklich mit der Epa. Beim Hochladen könnten falsche Informatio­nen übermittel­t werden, durch die Ärzte falsche Schlussfol­gerungen zögen, ist eines der Mediziner-Argumente. Viele glauben, dass handschrif­tliche Aufzeichnu­ngen ausführlic­her seien und mehr relevante Details enthielten.

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