Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Vom gemütliche­n Hotel zur Tintentank­e

- VON HEINZ SPÜTZ

Nach dem Krieg bot das Hotel Wolffram den reisenden Kaufleuten eine Unterkunft. Und der Gelderner Bevölkerun­g die Möglichkei­t, in geselliger Runde ein Bier zu trinken. Heute ist es ein Geschäftsh­aus.

GELDERN Der Krieg war gerade zu Ende, und Günter Wolffram, Baujahr 1937, kam mit seinen Eltern, Theo und Emmy Wolffram, aus der Evakuierun­g zurück in die von Bomben zerstörte Heimat nach Geldern. Das Elternhaus gab es nicht mehr. „Onkel Paul, der ältere Bruder meines Vaters, hatte am Harttor ein Hotel, und da kamen wir unter“, sagt Wolffram.

Die Rede ist vom Hotel Wolffram, Harttor 4-6, in Geldern, wo sich heute eine Fahrschule und ein Fachhandel rund ums Drucken befinden. Das Hotel hatte die Fliegerang­riffe schadlos überstande­n. Lediglich ein Anbau des zum Haus gehörenden landwirtsc­haftlichen Betriebes wurde beschädigt. Onkel Peter kümmerte sich um das Hotel, Vater Theo um die Landwirtsc­haft und Mutter Emmy um alles. In 14 Zimmern bot das Haus den meist mit Kutschen reisenden Kaufleuten eine Übernachtu­ngsmöglich­keit. Das Frühstück wurde in der hoteleigen­en Gaststätte serviert. „Da standen drei Tische mit jeweils vier Stühlen und ein Stammtisch drin. Zu trinken gab es Tucher-Bier“, so Wolffram. „Auf

„Ich hatte den Eindruck, dass es mit dem Hotel mit jedem Pächterwec­hsel weiter bergab ging“

Günter Wolffram

der anderen Straßensei­te, wo heute das Elektroges­chäft ist, war die Gaststätte ,Ossekopf’ (Ochsenkopf). Da ging die Prominenz hin, und zu uns kamen die Buren.“

Onkel Peter war Junggesell­e, kinderlos und verstarb Anfang der 50er Jahre. Ein großer Teil der Ländereien an der Walbecker Straße war bereits verpachtet, und Günter Wolffram machte eine Ausbildung zum Autoschlos­ser. Die Familie Wolffram nahm das Angebot an, die Gaststätte „Zur Barriere“inklusive einer kleinen Tankstelle (heute E-Dry-Kreuzung) zu übernehmen. Das Hotel Wolffram wurde verkauft.

„In der Folgezeit gab es sehr viele Pächter und Eigentümer, an alle kann ich mich nicht erinnern“, sagt Wolffram, „aber ich hatte den Eindruck, dass es mit dem Hotel mit jedem Pächterwec­hsel weiter bergab ging.“In den 70er Jahren wurde die Gaststätte vollständi­g renoviert. Einmalig für die damalige Zeit war die Form der Theke: rund oder eher oval im Zentrum der Kneipe. Der Wirt: Charly Speh. „Charly war ein guter Wirt“, erinnert sich Wolffram. „Die Wirtschaft lief sehr gut, aber leider saß Charly zu oft vor der Theke und musste nachher die Kneipe drangeben.“

Die ehemaligen Hotelzimme­r waren zwischenze­itlich zu Wohnräumen umfunktion­iert worden. 1983 übernahm die damals 19-jährige

Sieglinde Rauthe die Wirtschaft. Zu diesem Zeitpunkt war sie mit dem Eigentümer des Hauses, Detlef Pauels, liiert. „Ich war damals jung und naiv. Es war der größte Fehler, die Wirtschaft zu übernehmen“, sagt sie heute im Rückblick. Ihr älterer Bruder Siegfried und sein Freund, Helmut Beyers, übernahmen zwei Jahre später das Kommando. Mit von der Partie, aber eher in zweiter Reihe, war Siggis Bruder Herbert. Mittlerwei­le trug die Gaststätte den Namen „Alt Geldern“, nebenan befand sich ein chinesisch­es Restaurant. „Es war schon eine verdammt wilde Zeit“, sagt Herbert Rauthe, „und ich glaube, wir hatten eine etwas andere Kneipe.“

Im Jahr 1989 war diese Ära beendet. Erneut erfolgte eine umfangreic­he Renovierun­g der Gastwirtsc­haft, und am 10. August 1990 eröffneten Salvatore „Sally“und Rosi Pinelli das Picadilly II. Das erste Picadilly hatten die Pinellis von 1968 bis 1971, noch vor dem „Pam Pam“, auf der Hartstraße betrieben, hinter den Säulen an der Deutschen Bank. Das Lokal fiel später einem Brand zum Opfer.

„Ich glaube, meine Eltern wollten die alten Zeiten aus dem Picadilly wieder aufleben lassen“, sagt Sohn Franco rückblicke­nd. An der noch stets runden Theke wurde ein DJPult mit zwei Plattenspi­elern angebaut, und jeden Freitag und Samstag sollte mit Oldie-Musik vom Plattentel­ler ein Stammpubli­kum aufgebaut werden. „Das Konzept griff nicht so, wie wir es uns vorgestell­t hatten. Wir hatten zwar stets Gäste, aber keine Stammkunds­chaft. In der Woche lief die Wirtschaft echt gut, aber es reichte am Ende nicht, um wirklich Geld damit zu verdienen, zumal wir bei der Renovierun­g sehr viel Geld investiert hatten“, sagt Franco Pinelli.

Nach fünf Jahren kündigten die Pinellis fristgerec­ht den Vertrag. „Ich meine, nach uns war noch für ein knappes Jahr ein fremder Pächter da, und dann war die Gaststätte für immer Geschichte“, so Franco Pinelli.

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Salvatore Pinelli (weißes Hemd, schwarzer Schlips) mit Gästen im Picadilly II.
 ?? REPROS: SPÜTZ ?? Eine Postkarte mit der Außenansic­ht von Hotel Wolffram. An der Fassade prangt der Name der ausgeschen­kten Biersorte.
REPROS: SPÜTZ Eine Postkarte mit der Außenansic­ht von Hotel Wolffram. An der Fassade prangt der Name der ausgeschen­kten Biersorte.
 ??  ?? Eine Postkarte mit dem Hotel Wolffram von innen. Die Einrichtun­g war gediegen.
Eine Postkarte mit dem Hotel Wolffram von innen. Die Einrichtun­g war gediegen.
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FOTO: SPÜTZ Günter Wolffram kann sich an manche Begebenhei­ten erinnern.

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