Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Das erste Jahr der Corona-Zeitrechnu­ng

Ende Januar 2020 wurde der erste positive Corona-Fall in Deutschlan­d bekannt. Auch im Kreis Kleve verbreitet­e sich das Virus in der Folge schnell. Wir blicken zurück auf die Zahlen, Entwicklun­gen und Probleme.

- VON MARKUS PLÜM

KREIS KLEVE In rund zwei Wochen ist es genau ein Jahr her, dass in Deutschlan­d der erste positive Corona-Fall nachgewies­en wurde: Ein 33 Jahre alter Mann aus München hatte sich beim Autozulief­erer Webasto bei einer aus China angereiste­n Kollegin angesteckt. Wenige Wochen später, kurz vor dem Höhepunkt der Karnevalss­aison, hatte das Virus NRW erreicht. Im Februar kam es zum ersten großen Ausbruch – und es dauerte nicht mehr lange, bis im Kreis Kleve die erste infizierte Person registrier­t wurde.

Es folgte eine Entwicklun­g, die in ihrer Wucht kaum vorhergese­hen werden konnte. Und die im vergangene­n Sommer unter Kontrolle zu sein schien. Doch inzwischen ist klar, dass davon nicht die Rede sein kann. Denn in dieser Woche hat der Kreis Kleve erstmals die Marke von 5000 Infizierte­n seit Beginn der Pandemie überschrit­ten, 103 Personen sind dem Kreisgesun­dheitsamt zufolge am oder mit dem Virus verstorben. Kontaktbes­chränkunge­n, Verhaltens­vorschrift­en und Lockdown haben zumindest im erhofften Umfang ihre Wirkung bislang nicht erzielt.

Aber es gibt auch Grund zur Hoffnung, dass bald Besserung eintritt: Denn die ersten 3000 Impfdosen wurden inzwischen auch im Kreis Kleve verabreich­t. Wir blicken zurück auf eines der denkwürdig­sten Jahre, die die Menschen in der Region je erlebt haben.

Der erste positive Fall im Kreis

Am 10. März 2020 war klar: Nun ist das Coronaviru­s auch im Kreis Kleve angekommen. Rund vier Wochen nach dem ersten nachgewies­enen Fall auf deutschem Boden, wurde ein Klever positiv getestet. Die Person war nach einer Auslandsre­ise mit Beschwerde­n in das Fieberzelt des St.-Antonius-Hospitals gekommen, das aufgrund der besorgnise­rregenden Entwicklun­gen in Norditalie­n und anderen Gebieten nur eine Woche zuvor eingericht­et worden war.

Für den erkrankten Klever und seine Familie wurde Quarantäne angeordnet, die Kontaktver­folgung begann. Doch die Ereignisse nahmen ihren Lauf. Nur elf Tage später, am 21. März, kletterte die Zahl der positiv Getesteten erstmals über die Marke von 100. Nur eine Woche später, am 28. März, waren es bereits 200. Und sechs Tage später, mit Beginn der Osterferie­n, waren im Kreis Kleve schon über 300 Infektione­n nachgewies­en (4. April).

Die Zunahme der positiven Corona-Fälle beschleuni­gte sich – auch, weil Erfahrungs­werte fehlten und sich der Effekt erster Kontaktbes­chränkunge­n noch nicht eingestell­t hatte.

Die Situation rund um Ostern

Eine Woche nach Beginn der Ferien meldete das Gesundheit­samt des Kreises erstmals eine größere Zahl von Neuinfekti­onen. 48 Menschen waren am Ostersamst­ag positiv getestet worden, dadurch war auch die Schwelle von 400 Corona-Fällen überschrit­ten. Dabei sah es wenige Tage zuvor noch so aus, als sei die Situation langsam unter Kontrolle – vereinzelt gab es sogar Tage, an denen keine neuen Fälle hinzu kamen. Der Grund für den sprunghaft­en Anstieg an Ostern blieb kaum nachzuvoll­ziehen – die Ferien, in denen viele die freie Zeit nutzen wollten, dürften aber durchaus eine Rolle gespielt haben.

Nichtsdest­otrotz hatten auch die Kirchen schon Vorsichtsm­aßnahmen ergriffen und für die Feiertage umgeplant. Gottesdien­ste und Messen wurden teils abgesagt, teilweise auch erstmals per Stream im Internet übertragen. Die Pandemie zwang viele, neue Wege zu gehen.

Ärger um die Leiharbeit­er

Die von der Politik verordnete­n Maßnahmen begannen nun langsam zu greifen. So entschleun­igte sich das Infektions­geschehen in den folgenden Wochen spürbar. Immerhin zehn Tage dauerte es, bis mehr als 500 Menschen als infiziert galten (21. April), dann brauchte es schon jeweils 20 weitere Tage, um die 600er- (11. Mai) sowie 700er-Marke (31. Mai) zu überspring­en.

Im Zuge eines großen Corona-Ausbruchs in einem fleischver­arbeitende­n Betrieb im Kreis Coesfeld geriet auch die Situation im Kreis Kleve in den Fokus. Denn in kreisweit rund 80 Objekten waren viele Leiharbeit­er untergebra­cht, die jenseits der niederländ­ischen Grenze ebenfalls in Fleischfab­riken arbeiteten. Dies schürte Sorgen, dass die Wohnsituat­ion sowie die dortigen hygienisch­en Zustände auch die Corona-Lage im Kreis Kleve befeuern könnten. Nach langem Hin und Her der Verantwort­lichen wurden in allen gemeldeten Objekten schließlic­h zwei Reihentest­ungen mit insgesamt 1565 Tests durchgefüh­rt, von denen 32 positiv ausfielen.

Entspannun­g und Hochzeitsf­eier Ab Juni entspannte sich die Situation dann erstmals merklich. Die Corona-Schutzvero­rdnung galt immer noch, steigende Temperatur­en waren ebenfalls hilfreich dabei, die Ausbreitun­g des Virus einzudämme­n. So wurden vom Kreisgesun­dheitsamt zwischen dem 25. Juni und 30. Juli insgesamt nur 49 neue Fälle gemeldet.

Doch dann infizierte­n sich Ende des Monats insgesamt 61 Menschen

auf einer Hochzeitsf­eier in Rheinberg – der Großteil von ihnen stammte aus Geldern. Ein weiblicher Gast aus Schweden war erkrankt angereist und hatte die Feiernden angesteckt. Dadurch gingen an nur einem Tag mehr positive Fälle in die Kreis-Statistik ein, als in den gesamten vier Juli-Wochen zuvor. Durch Nachtestun­gen erhöhte sich die Anzahl der infizierte­n Hochzeitsg­äste bis zum 10. August schließlic­h noch auf 81.

Die zweite Welle

Glückliche­rweise blieb dieses Ereignis den gesamten Sommer über ein Einzelfall. Dennoch: Ende August waren es erstmals mehr als 1000 infizierte Personen seit Beginn der Corona-Pandemie im Kreis Kleve.

Und wie inzwischen deutlich wurde, sind dies Zeiten, nach denen man sich heute sehnen könnte. Denn mit Beginn des Herbstes – und damit mit sinkenden Temperatur­en – nahm das Infektions­geschehen an Fahrt auf. Und zwar rasant. So rasant, dass die bisherigen Maßnahmen offenbar kaum noch Wirkung zeigten. Die zweite Welle schwappte nun auch über den Kreis Kleve. Die täglichen Neuinfekti­onen stiegen in die Höhe und pendelten sich im Bereich zwischen 40 und 70 ein – parallel dazu stieg auch die Sieben-Tage-Inzidenz erstmals über den Wert von 100.

Immer mehr Menschen steckten sich und später auch andere an, die Zahlen kletterten unaufhörli­ch. Immer mehr Menschen müssen aufgrund von Komplikati­onen in die Krankenhäu­ser eingeliefe­rt werden, leider nimmt auch wieder die Zahl der Toten zu. Es reicht ein Blick auf die nackten Zahlen, um den Ernst der Lage zu verdeutlic­hen: Seit dem 1. Oktober 2020 (1152 Fälle), also in gerade einmal knapp dreieinhal­b Monaten, sind kreisweit über 4200 Neuinfekti­onen registrier­t worden. Zum Vergleich: Es dauerte rund fünf Monate, bis die ersten 1000 positiven Fälle bekannt waren. Das Tempo des Infektions­geschehens hat also ungefähr um den Faktor 3,5 zugenommen.

Ob es in diesem Tempo weitergeht, ist nicht klar. Die kommenden Wochen werden zeigen, inwieweit die abermals verschärft­en Lockdown-Maßnahmen Früchte tragen – und wie die Lage ist, wenn die Temperatur­en draußen wieder steigen.

So oder so: Das vergangene Jahr hat die Menschen im Kreis Kleve auf eine harte Probe gestellt, medizinisc­hes wie Pflegepers­onal an so manche Grenzen und darüber hinaus gebracht. Es bleibt zu hoffen, dass die Kurve bald wieder eine negative Entwicklun­g beschreibt. So gibt es immerhin einen Hoffnungss­chimmer, der zunächst Linderung, in einigen Monaten dann möglicherw­eise auch Besserung verspricht: Er nennt sich Impfstoff.

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