Rheinische Post - Geldern an Kevelaer
Homeoffice hat ein Geschlecht
Corona wirft den Kampf um Gleichberechtigung um Jahre zurück, sagt Soziologin Jutta Allmendinger. Im Lockdown übernehmen vor allem Frauen in Teilzeit die enorme Mehrfachbelastung aus Kinderbetreuung und Job.
Eines der Felder, auf dem die Regierung versucht, die Pandemie in den Griff zu bekommen, ist das Arbeiten daheim. Diskutiert wird das auch jetzt wieder mit Blick auf Ansteckungspotenziale im Büro und Nahverkehr – das Arbeiten im Homeoffice soll ausgeweitet werden. Dabei wirken gerade solche Corona-Maßnahmen auch darauf, wie Männer und Frauen in Deutschland zusammenleben und in welchen Rollen sie sich nach der Pandemie wiederfinden. Schon zu Beginn der Krise hat die Soziologin Jutta Allmendinger, Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung, prophezeit, dass Corona den Kampf um mehr Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern um 30 Jahre zurückwerfe. Das hat auch mit dem Homeoffice zu tun.
Denn die Zahl weiblicher Beschäftigter in Teilzeit steigt. 1991 hatten 30,2 Prozent der erwerbstätigen Frauen reduzierte Stellen, heute sind es 46 Prozent. Die Teilzeitquote der Männer liegt dagegen nur bei 11,1 Prozent. Wenn dann im Lockdown daheim auch noch Kinder zu betreuen sind, arbeiten die Männer mit ihren vollen Stellen oft ungestört im Keller, während die Frauen ihren Arbeitsplatz in der Küche aufschlagen – um Homeschooling und Haushalt nebenher noch mitzuerledigen.
„Homeoffice hat ein Geschlecht“, sagt Allmendinger. Der Staat habe während der Pandemie die Kitas und Schulen ja nur deswegen kurzfristig schließen können, weil so viele Frauen in Teilzeit die enorme Mehrfachbelastung aus Kinderbetreuung, Familienmanagement und Job übernehmen. „Frauen sind das Opfer der Corona-Maßnahmen“, sagt Allmendinger. „Denn natürlich kümmern sich Mütter um ihre Kinder, stellen eher ihre Arbeit zur Disposition, als dass sie das Wohl ihrer Familie riskieren. Das wird in der Pandemie ausgenutzt und nicht hinterfragt.“
Frauen stecken zurück bei ihren beruflichen Ambitionen und der Arbeitszeit: Mitte des 20. Jahrhunderts, als im Vergleich zu heute deutlich weniger Frauen erwerbstätig waren, lag ihre wöchentliche Arbeitszeit nur etwa zwei Stunden unter der von Männern. Heute arbeiten viel mehr Frauen, allerdings oft in Teilzeit; der Unterschied beträgt deshalb im Schnitt 8,2 Stunden, also fast einen ganzen Arbeitstag.
Frauen kehren nach Auszeiten, wie sie auch Corona nötig macht, schwerer wieder in den Arbeitsmarkt zurück. Allmendinger beobachtet im universitären Umfeld, dass aktuell deutlich weniger wissenschaftliche Aufsätze von Frauen erscheinen, weniger Begutachtungen von Frauen ausgeführt werden. Sie ziehen sich zurück, weil sie zu Hause so gefordert sind. Dazu schultern sie das, was vor einiger Zeit die Bezeichnung „mental load“gefunden hat, also die emotionale Last, die Abläufe im Alltag zu planen und die Familie mental im Gleichgewicht zu halten. Gegen all das leisten die Frauen gerade kaum Widerstand, weil ihnen dafür schlicht die Kraft fehlt. „Krisen sind keine gute Zeit, um eine neue Rollenverteilung zu diskutieren“, sagt Allmendinger.
Allerdings hätte der Staat in ihren Augen durchaus Gelegenheit gehabt, Ausgleich für belastete Frauen zu schaffen. Etwa indem Studierende, die durch Corona reihenweise ihre Nebenjobs verlieren, dafür bezahlt würden, Kindern bei den Hausaufgaben zu helfen. „Es gab aber nicht mal ernsthafte Diskussionen über solche Möglichkeiten“, sagt Allmendinger. Während der Staat Milliarden ausgibt, um Unternehmen und damit Erwerbstätigkeit zu retten, werde die enorme Mehrbelastung von Frauen kaum diskutiert.
Allmendinger hat gerade ein Buch geschrieben, das mit vielen Zahlen belegt, dass die Emanzipation der Frauen aktuell Rückschläge erlebt. Und dass es um den Fortschritt der Geschlechtergerechtigkeit auch schon vor der Pandemie nicht gut bestellt war. Corona ist daher wie ein Brennglas, das diese Missstände hervorholt, schlechte Entwicklungen beschleunigt, Ungleichheit verstärkt – etwa die Einkommensunterschiede von Männern und Frauen oder die Kluft bei der Verteilung von Erziehungs-, Pflege, und Arbeitszeit.
„In allen Statistiken sind Männer der Standard, als sei der erwerbstätige Mann in Vollzeit die einzig denkbare Richtgröße“, sagt Allmendinger. Doch könne es kaum darum gehen, dass sich Frauen möglichst diesem männlichen Standard anpassten, sondern vielmehr darum, dass beide Geschlechter sich aufeinander zubewegten. „Es geht nur gemeinsam“, sagt Allmendinger und hat auch ihr Buch so betitelt.
Dieses Ziel verfolgen viele Paare zu Beginn ihrer Beziehung tatsächlich. Das zeigen Befragungen. Erst Langzeitstudien zeigen, dass sich der Alltag von Männern und Frauen auseinanderbewegt, sobald Paare Kinder bekommen. Allmendinger glaubt, dass das an falschen staatlichen Anreizen liegt wie Ehegattensplitting und kostenloser Mitversicherung, an Gehaltsunterschieden und Pendelkosten. Aber auch an den Einstellungen. „Paare sollten sich vor Lebensentscheidungen fragen, was ihre Entschlüsse für ihr Leben in fünf oder zehn Jahren bedeuten“, sagt Allmendinger.
Sie selbst habe vor so einer Entscheidung gestanden, als sie spät ihr Kind bekam und mit dem Gedanken spielte, eine berufliche Auszeit zu nehmen. „Damals habe ich mir überlegt, wie ich mit 50 leben will, und habe mir gesagt: Ich will Professorin sein und nicht in ein Loch fallen, wenn mein Kind aus dem Haus geht.“Sie entschied sich dann gegen die Auszeit.
Das Leben von hinten nach vorn zu denken, sei manchmal hilfreich. „Wir müssen daran arbeiten, dass Männer und Frauen Lebensoptionen haben und nicht in der hochsensiblen Phase der Familienbildung auf unterschiedliche Pfade geführt werden, auf denen es kein Zurückkommen gibt.“
Männer arbeiten oft ungestört im Keller, Frauen schlagen ihren Arbeitsplatz in der Küche oder im Wohnzimmer auf