Rheinische Post - Geldern an Kevelaer
Ungewohnt emotional
Die Bundeskanzlerin berät mit den Ministerpräsidenten der Länder erneut über Corona-Maßnahmen. Der Bund dringt auf Verschärfungen, einige Länder halten dagegen. In der Diskussion wird die Regierungschefin sehr ungehalten.
BERLIN Um kurz nach 20 Uhr platzt der Kanzlerin der Kragen. Nach sechs Stunden Beratung verfügt Angela Merkel eine Zwangspause in den Bund-Länder-Beratungen. Zu diesem Zeitpunkt wird zwischen Kanzleramt und den Ministerpräsidenten erneut über den Umgang mit den Schulen gestritten. Zum Durchlüften gibt es zehn Minuten. Doch die Pause wird länger dauern. Es gibt Krisentelefonate auf Ebene der Spitzen der großen Koalition.
Um viertel vor zehn tritt Merkel dann vor die Presse: „Die Zahlen machen uns Mut.“Es spreche alles dafür, dass die harten Einschnitte der vergangenen Wochen sich auszahlten. Doch sie erinnert an die Mutation, die in Großbritannien aufgetaucht ist. Man habe „lange um die Schulen gerungen“, und alle seien sich bewusst, dass dies „unglaubliche Einschränkungen“seien. Aber es gebe ernsthafte Hinweise, dass die mutierte Form des Virus sich stärker bei Kindern und Jugendlichen verbreite. „Und das müssen wir auch ernst nehmen.“Ergebnis: Schulen und Kitas bleiben bis zum 14. Februar geschlossen.
Rückblick: Siebeneinhalb Stunden vorher, ein gewohntes Bild – Merkel vor einem Bildschirm, auf dem 15 Ministerpräsidenten digital eingeblendet sind. Neben ihr im selben Raum der jeweilige Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz, derzeit Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD). Der Vizevorsitzende der Ministerrunde, Markus Söder, sitzt in einem anderen Zimmer des Kanzleramts und verfolgt die Beratungen.
Ursprünglich hatte man sich für den 25. Januar verabredet, doch das Kanzleramt drang auf einen früheren Termin. Der Grund: jene Angst vor Mutationen des Coronavirus, die in Großbritannien und Irland zu einem sprunghaften Anstieg der Infizierten-Zahlen
geführt hatten.
Bereits im Vorfeld fliegen zwischen den Staatskanzleien und dem Kanzleramt die unterschiedlichen Beschlussvorlagen hin und her. Das Kanzleramt hatte am Montag einen Entwurf geschickt; darin war von einem Lockdown bis zum 14. Februar die Rede. Die SPD-regierten Länder nahmen Änderungen vor, strichen Passagen wieder heraus.
Merkel eröffnet die Runde nach Teilnehmerangaben mit einem Appell, mit den neuen Beschlüssen auf Nummer sicher zu gehen. Sie plädiert für einen härteren Lockdown, um danach das Land wieder nachhaltig zu öffnen. Das Hin und Her sei schwierig. Die Bundeskanzlerin wird mit den Worten zitiert, man könne den Menschen nicht erklären, wenn die Friseure im April immer noch geschlossen seien.
Kurz nach Beginn gibt es dann schon die erste Einigung: Der Lockdown wird bis zum 14. Februar verlängert. Doch die Schulen bleiben ein strittiges Thema. Merkel und ihr Kanzleramtsminister Helge Braun (CDU) plädieren für eine weitere Schließung.
Dann geht es hoch her. Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) ist genervt. Man könne die Kinder nicht fernab der Schulen lassen und gleichzeitig die Wirtschaft schonen. Merkel reagiert ungewohnt emotional: Sie lasse sich nicht nachsagen, dass sie „Kinder quäle“, wird sie im Anschluss zitiert. Sie treibe vielmehr die Angst vor Neuinfektionen um. Betretenes Schweigen. Schwesig versucht einzulenken: Es sei Zeit, dass die Gaststätten wieder aufmachten, damit man auch mal wieder ein Glas Wein trinken gehen könne, sagt sie – und nimmt der Situation so die Schärfe.
Unterstützung bekommt die Kanzlerin von Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet. Der ist seit dem Wochenende der designierte neue CDU-Vorsitzende, bringt also ein weiteres Amt in die Runde ein. Dem Vernehmen nach läuft es in der ersten MPK nach der Wahl zunächst harmonisch zwischen der Kanzlerin und dem Neuen an der Spitze der Christdemokraten.
Man vertagt das Schul- und Kitathema aufs Ende der Sitzung. Wieder keine Einigung. Die Kanzlerin wird erneut ungehalten: Sie habe zwischenzeitlich sogar gedroht, ihre abweichende Meinung zu Protokoll zu geben, heißt es. Am Ende setzt sie ihre Vorstellung durch.
Insgesamt aber hatte Merkel auf härtere Maßnahmen gesetzt. Sie will, so nannte sie es, „besser durch die Pandemie kommen“. Die Ministerpräsidenten haben das gleiche Ziel – doch ein gemeinsames Vorgehen, es fällt sehr schwer an diesem 19. Januar.