Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Ungewohnt emotional

- VON KERSTIN MÜNSTERMAN­N

Die Bundeskanz­lerin berät mit den Ministerpr­äsidenten der Länder erneut über Corona-Maßnahmen. Der Bund dringt auf Verschärfu­ngen, einige Länder halten dagegen. In der Diskussion wird die Regierungs­chefin sehr ungehalten.

BERLIN Um kurz nach 20 Uhr platzt der Kanzlerin der Kragen. Nach sechs Stunden Beratung verfügt Angela Merkel eine Zwangspaus­e in den Bund-Länder-Beratungen. Zu diesem Zeitpunkt wird zwischen Kanzleramt und den Ministerpr­äsidenten erneut über den Umgang mit den Schulen gestritten. Zum Durchlüfte­n gibt es zehn Minuten. Doch die Pause wird länger dauern. Es gibt Krisentele­fonate auf Ebene der Spitzen der großen Koalition.

Um viertel vor zehn tritt Merkel dann vor die Presse: „Die Zahlen machen uns Mut.“Es spreche alles dafür, dass die harten Einschnitt­e der vergangene­n Wochen sich auszahlten. Doch sie erinnert an die Mutation, die in Großbritan­nien aufgetauch­t ist. Man habe „lange um die Schulen gerungen“, und alle seien sich bewusst, dass dies „unglaublic­he Einschränk­ungen“seien. Aber es gebe ernsthafte Hinweise, dass die mutierte Form des Virus sich stärker bei Kindern und Jugendlich­en verbreite. „Und das müssen wir auch ernst nehmen.“Ergebnis: Schulen und Kitas bleiben bis zum 14. Februar geschlosse­n.

Rückblick: Siebeneinh­alb Stunden vorher, ein gewohntes Bild – Merkel vor einem Bildschirm, auf dem 15 Ministerpr­äsidenten digital eingeblend­et sind. Neben ihr im selben Raum der jeweilige Vorsitzend­e der Ministerpr­äsidentenk­onferenz, derzeit Berlins Regierende­r Bürgermeis­ter Michael Müller (SPD). Der Vizevorsit­zende der Ministerru­nde, Markus Söder, sitzt in einem anderen Zimmer des Kanzleramt­s und verfolgt die Beratungen.

Ursprüngli­ch hatte man sich für den 25. Januar verabredet, doch das Kanzleramt drang auf einen früheren Termin. Der Grund: jene Angst vor Mutationen des Coronaviru­s, die in Großbritan­nien und Irland zu einem sprunghaft­en Anstieg der Infizierte­n-Zahlen

geführt hatten.

Bereits im Vorfeld fliegen zwischen den Staatskanz­leien und dem Kanzleramt die unterschie­dlichen Beschlussv­orlagen hin und her. Das Kanzleramt hatte am Montag einen Entwurf geschickt; darin war von einem Lockdown bis zum 14. Februar die Rede. Die SPD-regierten Länder nahmen Änderungen vor, strichen Passagen wieder heraus.

Merkel eröffnet die Runde nach Teilnehmer­angaben mit einem Appell, mit den neuen Beschlüsse­n auf Nummer sicher zu gehen. Sie plädiert für einen härteren Lockdown, um danach das Land wieder nachhaltig zu öffnen. Das Hin und Her sei schwierig. Die Bundeskanz­lerin wird mit den Worten zitiert, man könne den Menschen nicht erklären, wenn die Friseure im April immer noch geschlosse­n seien.

Kurz nach Beginn gibt es dann schon die erste Einigung: Der Lockdown wird bis zum 14. Februar verlängert. Doch die Schulen bleiben ein strittiges Thema. Merkel und ihr Kanzleramt­sminister Helge Braun (CDU) plädieren für eine weitere Schließung.

Dann geht es hoch her. Mecklenbur­g-Vorpommern­s Ministerpr­äsidentin Manuela Schwesig (SPD) ist genervt. Man könne die Kinder nicht fernab der Schulen lassen und gleichzeit­ig die Wirtschaft schonen. Merkel reagiert ungewohnt emotional: Sie lasse sich nicht nachsagen, dass sie „Kinder quäle“, wird sie im Anschluss zitiert. Sie treibe vielmehr die Angst vor Neuinfekti­onen um. Betretenes Schweigen. Schwesig versucht einzulenke­n: Es sei Zeit, dass die Gaststätte­n wieder aufmachten, damit man auch mal wieder ein Glas Wein trinken gehen könne, sagt sie – und nimmt der Situation so die Schärfe.

Unterstütz­ung bekommt die Kanzlerin von Nordrhein-Westfalens Ministerpr­äsident Armin Laschet. Der ist seit dem Wochenende der designiert­e neue CDU-Vorsitzend­e, bringt also ein weiteres Amt in die Runde ein. Dem Vernehmen nach läuft es in der ersten MPK nach der Wahl zunächst harmonisch zwischen der Kanzlerin und dem Neuen an der Spitze der Christdemo­kraten.

Man vertagt das Schul- und Kitathema aufs Ende der Sitzung. Wieder keine Einigung. Die Kanzlerin wird erneut ungehalten: Sie habe zwischenze­itlich sogar gedroht, ihre abweichend­e Meinung zu Protokoll zu geben, heißt es. Am Ende setzt sie ihre Vorstellun­g durch.

Insgesamt aber hatte Merkel auf härtere Maßnahmen gesetzt. Sie will, so nannte sie es, „besser durch die Pandemie kommen“. Die Ministerpr­äsidenten haben das gleiche Ziel – doch ein gemeinsame­s Vorgehen, es fällt sehr schwer an diesem 19. Januar.

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FOTO: STEFFEN KUGLER/BUNDESREGI­ERUNG/DPA Berlins Regierende­r Bürgermeis­ter Michael Müller, der Vorsitzend­e der MPK, und die Kanzlerin während der Beratungen.

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